Antrag: Energiewende beschleunigen – Stromnetze zukunftsfähig machen

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Hannover, den 13.06.2012
Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag bittet die Landesregierung bei den Berechnungen für den 2. Entwurf des Netzentwicklungsplans jeweils Szenarien mit den folgenden alternativen Rahmenbedingungen einzufordern:

  • Ein deutlich höherer zu erwartender  Ölpreis für die Jahre 2022 und 2032,
  • eine deutlich höhere Onshore Windleistung in den Bundesländern, Baden-Württemberg, Bayern und Hessen,
  • einen deutlich höheren Ausbau von dezentralen Stromspeichern,
  • eine deutliche Erhöhung der Einsparung von Strom durch Steigerung der Energieeffizienz ,
  • die von den Übertragungsnetzbetreibern im Rahmen der Regionalisierung oder der Netzmodellierung noch vorzulegenden Daten zu den errechneten oder geschätzten Anteilen der Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen an der jeweiligen Erzeugungsart (differenziert nach Kraftwerken über und unter 20 MW Erzeugungskapazität) einzubeziehen,
  • kurzfristig von den Übertragungsnetzbetreibern im Rahmen der Regionalisierung oder der Netzmodellierung die unter Zugrundelegung eines nachvollziehbaren Marktmodells zu ermittelnden wahrscheinlichen Stromerzeugungsmengen zu ermitteln. Diese Daten sowie der voraussichtliche Primärenergieeinsatz sowie die voraussichtlichen Treibhausgasemissionen sind bei der Beurteilung eines umweltverträglichen und möglichst wenig Klima belastenden Netzausbaus zu berücksichtigen,
  • die regionalen und überregionalen Leistungsflusszahlen analog zu den Verkehrsmengenkarten des Bundesverkehrswegeplans zu veröffentlichen,
  • eine Zusammenlegung der Netzregelungszonen und ein bundesweites Netzengpassmanagement im Stromnetz vorzusehen,
  • die Einführung von Kapazitätsmärkten für die Residuallast zwischen Nachfrage und der Einspeisemenge der Erneuerbaren Energien vorzusehen,

Der Landtag stellt fest:

  • Die Energieversorgung mit Strom und Wärme aus erneuerbaren Energiequellen muss sehr stark dezentral ausgerichtet sein, um alle Effizienzpotenziale zu heben. Daran muss sich eine zielgerichtete, effiziente und kostenoptimierte Netzentwicklung orientieren. Die Netzentwicklung muss die Anforderungen der Betreiber lokaler Netze berücksichtigen und lokale Stromproduzenten und Betreiber von Speichern offensiv unterstützen (Stadtwerke, lokale Energiewerke, Solargenossenschaften, Bürgerwindkraftgesellschaften, Energiewirte, klein- und mittelständische Unternehmen).
  • Die Stromnetze sind wichtige Elemente der Daseinsvorsorge und müssen als leitungsgebundene natürliche Monopole so bewirtschaftet werden, dass sie allen Nutzern zu gleichen und fairen Bedingungen zur Verfügung stehen.

Der Landtag fordert die Landesregierung daher auf:

  • Gemeinsam mit den übrigen Bundesländern und dem Bund ein Konzept zur Gründung einer Bundesnetzgesellschaft für die Spannungsebene der Höchstspannungs- und Übertragungsnetze zu entwickeln und den Parlamenten zur Beratung vorzulegen.

Begründung

Die Szenarien im ersten Entwurf des Netzentwicklungsplans sind nicht abdeckend. Aktuelle Entwicklungen in den südlichen Bundesländern sind nicht ausreichend berücksichtigt. Die Annahmen für die Ölpreisentwicklung sind nicht realistisch. Die Einsparungsmöglichkeiten von Strom sind unzureichend berücksichtigt. Kapazitätsmärkte und ihre mögliche Wirkung für den Bau von Speichern und Spitzenlastkraftwerken sind nicht ausreichend berücksichtigt. Einige weitere Randbedingungen sind im Rahmen der Szenarioentwicklung ebenfalls im zweiten Entwurf zu modellieren. Zwingend notwendig ist zudem – analog zu den Verkehrsmengenkarten im Bundesverkehrswegeplan - die Veröffentlichung von Leistungsflussdaten, um eine Prüfung der vorgeschlagenen Maßnahmen durch unabhängige Dritte bei Planerstellung und im Betrieb zu ermöglichen.

Der Ausbau der Windenergie erfolgte in der Vergangenheit überwiegend im Norden Deutschlands. Länder wie Hessen, Bayern und Baden-Württemberg haben den Ausbau der Windenergie über lange Zeit politisch blockiert. Auch Nordrhein-Westfalen hat die mögliche Entwicklung zu schwarz-gelben Zeiten stark abgebremst. Die politischen Bedingungen haben sich geändert, so dass auch in diesen Ländern jetzt zügig die Windenergie ausgebaut werden wird. Die natürlichen Standortvorteile der windhöffigen Küstenländer wird diese Entwicklung aber nicht vollständig ausgleichen können. Der konsequente Ausbau der Erneuerbaren Energien erfordert eine ständige Orientierung an der ökonomischen Effizienz der Technik zur Erzeugung von Strom aus regenerativen Quellen. Dabei hat sich gezeigt, dass gerade im Bereich der erneuerbaren Energien dezentrale Lösungen bei gleichem Kosteneinsatz in der Regel die höchsten Wirkungsgrade aufweisen. Diesen Spannungsbogen gilt es bei künftigen Planungen zu beachten.

Energiewende braucht leistungsfähige Stromnetze

Jahrelang wurden die Netze von den Gebietsmonopolisten missbraucht, um ihre Märkte abzusichern und abzuschotten. Dezentrale Produktion von Strom aus regenerativen Quellen und aus Blockheizkraftwerken wurde lange als unwillkommene Konkurrenz betrachtet. Neuanschlüsse wurden in der Fläche oft mit Verweis auf mangelnde Netzkapazitäten abgelehnt oder verzögert. Momentan müssen Windkraftanlagen zeitweise Zwangspause machen, wenn dem Netz Überlastung droht. Gleichzeitig gerät der Anschluss der Offshore-Anlagen in Verzug. Noch immer orientieren sich die Netzstrukturen an den alten Gebietsmonopolen und ignorieren Synergieeffekte.

Netze zukunftsfähig machen

Engpässe im Netz müssen beseitigt werden. Das Netz der Zukunft wird vorrangig den Strom von vielen Tausend Stromproduzenten aufnehmen und verteilen. Hauptaufgabe der Netzbetreiber wird auch künftig die  Netzführung und die Sicherstellung der Netzstabilität  sein. Das Netz muss allen Wettbewerbern zu fairen Konditionen offen stehen. Die jederzeitige Einspeisung vieler verschiedener Stromproduzenten zu wettbewerbsneutralen Bedingungen muss sichergestellt sein.

Die Netznutzungsentgelte sollten bundesweit ausgeglichen und neu strukturiert werden, damit Netzinvestitionen nicht regional zu höheren Energiekosten und Wettbewerbsnachteilen führen.

Neben den Übertragungsnetzen sind insbesondere die Optimierung und der Ausbau der Verteilnetze eine entscheidende Herausforderung für die Energiewende. Dienten diese von Regionalversorgern und Stadtwerken betriebenen Netze in der Vergangenheit ausschließlich der Verteilung von Strom an die Verbraucher, müssen sie auch Strom aus vielen Erzeugungsanlagen der Erneuerbaren Energien und der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) aufnehmen und je nach Netzsituation auch auf höhere Spannungsebenen zur Weiterverteilung bringen. Das erfordert sowohl einen Ausbau des Verteilnetzes als auch dessen technische Optimierung, um die Netzstabilität zu gewährleisten, ohne dass Anlagen der Erneuerbaren Energie ständig abgeschaltet werden müssen. Vor diesem Hintergrund muss die Regulierung insbesondere mehr Anreize für Investitionen zur Optierung und zum Ausbau der Verteilnetze setzen. Um  Stromüberschüsse besser zu nutzen, muss das konventionelle Elektrizitätsnetz durch Kommunikations-, Mess- und Regeltechnik zu einem  steuerbaren "Smart-Grid" aufgerüstet werden.

Bundesnetzgesellschaft

Eine effiziente Überwachung des Strommarktes ist seit Jahren überfällig. Dabei hat die missbräuchliche Bewirtschaftung der Netze eine besondere Bedeutung. Einerseits wurde der Netzausbau für Erneuerbare verschleppt, um das Erzeugungsmonopol der großen Verbundunternehmen zu sichern. Andererseits werden Informationen aus dem Netzbetrieb als Geschäftsgeheimnisse gehütet. Wir wollen diese Daten allen Interessenten im Markt diskriminierungsfrei zur Verfügung stellen.

Eine effiziente Überwachung der Netze ist bei den derzeitigen Strukturen kaum sicherzustellen. Die Marktstruktur und die Netzbewirtschaftung muss so organisiert werden, dass der Regulierungs- und Überwachungsbedarf auf ein Minimum beschränkt wird. Die eigentumsrechtliche Entflechtung der großen Stromversorger muss weiter vorangetrieben werden. Bei den Stromnetzen als notwendige Infrastruktur der Daseinsvorsorge soll eine auch eigentumsrechtlich gesicherte bestimmende Gestaltungsmöglichkeit der öffentlichen Hand garantiert sein. Bei lokalen Stromnetzen ist das bereits weitgehend Praxis, nämlich überall dort, wo die Netze im Eigentum der Kommunen über ihre Stadt- und Gemeindewerke stehen. 

Die Spannungsebene der Höchstspannungs- und Übertragungsnetze sollen von einer neu zu schaffenden Bundesnetzgesellschaft gesteuert und bewirtschaftet werden. Die vier Regelzonen in Deutschland müssen zu einer Regelzone zusammengefasst werden.

Transparenz und Bürgerbeteiligung

Die Annahmen und die Berechnungen zum Netzausbaubedarf müssen von den Netzbetreibern vollständig transparent gemacht werden. Notwendig ist in allen Planungsphasen eine frühzeitige und ergebnisoffene Bürgerbeteiligung, die in aller Regel zu besseren Planungsergebnissen führt. Erste positive Ansätze bietet die laufende Netzentwicklungsplanung. Die Erkenntnisse aus diesem Verfahren sollten für den gesamten Netzausbau genutzt werden. Der Netzausbau muss sich künftig an den Anforderungen einer von Erneuerbaren Energien dominierten Erzeugungsstruktur orientieren.

Anschlusssicherheit gewährleisten

Künftig muss sichergestellt sein, dass keine Windräder mehr zwangsabgeschaltet werden müssen und alle dezentralen Anlagen zur Produktion von Erneuerbaren Energien zügig an das Netz angeschlossen werden können. Fertig gestellte Offshore-Windanlagen müssen unverzüglich eine Netzanbindung erhalten. Investoren und Banken müssen bei erfolgreicher Fertigstellung genehmigter Anlagen – Onshore und Offshore - die Sicherheit der vergüteten Einspeisung haben.

Die Netze der Zukunft müssen ermöglichen, dass  Kühlanlagen  bei Verbrauchsspitzen auch mal kurz innehalten oder das parkende Elektroauto mit seiner Batterie als Speicher dient. Im Netz der Zukunft können die Schwankungen von Wind und Sonne durch konventionelle Speicherkraftwerke, Nutzung von Windgas, elektrochemische und chemische Speichertechnologien, intelligente und nutzerfreundliche Steuerung von Verbrauchern und übrigen Erzeugern ausgeglichen werden.

Überfällig ist der Bau von zunächst zwei Seekabeln, die die norddeutschen Windräder mit Wasserkraftwerken in Skandinavien verbinden, die Sicherstellung der Netzstabilität erleichtern  und einen Tausch von Wind gegen Wasserstrom – je nach Tageszeit, Wetter und Nachfrage –ermöglichen. Seit fast zehn Jahren wird der Bau von den Stromversorgern verzögert, weil sie ein Geschäftsmodell fürchten, dass ihren Altkraftwerken auch preislich gefährlich werden kann.

Prinzip NOVA: Netzoptimierung vor Verstärkung vor Ausbau

Die Stromnetze müssen schnell für die Energiewende fit gemacht werden, um neue Anlagen anschließen zu können und Abschaltungen durch Netzüberlastungen zu vermeiden. Dabei gilt das Prinzip Netzoptimierung vor Verstärkung vor Ausbau [NOVA] mit dem Ziel, den volkswirtschaftlichen Aufwand zu optimieren. Dazu gehören u.a. die Hochtemperaturbeseilung vorhandener Tragstrukturen und Ausbau entlang bestehender Infrastruktur, Netzengpassmanagement und Leitungsmonitoring mit einer entsprechenden Sensorik zur Temperaturerfassung in Echtzeitmessung.

Erdkabel als weithin akzeptierte Alternative zu Freileitungen können und werden den Ausbau beschleunigen. Hochspannungsleitungen mit 110 kV sollen im Regelfall unterirdisch verlegt werden. Die Erd-Verkabelung von Drehstrom Höchstspannungsleitungen verursacht nach heutiger Technik höhere Kosten gegenüber Freileitungssystemen. Dazu kommen technische Unwägbarkeiten (Muffen etc.), die in einem Zielkonflikt mit der Versorgungssicherheit stehen. Für kürzere Trassenabschnitte (i.d.R. < 20 km zur Vermeidung von Kompensatorenbauwerken) können Drehstrom Erdkabellösungen in sensiblen Gebieten zur Konfliktminimierung beitragen. Die damit verbundene zügigere Umsetzung des Ausbaus des Netzes überkompensiert zumeist den Aufwand und führt daher zu volkswirtschaftlich positiven Effekten. Deshalb sind Netzprojekte auch auf der Drehstrom Höchstspannungsebene in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen. Das Netzausbau-Beschleunigungsgesetz [NaBeG] muss erweitert werden, um Rechtssicherheit für Erdkabelbau auf kurzen Streckenabschnitten für Drehstrom Höchstspannungsleitungen zu schaffen und Planungssicherheit für unterirdische Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ-Trassen) auf längeren Strecken zu schaffen. Zügig soll Hochspannungsgleichstromübertragung als Alternative zu Drehstromanwendungen auf Pilotstrecken erforscht und erprobt werden.

Mittelfristig werden sich die Erneuerbaren Energien ohne jede Unterstützung am Markt durchsetzen. Bis dahin braucht es verlässliche Rahmenbedingungen, die nicht im Rhythmus von zwei Monaten in Frage gestellt werden dürfen. Zudem müssen alle Subventionen für fossile und  nukleare Stromproduktion aus Gründen des Klimaschutzes und unter dem Gesichtspunkt der Effizienz eingestellt werden.

Stefan Wenzel
Fraktionsvorsitzender

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