Antrag: Europa in Niedersachsen sichtbar machen: Die Vielfalt der Regionen sozial und ökologisch entwickeln
Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Von den Bergen bis zu den Inseln ist Niedersachsen geprägt durch eine hohe Vielfalt an Sozial- und Wirtschaftsräumen. Sie unterscheiden sich nicht nur landschaftlich, sondern sind auch sehr unterschiedlich gewachsen. Die Städte und Gemeinden, Unternehmen und weiteren Akteure dieser vielfältigen Lebensräume eint die Herausforderung eines fairen sozial-ökologischen Wandels, zu verstehen als eine demokratisch, sozial-nachhaltig ausgestaltete Transformation ökonomisch, ökologisch sowie gesellschaftlicher Verhältnisse auch unter Berücksichtigung der durch die Digitalisierung an- gestoßener Transformationsprozesse, in der niemand zurückgelassen wird. In der Ausgestaltung müssen sie jedoch sehr unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden.
Neben dem demografischen Wandel und den Transformationsnotwendigkeiten in der Landwirtschaft stehen ländliche Räume vor der Herausforderung, eine bedarfsgerechte und tragfähige Infrastruktur und Daseinsvorsorge einschließlich der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. Städtische Zentren und Ballungsräume haben wiederum andere Herausforderungen, z. B. bei der Klimafolgenanpassung sowie der Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum.
Gleichwohl betrifft der Strukturwandel durch Klimawandel, Überalterung, Fach- und Arbeitskräftemangel und Migration ländliche und städtische Räume gleichermaßen. Dennoch wird es keinen einheitlichen Transformationspfad geben können, da die Startvoraussetzungen unterschiedlich sind. Es bedarf daher mehr Spielraum, um auf die Bedarfe in den Regionen und Kommunen eingehen zu können.
Die jüngste Vergangenheit zeigt, dass der Zusammenhalt Europas nicht in Stein gemeißelt ist. Wir stehen zu den Errungenschaften der Europäischen Union und leisten unseren Beitrag, sie zum Nutzen aller weiterzuentwickeln. Eine gute Zukunft ohne Europäische Union ist für uns undenkbar.
Wirksame Kohäsion gelingt nur durch die Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts aller europäischen Regionen. Die EU-Kohäsionspolitik verringert die regionalen Unterschiede innerhalb der Europäischen Union durch die Förderung gemeinsamer europäischer Ziele, wie Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Das gilt für wirtschaftlich schwache Regionen genauso wie für wirtschaftlich starke Regionen. Sie müssen sich alle an die spezifischen Herausforderungen des Klimawandels anpassen und dabei ihre Entwicklungsziele im Blick behalten.
Zielgerichtete Förderung bringt nicht nur die vielfältigen Regionen voran, sondern sie macht auch die Vorteile der europäischen Integration für die Bürgerinnen und Bürger sichtbar. Daher ist weiterhin eine starke Kohäsionspolitik auf europäischer Ebene erforderlich. Auf Landesebene wird dafür eine auf strategische Ziele ausgerichtete Regionalentwicklung mit effizienten Strukturen benötigt.
Für die Entwicklung Niedersachsens bedarf es zielgerichteter gebietsbezogener Ansätze, die die Herausforderungen vor Ort adäquat adressieren. Förderprogramme müssen schneller verfügbar und die Umsetzung von Projekten muss einfacher und weiter beschleunigt werden. Kommunen und weitere regionale Akteure, wie die Landwirtschaft, Unternehmen oder Institutionen der Daseinsvorsorge benötigen aktive Unterstützung bei der Bewältigung der Transformationsprozesse. Eine gut abgestimmte Regionalentwicklung greift als Querschnittsaufgabe ressortübergreifend ineinander ohne die Richtlinienzuständigkeit der jeweiligen Ressorts zu berühren und trägt zu einer schnelleren Umsetzung der Förderprogramme bei.
Auch die kommende Niedersächsische EU-Förderstrategie muss dies berücksichtigen und für die Förderperiode 2028-2034 hierfür den entsprechenden Rahmen setzen. Um Antworten auf die Herausforderungen, die sich durch die globalen Veränderungen ergeben, liefern zu können, müssen die EU-Fördermittel auf Landesebene anhand übergeordneter Ziele ausgerichtet und eingesetzt werden. Kern der Strategie muss bei allen Fördermaßnahmen die Gestaltung der sozial-ökologischen Transformation sein.
Für resiliente und zukunftsfähige Regionen braucht es innovative Unternehmen und ein innovationbeförderndes Umfeld. Für die Stärkung der Innovationsfähigkeit des Landes und damit der Wertschöpfung in den Regionen Niedersachsens ist es notwendig, eine Innovationsstrategie gemeinsam mit Wissenschaft, Wirtschaft, Landwirtschaft und den regionalen Akteuren des Innovationsgeschehens weiterzuentwickeln und den zukünftigen Herausforderungen anzupassen. Ziel muss auch hier eine Innovationspolitik aus einem Guss sein.
Der Landtag bittet daher die Landesregierung, für die Programmierung der nächsten EU-Förderperiode
- sich weiterhin auf Bundes- und EU-Ebene für eine Fortentwicklung der Kohäsionspolitik einzubringen und eine starke finanzielle Ausstattung für alle Regionen zu fordern,
- wieder eine fondsübergreifende EU-Förderstrategie aufzustellen, die konkrete Leitplanken für die künftige Ausrichtung der Fördermaßnahmen festlegt und im Kern auf die Gestaltung der sozial-ökologischen Transformation ausgerichtet ist,
- hierbei sicherzustellen, dass die Förderinstrumente der einzelnen EU-Fonds gut aufeinander abgestimmt sind und die heterogenen Herausforderungen auch mittels gebietsbezogener Ansätze in Niedersachsen berücksichtigt werden,
- bereits in der Strategie die Stärkung der ländlichen Räume gezielt aufzunehmen, um diese in die Lage zu versetzen, die Transformationsherausforderungen zur Verwirklichung der umwelt-, tierwohl- und klimabezogenen Ziele in Entwicklungsperspektiven zu verwandeln; dafür sind sie weiterhin im Förderkanon aller Fonds zu berücksichtigen.
- in der Strategie sicherzustellen, dass sich die Förderung auf die wesentlichen Herausforderungen fokussiert, die mit dem sozial-ökologischen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft verbunden sind,
- sicherzustellen, dass die Kohäsionspolitik sichtbarer und verständlicher gestaltet wird sowie die Komplexität der Strukturförderung reduziert wird und möglichst gut aufeinander abgestimmte Förderrichtlinien aufgestellt werden; dabei muss auch der Mut bestehen, das Fortbestehen bis- heriger Förderungen aus den EU-Mitteln infrage zu stellen und neue zu entwickeln,
- die Regelungen und Vereinfachungsmöglichkeiten zwischen allen strukturwirksamen Fonds - besonders dem ELER, dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EF-RE) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF+) - weiter zu harmonisieren. Dadurch sollen Bürgerinnen und Bürger, Kommunen und Unternehmen alle Fonds effizient nutzen können und fondsübergreifende Ansätze und Projekte erleichtert werden.
- am Multifondsgedanken für den EFRE und ESF+ festzuhalten,
- dem ESF+ und den sozialen Innovationen weiterhin eine hohe Bedeutung beizumessen, den sozialen Zusammenhalt zu stärken und auf Herausforderungen wie Kinderarmut, Gleichstellung, Chancengleichheit, Bildungsbenachteiligung und Migration zu reagieren. Neben bedarfs- orientierten Programmen für die Bewältigung sozialer Herausforderungen soll der Ansatz zur Förderung sozialer Innovation weiterentwickelt und die Unterstützung für soziale Transformationsprozesse ausgebaut werden. Dazu braucht es einer angemessenen Mittelausstattung des ESF+.
- mit den Mitteln aus dem EFRE einen noch stärkeren Beitrag zur Nachhaltigen Entwicklung und zum Europäischen Green Deal zu leisten. Um die gemeinsamen europäischen und nationalen Ziele sowie die Ziele des Niedersächsischen Klimagesetzes zu erreichen, soll der Anteil der Mittel, die in Klima- und Umweltschutz investiert werden, mindestens die Hälfte der zur Verfügung stehenden EFRE-Mittel betragen. Außerdem sollte eine Quote für die Förderung der Biodiversität stärker berücksichtigt werden. Maßnahmen, die der Umwelt schaden, sollen nicht unterstützt werden.
- im ELER Förderansätze der integrierten ländlichen Entwicklung und LEADER angemessen zu berücksichtigen und mit den Instrumenten der Strukturfonds gut zu verzahnen. Diese ELER- Maßnahmen spielen eine entscheidende Rolle für die Stärkung der ländlichen Räume als attraktive Wohn- und Arbeitsorte; sie stärken den sozialen Zusammenhalt und Selbstgestaltungs- potenziale und sind auch Voraussetzung für eine nachhaltige und in der Gesellschaft verankerte Landwirtschaft.
- die Schließung regionaler Wertschöpfungsketten in der Umsetzung der einzelnen Maßnahmen angemessen zu berücksichtigen,
- Mechanismen zu prüfen, die monetäre Anreize für proaktive Beiträge zur Bewältigung der o. a. Herausforderungen oder zur Stärkung des Zusammenhalts in Niedersachsen durch eine Erhöhung der Anteile an EU-Mitteln oder durch gesonderte Kofinanzierungsmittel des Landes schaffen;
- die Innovationsökosysteme zu stärken und die Innovationsförderung ressortübergreifend abzustimmen, um damit eine zielgerichtete Förderung entlang der Innovationskette zu ermöglichen; Ziel sollte sein, die Regionen zukunftsfest aufzustellen und den Innovationsstandort Niedersachsen zu stärken; die RIS3 als grundlegende Voraussetzung für den Einsatz der Strukturfonds sollte dabei eine zentrale Rolle spielen.
Begründung
Die Europäische Union steht und fällt mit dem Zusammenhalt ihrer Mitgliedstaaten und der Gesellschaft. Um dem Leitgedanken der Europäischen Union „In Vielfalt geeint“ gerecht zu werden, bedarf es der Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts innerhalb und zwischen den Regionen Europas - dafür steht die Kohäsions- und Strukturpolitik der Europäischen Union.
Für Niedersachsen hat die Kohäsionspolitik und die Förderung aus EU-Mitteln eine hohe politische Bedeutung. Für den Zeitraum 2021 bis 2027 stehen Niedersachsen über 1 Milliarde Euro aus den Strukturfonds zur Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, der Belange des Klima- und Umweltschutzes sowie des sozialen Zusammenhalts zur Verfügung. Dieser einen Milliarde steht al- lein in Niedersachsen ein jährlicher Investitionsbedarf von 60 Milliarden Euro gegenüber, wenn wir den ökologischen und sozialen Herausforderungen effektiv begegnen wollen. Daher ist eine starke finanzielle Ausstattung der Strukturfonds unerlässlich. Und es bedarf einer besseren Verzahnung zwischen den Fonds und eines Zusammenwirkens von EU-, Landes- und Bundesprogrammen, um Synergien zu heben.
Das Land Niedersachsen muss sich vor diesem Hintergrund auf allen Ebenen für eine finanziell gut ausgestattete und moderne Kohäsionspolitik einbringen, die noch stärker auf die mit der grünen und digitalen Transformation verbundenen Herausforderungen ausgerichtet ist. Der von Ministerin Osigus in den Meinungsbildungsprozess auf europäischer Ebene eingebrachte Acht-Punkte-Plan ist da- her ein wichtiger und richtiger Schritt für die Zukunft der Kohäsionspolitik.
Auch Niedersachsens EU-Förderung muss sich weiter entwickeln. Für den Erhalt unserer Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit sowie zur Stärkung des Zusammenhalts braucht es kein „Weiter so“. Unsere EU-Förderung muss sich noch stärker fokussieren: Auf die Sicherung des sozialen Zusammenhalts, auf den Umwelt- und Klimaschutz, auf das Gelingen der grünen und digitalen Transformation der Wirtschaft und - als große Klammer über all diesen Aspekten - auf die Bedarfe in den Regionen und Kommunen.