Antrag: Energiewirtschaft muss auf Effizienz setzen: Klimakiller Kohlekraftwerke in Niedersachsen stoppen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Niedersächsische Landtag stellt fest:

  • Der Neubau von Kohlekraftwerken in Dörpen, Emden, Wilhelmshaven und Stade mit Wirkungsgraden von lediglich 46 - 50 Prozent ist kein Beitrag zum Klimaschutz, weil dabei die Wärme in der Regel ungenutzt an die Umwelt abgegeben wird.
  • Kohlekraftwerke emittieren ca. 800 Gramm Kohlendioxid, um eine Kilowattstunde Strom zu erzeugen. Gas- und Dampfturbinenkraftwerke (GuD-Kraftwerke) hingegen lediglich 380 g/kwh Strom und Blockheizkraftwerke nur 50 g/kwh Außerdem emittiert ein 750 MW Kohlekraftwerk jährlich etwa 400 t Feinstaub, 8.000 t Schwefel- und Stickoxide, 6 t Blei, 1 t Arsen, 0,6 t Quecksilber und 0,5 t Cadmium, die die Gesundheit der Anwohner belasten.
  • Beim Bau von dezentralen Kraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung ließen sich hingegen Wirkungsgrade von ca. 90 Prozent erreichen, weil Wärme und Strom gleichzeitig genutzt werden.
  • Der in Niedersachsen geplante Neubau von Kohlekraftwerken würde monopolistische Strukturen in der Stromwirtschaft weitgehend zementieren und die Klimaschutzziele, zu denen sich Deutschland verpflichtet hat, massiv in Frage stellen.

Der Niedersächsische Landtag fordert die Landesregierung daher auf:

  • Ein Landesklimaschutzgesetz vorzulegen, das den Neubau von Kraftwerken mit Wirkungsgraden unterhalb von 80 Prozent ausschließt und Hemmnisse für den Ausbau der Kraft-Wärmekopplung beseitigt.
  • Die Wasserentnahmegebühr für die Kühlung bestehender und neuer Kondensationskraftwerke ohne Kraft-Wärmekopplung zu verdoppeln.
  • Weder mittelbar noch unmittelbar Grundstücke, Landesgelder, EU-Fördergelder oder sonstige Unterstützung für neue Kohlekraftwerke bereitzustellen.
  • Den Bau von Kraftwerken ohne Kraft-Wärme-Kopplung im Landesraumordnungsprogramm als mit den Klimazielen unvereinbar grundsätzlich auszuschließen.

Begründung

Stolz verkündete Ministerpräsident Wulff im Januar dieses Jahres, dass in Niedersachsen bis zu 13 neue Kraftwerke gebaut werden sollen. Sein Umweltminister wollte kürzlich sogar zusätzliche Kohlekraftwerke von möglicherweise aufgegebenen Standorten in Hessen und Hamburg in Niedersachsen ansiedeln und Wulff selbst will Niedersachsen zum "Land der neuen Generation der Kohlekraftwerke machen". (HAZ 1.4.08)

Vornehmlich an der Küste planen Energieversorger neue Kohlekraftwerke, weil sie auf billige Importkohle, Rabatte beim Emissionshandel und die eine oder andere direkte und indirekte Förderung des Landes setzen. In Emden will die niedersächsische Hafengesellschaft Niedersachsen Ports ein 370.000 Quadratmeter großes Grundstück für zwei große Kraftwerksblöcke mit je 800 MW bereitstellen. Weitere Kraftwerke sind für Dörpen, Wilhelmshaven und Stade in Planung.

Eines haben alle diese Pläne gemeinsam. Man will Strom produzieren. Die anfallende Wärme kann aber in den produzierten Mengen nicht genutzt werden und muss daher an die Umwelt abgegeben werden. Als Kühlmittel soll dabei Fluss- oder Meerwasser eingesetzt werden.

Angesichts der aktuellen Nachrichten über den vom Menschen verursachten Klimawandel, angesichts des IPCC-Berichts zu den Folgen des Klimawandels für Menschen, Tiere und Pflanzen, angesichts des Stern-Berichts über die fatalen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Folgen, angesichts neuer Studien über beschleunigte Gletscherschmelze und den steigenden Meeresspiegel, ist unverständlich, dass heute noch Kraftwerke gebaut werden sollen, die nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen und nur völlig unzureichende Wirkungsgrade erreichen.

Ärzteinitiativen warnen zudem vor dem Anstieg von Krankheiten in unmittelbarer Nähe von Kohlekraftwerken. Trotz modernster Filteranlagen und bei Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte sei im Betrieb mit erheblichen Schadstoffmengen zu rechnen. 883 Ärzte aus dem Saarland, aus Mainz, Krefeld und Wilhelmshaven haben auf wissenschaftliche Studien verwiesen, die zeigen, dass diese u.a. zu Atemwegs- und Herzkreislauferkrankungen, Asthma, Allergien und Schädigungen des Nervensystems führen können.

Der Manager Fritz Vahrenholt vom Stromkonzern RWE malt jetzt wieder eine Stromlücke an die Wand und propagiert "saubere" Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung. Abgesehen von den Problemen und Kosten einer Jahrhunderte währenden sicheren Speicherung, erwähnt Herr Vahrenholt auch nicht, dass die CO2-Abscheidung die Wirkungsgrade solcher Kohlekraftwerke noch tiefer in den Keller drücken würde.

Vor 25 Jahren wurde den Gegnern der Atomkraft von der Atomindustrie prophezeit, dass "die Lichter ausgehen", wenn die wahnwitzigen Ausbaupläne aufgegeben würden. Wer sich damals für erneuerbare Energien einsetzte wurde als Phantast bezeichnet. Heute stellen wir fest, dass die erneuerbaren Energieträger eine beispiellose Entwicklung genommen haben. Was damals nicht nur von der Atomindustrie belächelt wurde, ist heute eine Zukunftstechnologie, die mehr als 200.000 Arbeitsplätze in Deutschland sichert und das Potenzial als wichtigster Exportmotor hat.

Technologisch und volkswirtschaftlich ist die Verschwendung von Primärenergie in Großkraftwerken nicht zu rechtfertigen. Mit angepasster Technologie muss der veraltete Kraftwerkpark so ausgebaut werden, dass die Wärme am Standort genutzt werden kann. Wo keine Wärmenetze vorhanden sind, müssen sie ausgebaut werden. Auch im industriellen Bereich ist Kraft-Wärme-Kopplung Zukunftstechnologie.

Die Kampagne von Strommanagern wie Vahrenholt, Großmann und Bernotat hat einen ganz anderen Grund. Man fürchtet nicht um die "Stromlücke" oder die Versorgungssicherheit, sondern um Marktmacht und Monopolrenditen. Wettbewerb und Marktwirtschaft wurden in dieser Branche weitgehend außer Kraft gesetzt. Für die Atomkraft wurden milliardenschwere Dauersubventionen durchgesetzt, wie Steuerfreistellungen und eine viel zu niedrige Obergrenze für die Betriebshaftpflichtversicherung. Auch vor Korruption und merkwürdigen "Geschenken" an Politiker schreckt diese Branche nicht zurück, wenn es um die Durchsetzung ihrer Interessen geht: Hunderte Millionen Euro hat die Siemens-Kraftwerkssparte für Bestechung ausgegeben, teure WM-Tickets hat EnBW an Politiker verschenkt und E.ON Töchter haben Politiker rechtswidrig mit Venedigreisen beglückt.

Es ist an der Zeit mit den alten Regeln zu brechen. Maßstab eines Energiekonzepts der Zukunft muss höchstmögliche Effizienz, radikale Energieeinsparung und der Einsatz erneuerbarer Energiequellen sein. Ökologie und Ökonomie dürfen nicht mehr auseinander dividiert werden. Was nützt uns ein Konzern, der zwar seine Bilanz ins Lot bringt, der Öffentlichkeit aber Folgelasten und Folgeschäden hinterlässt, die wir und unsere Kinder jahrzehntelang auf Heller und Pfennig zurückbezahlen müssen.

Es ist auch eine Illusion zu glauben, dass sich ein Anstieg der Strompreise mit Kohlekraftwerken bekämpfen ließe, wie Ministerpräsident Wulff im Deutschlandfunk vom 9.3.08 meinte. Gerade weil Rohstoffe und Energieträger knapper werden, müssen wir effizienter damit umgehen. Gerade weil die steigenden Energiepreise auch sozialen Sprengstoff bergen, muss endlich auf Einsparung und Effizienz gesetzt werden.

Die Herausforderung des Klimawandels ist gewaltig. Eine neue DIW-Studie kalkuliert die Kosten für Deutschland auf bis zu 800 Mrd. Euro in den nächsten 50 Jahren. Dabei habe Niedersachsen laut DIW (3/2008) mit 89 Mrd. Euro zu rechnen, was etwa 1,6 Prozent der niedersächsischen Bruttowertschöpfung entspricht. Anpassungskosten für Küstenschutz und Hochwasser im Binnenland stehen dabei noch aus. Die Gesamtsumme entspräche Jahr für Jahr etwa 10 Prozent des heutigen Haushaltsvolumens.

Das Land hat vielfältige Möglichkeiten auf die künftige Struktur der Energieversorgung Einfluss zu nehmen. Neben dem Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, können das Energierecht, das Bauordnungsrecht und das Kommunalrecht genutzt werden. Entgegen dem ersten Anschein enthält das Energiewirtschaftsgesetz keine abschließende Regelung zur Gesamtmaterie der Energieversorgung. Daher steht den Bundesländern hier Gesetzgebungskompetenz zu, soweit sich im Konkreten keine Kollision mit übergeordnetem Recht ergibt. Zur Wärmenutzung enthält dieses Gesetz praktisch gar keine Regeln. Deshalb haben die Länder hier laut einer Studie der FU Berlin für das Bundesumweltministerium (2007) sogar die "uneingeschränkte Gesetzgebungskompetenz".

Die gesetzgeberischen Möglichkeiten können genutzt werden, indem grundsätzlich die Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplung festgeschrieben wird. In der Praxis kann sich hier die Festlegung eines Prozentsatzes beim Wirkungsgrad als sinnvoll herausstellen.

Das Land kann die Wasserentnahmegebühr festlegen. Seit 1999 sind die Gebührensätze nicht mehr angepasst worden. Eine Verdopplung der Gebühren für die Entnahme von Wasser zu Kühlzwecken wäre ein sinnvoller Beitrag zur Einschränkung der Entnahme von Kühlwasser.

Grundsätzlich sollte das Land alle Möglichkeiten der direkten Einflussnahme nutzen. Grundstücksverkäufe, Zuschüsse aus Landesmitteln und mittelbare Unterstützung von Kraftwerksbauten ohne zukunftsweisende Wirkungsgrade müssen in Zukunft unterbleiben.

Stefan Wenzel

Fraktionsvorsitzender

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