Antrag: Energiewende in Bürger*innenhand: Wirtschaft ankurbeln, Klima schützen, Erneuerbare Energien dezentral ausbauen!

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Das historische Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat es bestätigt: Wirksamer Klimaschutz ist nötig, um die Freiheitsrechte künftiger Generationen zu schützen. Das verfassungsrechtliche Gebot, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, erfordert konkrete Zielpfade und Maßnahmen, um den 1,5-Grad-Pfad zu erreichen.

Mit gezielten Anreizen für eine zukunftsfähige Entwicklung kann dabei eine doppelte Rendite erzielt werden: Investitionen in klimafreundliche Technologien bekämpfen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie und tragen gleichzeitig zum Klimaschutz bei. Das schafft Chancen für technische Entwicklungen und neue, sichere Arbeitsplätze. Im Fokus muss insbesondere die dezentrale Energiewende in Bürger*innenhand stehen.

SPD und CDU haben der Energiewende jahrelang Steine in den Weg gelegt. Auch die nächste Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), die die Große Koalition im Bund für das erste Quartal 2021 angekündigt hatte, lässt weiter auf sich warten. Am 30. Juni 2021 läuft zudem die Umsetzungsfrist der EU-Erneuerbare-Energien-Richtlinie aus, die die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, bei der Förderung von Erneuerbaren die Besonderheiten von Bürger*innen-Energiegemeinschaften zu berücksichtigen.

Der Windkraftausbau kam in Norddeutschland in den letzten Jahren fast zum Erliegen. Durch die Außerbetriebnahme von Altanlagen, die nach 20 Jahren aus der EEG-Förderung fallen, droht zudem ein Netto-Rückbau von Windenergieleistung. Wuchs die Onshore-Windleistung in Niedersachsen in der rot-grünen Regierungszeit um 38 Prozent, brach der Ausbau unter Rot-Schwarz seit 2017 bis 2020 auf gerade mal 8 Prozent ein[1].

Die Belastungen und Hürden bei selbsterzeugtem Solarstrom und die umfängliche Ausschreibungspflicht sind Ausbaubremsen und stellen insbesondere an kleine Energieprojekte hohe Anforderungen. Die Rahmenbedingungen für Mieter*innenstrom wurden von der Bundesregierung so unattraktiv gestaltet, dass Solarprojekte auf Mehrfamilienhäusern bisher die aufwendige Ausnahme sind.

Die Vorteile einer dezentralen Energieversorgung mit direkter Beteiligung von Bürger*innen, Energiegenossenschaften und kommunalen Unternehmen liegen auf der Hand: Mehr Transparenz durch Vor-Ort-Erzeugung verbunden mit bedarfsorientiertem Ausbau und der finanziellen Beteiligung der Menschen vor Ort, die damit auch zu einer Identifikation mit den EE-Anlagen aus der Umgebung führt.

Um den derzeit existierenden Fehlsteuerungen auf Bundesebene etwas entgegenzusetzen, kann das Land Niedersachsen kurzfristig wirksame Maßnahmen auf den Weg bringen, um die Erzeugung von erneuerbarem Strom und Wärme in Bürger*innenhand zu erhöhen, ohne die bisher unzureichend ausgebauten Netze zusätzlich zu belasten.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf

  1. einen Bürger*innen-Energiefonds in Höhe von zunächst 10 Mio. Euro nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins aufzulegen, um finanzielle Risiken für Bürger*innen-Energiegesellschaften in der Startphase abzumildern. Der Fonds soll Projekte zur erneuerbaren Erzeugung und Verteilung von Strom und Wärme unterstützen.
  2. Die Nutzung von Solarenergie auf landeseigenen Dächern zu beschleunigen. Wo das Land keine eigenen Solaranlagen realisiert, sind geeignete Dachflächen vorrangig Akteuren der Bürger*innen-Energie zur Verfügung zu stellen[2].
  3. Den Fachkräftemangel im Bereich der Erneuerbaren Energien durch eine Ausbildungsinitiative und Umschulungsprogramme zu bekämpfen,
  4. Einen zeitgemäßen Rahmen für die energetische Sanierungen auch in denkmalgeschützten Gebäuden zu schaffen, den Erlass „Denkmalschutz und Solaranlagen“ des MWK von 2003 anzupassen und die starre Begrenzung der Solarnutzung auf maximal 10% der Dachfläche denkmalgeschützter Gebäude aufzuheben.

Weiterhin fordert der Landtag die Landesregierung auf, sich beim Bund dafür einzusetzen:

  1. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz endlich an den Pariser Klimazielen auszurichten und verlässliche Ausbauziele zu schaffen. Der Ausbau der Solarenergie ist auf mindestens 10 GW jährlich zu verdoppeln, der Netto-Ausbau der Windenergie an Land muss jährlich mindestens 5-6 GW erreichen.
  2. Die im Zuge der letzten EEG-Novelle lediglich angekündigten weiteren Änderungen des EEG schnellstmöglich umzusetzen und die Förderbedingungen so ausgestalten, dass die ambitionierten Ausbauziele auch erreicht werden können. Dabei klarzustellen, dass erneuerbare Energien im öffentlichen Interesse sind und der öffentlichen Sicherheit dienen.
  3. Kleinen Windenergieprojekten bis zu einer Leistungsgrenze von 18 MW und Solaranlagen bis 1 MW eine Einspeisevergütung zu garantieren und von der Ausschreibungspflicht zu befreien, entsprechend der vorhandenen De-Minimis-Regelung im EU-Beihilferecht.
  4. Die Hürden für Mieter*innenstrom abbauen und die rechtlichen Voraussetzungen für Energy-Sharing zu schaffen, damit erneuerbarer Strom zu einem attraktiven Strompreis für Bewohner*innen von Mehrfamilienhäusern und Mitglieder von Bürger*innen-Energiegemeinschaften zugänglich wird.
  5. Eine dauerhafte und verlässliche Regelung zu schaffen, um nach Ablauf der 20-jährigen EEG-Förderperiode den Weiterbetrieb von Ü20-Photovoltaik-Anlagen und Windenergieanlagen, die nicht repowert werden können, abzusichern.
  6. Auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, bei der Neufassung des EU-Beihilferechts die Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen so weiterzuentwickeln, dass das Potential der Bürger*innen-Energie voll erschlossen werden kann.

Begründung

Die umfassende Ausschreibungspflicht bevorzugt tendenziell große Energieunternehmen. Kleine Bürger*innen-Energiegesellschaften hingegen können die gesetzten Hürden oft nicht überwinden und haben keine Möglichkeit, die finanziellen Risiken des Ausschreibungsverfahrens auf mehrere Anlagen zu streuen. Die Gewährleistung einer Anschubfinanzierung, um kleine Energieprojekte in der Hand von Bürgerinnen und Bürgern gerade zu Beginn der Projektphase zu unterstützen, kann der dezentralen Energiewende neuen Schwung verleihen. Diese Maßnahme kann das Land zudem eigenverantwortlich, schnell und unbürokratisch umsetzen und damit unabhängig von der Bundesgesetzgebung ein positives Klima für erneuerbare Energieerzeugung schaffen.

Auch bei besseren gesetzlichen Regelungen für die (Bürger*innen-)Energiewende wird der Mangel an Fachkräften ein immer stärkeres Hemmnis für den Ausbau der Erneuerbaren Energien. Auch hier kann und muss das Land in Zusammenarbeit mit der Branche selbst aktiv werden und durch eine Ausbildungsinitiative und Umschulungsprogramme Menschen dazu befähigen, die Energiewende voranzubringen und beruflich davon zu profitieren.

Die im EU-Beihilferecht ausdrücklich gewährte Ausnahmeregelung für kleine Windenergieprojekte (De-Minimis-Regelung) muss in Deutschland schnellstmöglich zum Tragen kommen, um auch durch Bürger*innen getragene Windparks wieder zu ermöglichen. Die EU-Kommission hat jüngst eine Konsultation zum Entwurf der Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen gestartet. Die Förderung der Bürger*innen-Energie wird im Kommissionentwurf bislang jedoch nicht berücksichtigt. Ziel der Neufassung ist, den Mitgliedsstaaten mehr Spielraum für Investitionen in Dekarbonisierungsprojekte zu geben. In diesem Zuge sind die geltenden De-Minimis-Regelungen für die Bürger*innen-Energie zu erhalten und weitere Hürden abzubauen.

Das Eigenstromprivileg, also die Befreiung von selbsterzeugtem und eigenverbrauchtem Strom, kommt weiterhin überwiegend Eigenheimbesitzer*innen zu gute. Die bürokratischen Hürden für Mieter*innenstrom sind weiterhin hoch. Auch die enge Begrenzung für Lieferung und Verbrauch von Mieter*innenstrom im eigenen Quartier ohne Netzdurchleitung blockiert die Umsetzung von Projekten im Bereich Mieter*innenstrom und Energysharing. Um den Ausbau der Photovoltaik auf möglichst vielen Dächern voranzutreiben, sollten Gemeinschaftsprojekte rechtlich eine Gleichbehandlung erfahren. Dafür muss die Hürde gekippt werden, wonach eine Personenidentität zwischen Anlagenbetreiber*in und Energieverbraucher*in erforderlich ist. Gerade die verbrauchsnah produzierte Energie kann einer Überlastung der Übertragungsnetze entgegenwirken.


[1] Installierte Leistung laut Deutsche Windguard: 7.646 MW in 2013, 10.582 MW in 2017, 11.430 MW in 2020

[2] Unterrichtung der LR zum LT-Beschluss Wärmewende: Vor diesem Hintergrund hat das Land ein Solarkataster, das ca. 3 000 landeseigene Gebäude umfasst, erstellen lassen. Als Ergebnis stehen diverse Informationen zum Solarpotenzial (Strom und Wärme) der Dachflächen zur Verfügung. Neben der Möglichkeit, Photovoltaikanlagen selbst zu errichten und den erzeugten Strom selbst zu nutzen, sieht das Land Pacht- oder Mietmodelle, bei denen z. B. ein externer Betreiber die Dachflächen für die Erzeugung von Photovoltaikstrom nutzt, als sehr bedeutenden Faktor. Gegenwärtig wird geprüft, ob und in welchen Umfang Drittanbieter bereit sind, Dachflächen des Landes zu mieten bzw. zu pachten, um dort Photovoltaikanlagen zu errichten.

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