Antrag: Entwurf eines 1. Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2020: Bedrohung durch Erkrankung mit Corona-Virus bitter ernst nehmen -...

Entwurf eines 1. Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2020: Bedrohung durch Erkrankung mit Corona-Virus bitter ernst nehmen - Gesundheitswesen massiv unterstützen - Unterstützung von Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Kultur zielgenau, wirkungsvoll und schnell umsetzen - Zusammenhalt und soziale Vorsorge sichern - Grundrechte wahren - Zukunftsinvestitionen planen

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 18/6095

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen - Drs. 18/     

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

Bei Erkrankungen mit dem Corona-Virus/COVID-19 ist eine sehr hohe Dynamik zu beobachten. Die Entwicklung droht auch in Niedersachsen das Gesundheitssystem massiv zu überfordern. Das gesellschaftliche Leben ist komplett lahmgelegt. Wirtschaft und Arbeitsmarkt droht eine verheerende Entwicklung. Menschen mit geringem Einkommen, Menschen die ihren Arbeitsplatz verlieren, Menschen, deren Unternehmen der Konkurs droht und viele, viele andere sind in höchster Sorge.

Primäres Ziel muss sein, Zeit zu gewinnen, um extreme Belastungsspitzen im Gesundheitssystem zu vermeiden und die Forschung nach geeigneten Medikamenten voranzutreiben zu können. Risikogruppen müssen besonders geschützt werden. Gebot der Stunde ist, besonnen zu reagieren und gleichzeitig vorausschauend alle notwendigen Schutzmaßnahmen einzuleiten und streng und verantwortungsvoll zu befolgen. Aus den Fehlern anderer Länder muss gelernt werden.

EU, Bund, Länder und Kommunen müssen ihre Maßnahmen bestmöglich abstimmen und kommunizieren. Politisch Verantwortliche müssen Entscheidungen treffen und Weichenstellungen vornehmen, aber sie alleine können die Menschen im Land nicht schützen. Jede und jeder Einzelne ist gefragt, Verantwortung zu übernehmen: Direkte Kontakte auf das Notwendigste zu reduzieren, sich verantwortungsbewusst und rücksichtsvoll zu verhalten und die Aufforderungen der Gesundheitsbehörden zu achten.

Ärztinnen, Ärzte, Pflegepersonal und soziale Dienste leisten gerade Großartiges. Sie halten mit ihrer Arbeit, Hilfsbereitschaft, mit ihrer Zuwendung und Beratung die Werte unserer Gemeinschaft aufrecht. Das gilt auch für viele andere, die in diesen Tagen kritische Infrastrukturen und Funktionen der Daseinsvorsorge aufrechterhalten. Ihnen gebührt unsere größte Hochachtung und unser aller Dank.

Diese Arbeit muss bestmöglich unterstützt werden und von allen gesellschaftlichen Kräften maximale Unterstützung erfahren. Dazu gehört insbesondere die Versorgung mit Schutzkleidung, die Aufrechterhaltung von Angeboten zur Kinder-, Senioren- und Krankenbetreuung, für die Menschen, die in Krankenhäusern, Arztpraxen und vielen anderen kritischen Infrastrukturen arbeiten. Die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs muss unter Einhaltung besonderer Vorkehrungen zum Schutz des Personals und der Fahrgäste weiterhin funktionieren.

Von entscheidender Bedeutung ist die Handlungsfähigkeit der Exekutive, der Legislative und der Justiz. Die Gewaltenteilung ist Garant für den Grundrechtsschutz. Das gilt gerade in Krisensituationen. Jedem Versuch die Gewaltenteilung zu schwächen ist entschlossen zu widersprechen. Sichere digitale Kommunikationsstrukturen müssen schnell ausgebaut werden, um mobiles und digitales Arbeiten zu erleichtern. Der Ältestenrat muss als Corona-Ausschuss mehrfach wöchentlich über alle Entwicklungen informiert werden. Der Ältestenrat, der Haushaltsausschuss und der AfSGuG sind bereits dann in Kenntnis zu setzen, wenn die Absicht zu einer Regelung oder Maßnahme besteht. Weitere Beteiligungsrechte bleiben unberührt. Darüber hinaus erarbeitet der Landtag einen eigenen Pandemie-Plan zur Sicherstellung der parlamentarischen Arbeit. Die derzeitige Regelung der Schuldenbremse stößt bereits in der ersten Krise an ihre Grenzen. Hier muss dringend eine Änderung der Regelung vorgenommen werden, damit das Parlament als Haushaltsgesetzgeber in akuten Notlagen handlungsfähig bleibt.

Mit einem 1. Nachtrag zum Haushalt 2020 muss das Land die finanziellen Voraussetzungen schaffen, um in der Krise voll handlungsfähig zu bleiben. Alle Maßnahmen sind möglichst in enger Abstimmung mit EU, Bund und den anderen Ländern vorzunehmen, um zielgenau, schnell, unbürokratisch und wirkungsvoll helfen zu können.

Gleichzeitig muss ein 2. Nachtrag für die Zeit nach Ostern eingeplant werden, um weitergehende Kosten aufzufangen und Investitionen in Krankenhäuser, Universitätskliniken, Breitbandversorgung, nachhaltige Energieversorgung, Klimaschutz, Aufbau von Strukturen zum digitalen Lernen für Schulen und Hochschulen, Unterhaltung- und Instandsetzung im Kita- und Schulbereich, Mobilität oder bei Verbundnetzen der Stadtwerke und in anderen geeigneten Bereichen vorzuziehen, um die Beschäftigung zu stärken und zu halten, Mut zu machen und Vertrauen zu schaffen, in die weitere wirtschaftliche Entwicklung.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

  1. maximale Anstrengungen zu unternehmen, um den Schutz und die Entlastung von medizinischem und pflegerischem Personal zu gewährleisten. Neben der Anschaffung von Schutzmasken, Schutzkleidung, Schutzbrillen und Desinfektionsmitteln auch zu eruieren welche Optionen zur Produktion im Land kurzfristig mobilisiert werden können und analog zur Materialreserve für Hochwasser einen Landesvorrat und dezentrale Depots anzulegen. Das gilt auch für die Anschaffung von Medikamentenvorräten und Beatmungsgeräten sowie die Sicherung von Impfstoffen. Insbesondere müssen die Empfehlungen der WHO aufgegriffen werden, deutlich mehr Tests durchzuführen, um zielgerichtetere Maßnahmen zu ergreifen, mit denen nicht infizierte Personen geschützt werden können.            
    Die Gesundheitsämter sind zu verstärken, Corona-Virus-Testungen sind in jedem Landkreis zu ermöglichen und die Möglichkeiten zu Tests sind deutlich zu verstärken.                
    Krankenhäuser, die keine eigenen Labore mehr haben sind beim Aufbau von Laboren für Corona-Testungen zu unterstützen, ggfls sind Labore der Veterinäre zu nutzen,
  2. eine durchgreifende Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege durchzusetzen, sich unverzüglich für Verbesserungen einzusetzen und im eigenen Zuständigkeitsbereich deutlich verbesserte Zulagen zu zahlen und Arbeitszeiten zu verbessern. Die Maßnahme dient der Entlastung von aktuell tätigen Personen, aber soll auch einen Anreiz setzen, um Menschen, die diesen Beruf erlernt haben, aber derzeit nicht ausüben, zur kurzfristigen Wiederaufnahme der Tätigkeit oder zu Fort- und Weiterbildungen zu motivieren,
  3. einen umfangreichen ökonomischen Rettungsschirm in Kooperation mit den Ländern, dem Bund und der Europäischen Union für Unternehmen zu schaffen. Hierbei ist insbesondere auch ein Fokus auf Solo-Selbstständige, Kleinst-, Klein- und mittelständische Betriebe zu richten. Für kleine existenzbedrohte Betriebe bis zu 50 Mitarbeiter*innen ist ein Soforthilfefonds einzurichten, der zunächst 100 Prozent befristet auf drei Monate als nicht rückzahlbaren Zuschuss in Abhängigkeit der Betriebskosten gewährt. Doppelförderungen von Bund und Land sind zu vermeiden. Die Prüfungen dürfen aber die Soforthilfen nicht verzögern. Es sind einfache Verfahren vorzusehen, die schnell administriert werden können. Das gleiche gilt im Besonderen für Wohlfahrtsorganisationen, Kindertagesstätten, Jugendwerkstätten, gemeinnützige Einrichtungen, Künstlerinnen, Künstler, viele freie Berufe, Kunst- und Kultureinrichtungen, Erwachsenenbildung, Heimvolkshochschulen, freien Schulen und viele Vereine. Die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Infrastruktur ist durch wegbrechende Lieferketten, Schließungen, abgesagte Veranstaltungen, fehlende Nachfrage und ausbleibende Besucher bedroht. Innerhalb kurzer Zeit drohen vielfache Insolvenzen die Arbeitslosigkeit in die Höhe zu treiben. Dabei sind zunächst Zuschüsse, darüber hinaus aber auch Bürgschaften, Kredite und Beteiligungen je nach Fallgestaltung zu nutzen. Die Mittel müssen schnell und unbürokratisch abgerufen werden können. Steuervorauszahlungen, Steuerstundungen und andere Maßnahmen der Finanzämter müssen schnell und flexibel an eingebrochene Umsatz Erwartungen angepasst werden, um Liquidität sicherzustellen. Tilgungen für aufgenommene Kredite der öffentlichen Hand im Rahmen der außergewöhnlichen Notsituation sind über lange Zeiträume zu strecken.
  4. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, das Kinderkrankengeld, den Pflegeurlaub bzw. Pflegefreistellung und den Kündigungsschutz zu erweitern und deutlich zu verlängern, um zu verhindern, dass Familienmitglieder, die von Kita- und Schulschließungen betroffen sind, ihren Arbeitsplatz verlieren.           
    Ausgleichszahlungen für Unternehmen vorzusehen.              
    Die Kurzarbeitergeldregelungen regelmäßig zu prüfen, um sicherzustellen, dass sie passgenau wirken. Beim Bund ist darauf hinzuwirken, dass Kurzarbeitergeldregelungen auch für Menschen, die in Mini-Jobs arbeiten, anzuwenden sind,
  5. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, die Regelsätze nach Hartz IV um mindestens 20 Prozent anzuheben, wie unter anderem von der Landesarmutskonferenz gefordert, um steigende Lebenshaltungskosten, Wegfall von Tafeln, kleinen Zuverdiensten u.a. für Menschen zu kompensieren, die keinerlei finanziellen Rückhalt haben. Zudem umgehend einen Corona-Zuschlag für alle Transfergeld-Empfängerinnen und Empfänger auf den Weg zu bringen, um kurzfristig soziale Härten zu vermeiden.    
    Für Mieterinnen und Mieter ist ein Kündigungsschutz bei Verzug von Mietzahlungen sicherzustellen.
  6. Die Kommunen dabei zu unterstützen, für Wohnungslose zusätzliche Räumlichkeiten zu akquirieren, um die Belegungsdichte in Notunterkünften zu reduzieren und um zusätzliche Tagesaufenthalte einzurichten, um der oft drangvollen Enge in solchen Einrichtungen zu begegnen. Entsprechend sind auch für Geflüchtete die Unterbringungsreserven zur Verringerung der Belegungsdichte in Flüchtlingsunterkünften zu nutzen und Kapazitäten des Landes ggf. den Kommunen zur Verfügung zu stellen.
  7. Kommunen bei der schnellen Erhöhung der Anzahl von Frauenhausplätzen finanziell und organisatorisch zu helfen und landesweit möglichst barrierefrei noch stärker über bestehende Hilfsangebote zu informieren, da in Krisen und gerade durch Quarantänemaßnahmen häusliche Gewalt deutlich zunehmen wird. 
    Beratungsstellen zu unterstützen, um das Angebot an Telefonseelsorge zu vergrößern und damit akut Konflikte zu entschärfen und selbstverletzendes Verhalten bis hin zu Suizid zu verhindern.
  8. Schwerpunktkrankenhäuser für Corona-Infizierte einzurichten, damit die Erkrankten bestmöglich versorgt werden und die Notfallversorgung und Grundversorgung in den Regionen gesichert bleibt.      
    Kliniken einzubeziehen, die nicht auf die Notfall- und Akutversorgung in Niedersachsen ausgerichtet sind wie Reha- oder Rheumakliniken als Isolationszentren, für Personen, die sich in der häuslichen Quarantäne nicht selbstständig versorgen können.             
    Rehakliniken zeitweise zu schließen, damit ausreichend medizinisches und pflegerisches Personal zur Entlastung und zum Schutz besonders vulnerabler Gruppen zur Verfügung steht.
    Die Zahl von Intensivstationsplätzen mit Hochdruck weiter zu erhöhen, Isolationsräumlichkeiten regional zentralisieren, um die ordinäre Gesundheitsversorgung und Notfallversorgung in den Kliniken nicht zu gefährden, Bundeswehr-Sanitätseinsatzkommando mit mobilem Krankenhaus und Bundeswehr Krankenhäuser zwecks Unterstützung Krankenhäuser/Gesundheitswesen aktivieren.
  9. Wir begrüßen, dass die meisten Unternehmen proaktiv tätig werden, ihre Angestellten unterstützen und Hygiene- und Gesundheitsschutzmaßnahmen einleiten. Die Einhaltung von Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen in Arbeitsstätten gilt es überall umzusetzen, um Infektionsketten zu vermeiden, hierfür gilt es Vorgaben zu machen und ggf. notwendige, zusätzliche Investitionen zu unterstützen. Darüber hinaus ist die Umsetzung der Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer*innen zu kontrollieren. Auch müssen Beratungsinfrastrukturen für Menschen in Notlagen, die derzeit nicht in Beratungsstellen, Kliniken und Praxen stattfinden können, durch aufsuchende, telefonische und digitale Angebote umgestellt werden.
  10. Regelungen zu schaffen, um Kommunen bestmöglich zu unterstützen und die Handlungsfähigkeit sicherzustellen. Kommunen, die durch Zielvereinbarungen im Rahmen von Bedarfszuweisungen, Zukunftsvereinbarungen oder Stabilisierungsvereinbarungen mit dem Land bzw. der Kommunalaufsicht gebunden sind, können in aller Regel einen Passus in den Vereinbarungen nutzen, der festhält, dass die Eckpunkte bei unvorhergesehenen Ereignissen nicht gelten. Dieser Fall ist jetzt eingetreten. Die Kommunen leisten in diesen Tagen einen großen Anteil bei der Umsetzung der veranlassten Maßnahmen. Sie brauchen die volle Unterstützung des Landes. Dafür ist u. a. zu prüfen, wie das Land den Kommunen eigene Personalressourcen für den Einsatz auf lokaler Ebene z.B. in Gesundheitsämtern kurzfristig zur Seite stellen kann. Die Kommunen brauchen die volle Unterstützung des Landes, damit beispielsweise gemeinnützige Vereine oder kleinere Kultureinrichtungen vor Ort unterstützt werden, die durch Veranstaltungsabsagen, einen finanziellen Schaden erlitten haben. Auch kleinere Unternehmen und benachteiligte Soziale Einrichtungen können durch eine Soforthilfe vor Ort profitieren.
  11. die Diagnostik mit den Vorschlägen der Leopoldina zu stärken durch Entwicklung einer zentralen Datenplattform zur gezielten und koordinierten Testung, Entwicklung von Virus-Schnelltests und serologischen Untersuchungsmethoden für die individuelle Diagnostik, umfangreichen epidemiologischen Datenerhebungen als Grundlage für effiziente, gezielte und breit akzeptierte Maßnahmen, Ausweitung der Testsysteme, um unnötige, repetitive Quarantänemaßnahmen bei nichtinfektiösen bzw. immunen insbesondere systemrelevanten Personen im medizinischen Bereich zu vermeiden, Erhebung repräsentativer Stichproben, die verlässliche Aussagen über die Mortalitätsrate sowie die Spezifität und Sensitivität der Testverfahren zulassen und die Schätzgenauigkeit zentraler Parameter der Modelle verbessern,
  12. in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, der WHO und der EU sind vor dem Hintergrund unterschiedlicher Erwartungen zu Dauer, Mortalität, Ausbreitung und verfügbaren Medikamenten verschiedene Szenarien für die kommende Zeit vorzulegen, um mittelfristige Strategien zur Bewältigung der gewaltigen Herausforderungen zu entwickeln. Eine länger andauernde Intensität der derzeitigen Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Erkrankungen hätte immense soziale, psychologische und wirtschaftliche Folgen. Daher müssen so früh wie möglich die Handlungsoptionen geprüft, wissenschaftlich bewertet und politisch abgewogen werden. Erfahrungen anderer Länder wie bspw. Südkorea müssen ausgewertet werden.
  13. Solidarität und Zusammenhalt zu stärken: Von der Familie, dem Dorf und der Stadt bis zur Zusammenarbeit in Europa und im globalen Kontext kommt es jetzt darauf an Verantwortung zu übernehmen. Zu prüfen, wer Hilfe und Unterstützung am Dringendsten benötigt. Im Kleinen wie im Großen wird diese Solidarität, Verantwortungsbereitschaft und gelebte Zusammenarbeit darüber entscheiden, ob wir die Krise meistern.
  14. umgehend alle Abschiebungen grundsätzlich auszusetzen, da derzeit u. a. aufgrund mangelnder Beratungsmöglichkeiten die Rechte von Geflüchteten und damit rechtsstaatliche Verfahren nicht gewährleistet werden können und um die Behörden temporär zu entlasten. Zudem sollte jederlei Ausbreitung von Covid-19 in Länder mit vergleichsweise extrem schlechter Gesundheitsversorgung vermieden werden. Angesichts der globalen Dimension der Corona-Krise, sich darüber hinaus, auf Bundesebene in humanitärer Verantwortung für die Menschen in den Flüchtlingslagern einzusetzen und die Forderung nach einer Evakuierung der völlig überfüllten Camps auf den griechischen Inseln sowie die Arbeit des UNHCR und von Hilfsorganisationen für Geflüchtete in den Kriegs- und Krisengebieten, wie in Idlib, zu unterstützen
  15. Der Landtag wird die Enquetekommission zur "Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Niedersachsen - für eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe medizinische Versorgung" nutzen, um nach der akuten Krise die Stärken und Schwächen des Gesundheitswesens in Bezug auf die Krisenbewältigung und die Pandemie-Pläne in Niedersachsen auszuwerten und Konsequenzen daraus zu ziehen.

Begründung

Die Corona-Krise darf keine Armutskrise werden. Armut war auch schon vor der Corona-Krise verbreitet. In der Krise zeigt sich umso deutlicher, wie sehr Armut Menschen beeinträchtigen und benachteiligen kann. So trifft das Corona-Virus nicht alle Menschen gleichermaßen. Einkommenshöhe und Bildungsstand sind mitentscheidend dafür, wie sehr sich Menschen vor der Verbreitung des Virus und den Folgen schützen können. Wie ihr gesundheitlicher Zustand bereits vor der Corona-Ausbreitung war, wie viel Platz ihnen bei häuslicher Quarantäne zur Verfügung steht, ob sie auf die Nutzung von ÖPNV verzichten können, ob sie in Branchen arbeiten, bei denen Homeoffice möglich ist, mit wie vielen Menschen sie zusammenleben, ob sie bei coronabedingten Einkommensausfällen auf finanzielle Rücklagen zurückgreifen können.

Wir müssen von Armut Betroffene beim Schutz vor den Folgen des Corona-Virus daher besonders unterstützen. Die Krise darf nicht zugleich zu einer Verschärfung der sozialen Gegensätze führen und die Schere zwischen Arm und Reich in Folge des Corona-Virus und damit verbundenem Verlust des Arbeitsplatzes, Einkommensausfällen, der Insolvenz von kleinen Geschäften und Betrieben nicht sogar noch größer werden. Besonders vulnerable Teile unserer Gesellschaft brauchen in diesen Tagen besonderen Schutz. Das gilt für Erkrankte, für Ältere, für gesundheitlich Vorbelastete, aber genauso auch für Menschen in Gruppenunterkünften, für Geflüchtete und für obdachlose Menschen.

Daher muss die Forderung an den Bund nach einer bedarfsgerechten Erhöhung der Regelsätze von "Hartz IV" um mindestens 20 % erneuert werden. Spätestens angesichts dieser Krise wäre eine solche Entscheidung dringend geboten. Dies würde konjunkturell positive Effekte entfalten und wäre zudem geeignet, das Vertrauen vieler Betroffener gegenüber einer gerechten Verteilung von Sozial- und Gesundheitsressourcen durch Staat und Politik zu verbessern.

Bis zu einer grundsätzlichen Anpassung der Sätze, müssen mindestens temporäre "Corona- Zuschläge" gezahlt werden, die Transfergeld-Empfängerinnen und Empfängern ermöglichen, sich ausreichend zu versorgen.

Die Tafeln in Niedersachsen müssen in diesen Tagen besondere Anforderungen erfüllen, um auch Bedürftige vernünftig zu versorgen. Während angesichts von verbreiteten Lebensmittelkäufen die Nachfrage steigt, sinkt das Angebot an Lebensmitteln in den Tafeln zurzeit. Gleichzeitig fallen viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer aus, da sie zu Risikogruppen gehören. Das Land und die Kommunen müssen die Tafeln dabei unterstützen, damit diese weiterhin ihre wichtige Versorgungs- und Sozialfunktion übernehmen können.

Die Corona-Krise ist nicht nur eine medizinische Krise, sondern sie hat Auswirkungen auf alle Bereiche in Niedersachsen, so auch auf Unternehmen, Wohlfahrtsorganisationen, gemeinnützige Organisationen, Bildungseinrichtungen, Verbände, Einrichtungen, Kunst- und Kultureinrichtungen und vielem mehr. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die Regierungen und die Haushaltsgesetzgeber jetzt deutlich machen: Wir haben die Krise in all ihren Facetten im Blick und bleiben flexibel, um die Auswirkungen dieser Krise abzufedern und ihnen zu begegnen. Dazu zählt ein breit angelegter Rettungsschirm, flexible und unbürokratische Unterstützungsmaßnahmen ebenso wie die Vorbereitung eines umfangreichen Investitionsprogramms während und nach der akuten Gesundheitskrise.

Rettungsschirme sind notwendig, um Niedersachsens Infrastruktur zu sichern und zu erhalten. Schon heute wird deutlich: Die Auswirkungen des Corona-Virus sind vielfältig: Kommunen können Fördermittel nicht fristgerecht abrufen, Unternehmen ihre Vorauszahlungen auf Steuereinnahmen nicht mehr leisten, gesetzliche Fristen werden gerissen bei Verträgen, auch Solo-Selbstständige geraten in Existenznot. Eltern bangen um ihren Arbeitsplatz, weil sie bei Schulschließungen ihre Kinder betreuen müssen, die Erwachsenenbildung kann ihre Veranstaltungen nicht mehr stattfinden lassen und wird bedroht durch Einnahmeausfälle, ebenso geht es Kunst- und Kulturschaffenden, Vereinen, Jugendhilfeangeboten, Wohlfahrtsverbänden und vielen anderen. Auch die Gastronomie-, Tourismus- und Freizeitbranche ist stark betroffen von der Corona-Krise. Und so lassen sich viele Bereiche durchgehen und es zeigt sich: Kaum ein Bereich ist nicht betroffen. Vor diesem Hintergrund muss ein Rettungsschirm breit angelegt sein und unbürokratisch funktionieren. Frühzeitig muss jedoch auch Missbrauch bekämpft werden. Das gilt bspw. für spekulative Leerverkäufe von Hedgefonds an den Börsen.

Der Rettungsschirm der Bundes- und Landesregierung muss breit gefächert sein und alle betroffenen Bereiche berücksichtigen. Insbesondere Strukturen mit einer hohen Ehrenamtlichkeit und kleine und mittelständische Betriebe sind darauf angewiesen, möglichst unbürokratische Hilfen zu erhalten. Das abschließende Volumen dieses Rettungspaketes ist noch nicht zu beziffern. Vor diesem Hintergrund ist es in der jetzigen Zeit bedeutend, dass Politik das Signal sendet: Wir nehmen alle in den Blick und werden helfen! Zu prüfen ist auch, ob als unbürokratische Hilfe, auf die Rückzahlung bereits bewilligter Fördermittel und Zuschüsse an Kulturveranstaltende verzichtet werden kann - auch wenn Termine ausgefallen sind. Darüber hinaus kann die Auflegung eines "Tourismus-hat-Zukunft-Fonds" Hotels, Gastronomie und Tourismusgewerbe ermöglichen, über gezielte Kredite die Zeit der Besuchsflaute zu nutzen, um notwendige Sanierungs- und Baumaßnahmen vorzunehmen. Hier gilt es aus der Not eine Tugend zu machen.

Es gilt auch zu überprüfen, an welchen Stellen wichtige Infrastruktur durch Infektionsschutzmaßnahmen, bedroht ist. So wird der ÖPNV etwa durch den Ausfall der Mitfahrenden stark belastet werden - hier gilt es schon jetzt ein Programm zum Ausbau und zur Stärkung des ÖPNV aufzulegen und nicht zu riskieren, dass wichtige Infrastruktur wegbricht.

Die Corona-Krise wird mit einer schweren wirtschaftlichen Krise einhergehen. Diese ist bereits heute absehbar. Vor diesem Hintergrund ist es entscheidend, als Politik heute deutlich zu machen, dass parallel bereits an einem Investitionsförderprogramm gearbeitet wird, um den Folgen der Krise effektiv zu begehen. Deshalb fordern wir gleichzeitig die Vorbereitung von einem Investitionspaket, dass die sozial-ökologische Transformation in Niedersachsen voranbringt. Finanzielle Unterstützungsprogramme sollen hierbei so ausgerichtet sein, dass die notwendige sozial-ökologische Transformation und Innovation in Zukunftsbranchen unterstützt werden. Bestehende Strukturwandelprozesse werden durch die Folgen des Corona-Virus ggf. beschleunigt, das lässt sich nur teilweise aufhalten. Umso wichtiger ist es, dass die Investitionen, die sich anschließen schon jetzt vorbereitet werden und die ohnehin notwendigen Veränderungsprozesse unterstützen. So sehen wir einen erheblichen Bedarf in Investitionen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Wohnraumförderung und -sanierung, für unternehmerische Energieeffizienzmaßnahmen und sozial-ökologische Wirtschaftskonzepte, die Einführung neuer Mobilitätskonzepte und damit einhergehende Baumaßnahmen zur Reaktivierung und zum Bau von Bahnstrecken, dem Ausbau von Fahrradverkehr und ÖPNV. Jetzt in Kraft tretende Soforthilfeprogramme sind weiterzuentwickeln und den Gegebenheiten anzupassen. Weitere Liquiditätsengpässe sind zu beseitigen und Unterstützungszahlungen zur Wiederaufnahme der Betriebe zu prüfen. Wirtschaftsförderprogramme sind insbesondere für Kleinst- und Kleinbetriebe zu entwickeln.

Aus Krisen müssen wir lernen und das Gesundheitssystem langfristig stärken. Dass dringender Handlungsbedarf im Gesundheitswesen und in der medizinischen (Notfall-)Versorgung besteht, ist nicht erst seit Corona klar. Es steht außer Frage, dass einzelne Krankenhäuser nicht ausreichend ausgestattet sind, die Versorgung vor allem im ländlichen Raum nicht immer gewährleistet ist, das Personal überlastet ist und ein erheblicher Fachkräftemangel besteht. Der Fachkräftemangel besteht insbesondere in der Pflege. Mit welchen verheerenden Folgen das einhergeht, zeigt sich nun während der Corona-Krise. Viel zu oft geht es im Gesundheitssystem um Effizienz und wirtschaftliche Interessen. Das darf nicht sein. Stattdessen muss die Gesundheit von Patient*innen wieder in den Mittelpunkt gestellt werden. Erforderlich ist, dass Prävention und Gesundheitsförderung Priorität haben.

Notwendig ist der systematische Ausbau einer sektorenübergreifenden Zusammenarbeit. Ziel muss eine sektorenübergreifende integrierte medizinische Versorgung sein, die die ambulanten und stationären Angebote besser vernetzt. Das ist vor allem in einem Flächenland wie Niedersachsen wichtig, denn gerade hier werden die Probleme der schlechten Versorgungslage im ländlichen Raum besonders deutlich. Wir stellen uns gegen die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Rückblickend wird es nötig sein, das aktuelle Krisenmanagement und die derzeitige Situation in der medizinischen Versorgung vor dem Hintergrund von Corona zu bewerten und tiefgehend zu evaluieren. Ziel muss es sein, Lehren aus dieser Krise zu ziehen. Die kommunalen Gesundheitsämter sind in den letzten Jahren personell ausgedünnt worden. Das muss sich ändern. Kommunen brauchen eine ausreichende finanzielle Ausstattung, damit Gesundheitsschutz und medizinische Versorgung vor Ort gesichert sind. Eine vor dem Hintergrund der Epidemie wichtige Maßnahme ist die Wiederbelebung des kaputt gesparten Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Es fehlt an Personal und Ausstattung. Wir sehen Bund und Land in der Pflicht, jetzt endlich wirksame Schritte für eine nachhaltige personelle und finanzielle Stärkung der kommunalen Gesundheitsämter zu unternehmen.

Neben einem generell notwendigen Wandel im Gesundheitswesen, braucht es dazu auch eine Auseinandersetzung mit Fragen, die speziell den Umgang mit Infektionskrankheiten und das Krisenmanagement bei Epidemien sowie Pandemien betrifft. Kritisch betrachtet werden muss z. B. die Tatsache, dass Arzneimittel und Hygieneartikel vor allem aus anderen Teilen der Welt, mitunter aus Billiglohnländern, importiert werden. Eigenproduktionen für lebensnotwendige Medikamente und Impfstoffe müssen in Europa gesichert werden. Es ist richtig, dass der Landtag vor diesem Hintergrund eine Enquete-Kommission zur Gesundheitsversorgung eingerichtet hat, die Vorschläge zur Zukunft der Gesundheitsversorgung in Niedersachsen machen soll. Die derzeitige Krise zeigt einmal mehr auf, wie dringend der Handlungsbedarf ist.

Auch der Bereich der medizinischen Forschung muss weiter gestärkt werden. Insbesondere in den Bereichen, die medizinischen Hochschulen keine Forschungsgelder einbringen, muss der Staat die finanziellen Lücken schließen, um auch in diesen Bereichen Forschung zu ermöglichen, Beispiele sind hier etwa Geschlechterunterschiede bei der Behandlung von Erkrankungen, Hormonforschung, Prävention, Ernährung, Umwelteinflüsse, Kindergesundheit und vieles mehr. Corona zeigt aber auch, dass insbesondere Forschung im Bereich der Tierhaltung erfolgen muss. Deshalb ist die Forschung zum Ursprung der Virus-Erkrankung zu intensivieren. Insbesondere ist zu überprüfen inwieweit Übertragungen zwischen Nutztieren und Menschen zu bewerten sind. Im Agrarland Niedersachsen ist dies von existenzieller Bedeutung. Forschungen wie die des Friedrich-Löffler-Instituts müssen ausgebaut werden.

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