Antrag: Einsetzung eines 21. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (Asse)

Antrag

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Hannover, den 05.05.09

Einsetzung eines 21. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Gemäß Artikel 27 der Niedersächsischen Verfassung wird der 21. Parlamentarische Untersuchungsausschuss eingesetzt.

I. Der Untersuchungsausschuss hat die Aufgabe aufzuklären,

- wer die politische, juristische und wissenschaftliche Verantwortung für das Desaster in der Schachtanlage Asse trägt und wer für die Folgen und Kosten haftbar gemacht werden kann, warum die wissenschaftlichen und politischen Aussagen und Einschätzungen zur Sicherheit der Asse als "Versuchs-", "Forschungs-" und "Endlager" für radioaktive Abfälle sich innerhalb weniger Jahre als völlig haltlos erwiesen haben und wie Behörden, politisch Verantwortliche und wissenschaftliche Einrichtungen darauf reagiert haben,
- welches radioaktive, chemisch-toxische und organische Inventar tatsächlich in der Schachtanlage Asse eingelagert wurde, aus welchen Atomkraftwerken und sonstigen Atomanlagen, von welchen Lieferanten und Verursachern der Müll jeweils angeliefert wurde, wo der Müll tatsächlich entstanden ist, wie der Müll jeweils klassifiziert war und welche Umlagerungen nach Ende des Einlagerbetriebs im Bergwerk vorgenommen wurden,
- wie die Forschungskonzepte für die Asse angelegt waren, wie Forschungskonzepte evaluiert wurden, und auf welchen fachlichen, gutachtlichen, wissenschaftlichen, politischen und rechtlichen Grundlagen die Auswahl der Schachtanlage als Endlager sowie die Einlagerungen und Forschungsaktivitäten in Asse II erfolgt sind, welche Maßnahmen nach 1978 die weitere Nutzung der Asse II als Zwischen- und Endlager ermöglichen sollten, und wie die Vorgänge in der Asse von Genehmigungs- und Fachaufsichtsbehörden, Betreiber und Eigentümer begleitet und deren genehmigungskonforme Umsetzung kontrolliert worden sind,
- inwieweit es insgesamt beim Betrieb des so genannten Forschungsbergwerks Asse II seit Beginn der Einlagerung mittel- und schwachradioaktiver Abfälle bis in die Gegenwart innerhalb und/oder außerhalb des Grubengebäudes zu Freisetzungen von Radioaktivität im Regelbetrieb, zu Störfällen, Unfällen und sonstigen Ereignissen gekommen ist, die zur Freisetzung von radioaktiven Stoffen geführt haben und inwiefern es dabei zu Grenzwertüberschreitungen nach der jeweils geltendernStrahlenschutzverordnung gekommen ist, welche Maßnahmen von Seiten der Betreiber und der zuständigen staatlichen Stellen getroffen worden sind, um die Auswirkungen im Regelbetrieb und bei besonderen Vorkommnissen so zu begrenzen, dass die Gesundheit der in der Asse II Beschäftigten, der Menschen in der Region und die Umwelt nicht gefährdet wird,
- in welcher Weise und auf welcher Informationsgrundlage Entscheidungen getroffen worden sind, die zur Genehmigung von bergrechtlichen Betriebsplänen (Haupt-, Rahmen- und Sonderbetriebspläne) geführt haben, auf deren Grundlage während und nach Beendigung der Einlagerung in Asse II Maßnahmen zur Stabilisierung des Grubengebäudes im Vorgriff auf die Festlegungen eines im Entwurf  erst 2007 vorliegenden bergrechtlichen Abschlussbetriebsplans durchgeführt worden sind. Warum weder für den Betrieb noch die Stilllegung und Schließung Atomrecht zugrunde gelegt wurde. Dabei ist in besonderer Weise zu untersuchen, in welcher Weise die Genehmigungsbehörden den ordnungsgemäßen Umgang mit radioaktiven Stoffen in Asse II überwacht haben und in welcher Weise die Fachaufsichtsbehörden des Landes ihre Aufsicht über die zuständigen staatlichen Genehmigungsbehörden organisiert und wahrgenommen haben und wer die politische Verantwortung für einen rechtlich und fachlich nicht verantwortbaren Umgang mit radioaktiven Stoffen in Asse II trägt. Es ist auch zu klären, inwieweit andere fachlich zuständige staatliche, europäische und internationale Stellen in diese Entscheidungen eingebunden waren, bzw. hätten eingebunden werden müssen und in welcher Weise deren fachlichen oder sonstigen Stellungnahmen berücksichtigt worden sind. Von besonderer Bedeutung ist die Frage, ob das vom ehemaligen Betreiber verfolgte und in Teilen des Tiefenaufschlusses bereits umgesetzte Konzept der Verfüllung und Flutung des Bergwerks dazu führen könnte, dass die Gesundheit der Menschen, das Trinkwasser und eine intakte Umwelt weit über ein überschaubares Zeitfenster hinaus gefährdet werden.

II. Unter der in Abschnitt I genannten Fragestellung ist insbesondere aufzuklären,

  1. Welche Kenntnis die niedersächsischen Genehmigungs-  und Aufsichtsbehörden zu welchem Zeitpunkt von den Vorgängen in der Asse II und angefallenen kontaminierten Salzlaugen hatten, in welcher Weise sie an Entscheidungen über den Umgang mit der kontaminierten Lauge beteiligt waren und auf Grundlage weIcher Informationen und rechtlicher Grundlagen Entscheidungen und Genehmigungen über den Umgang mit diesen kontaminierten Salzlaugen getroffen worden sind; wann die fachliche Entscheidung zur Flutung des Bergwerks fiel und welche Gutachten dazu vorlagen;
  2. welches radioaktive Inventar tatsächlich eingelagert wurde, welche kontaminierten und nicht kontaminierten Stoffe, auch chemisch-toxische und organische Abfälle und Materialien einschließlich Arbeitsgeräten während und auch noch nach der Beendigung der Einlagerungskampagnen von leicht- und mittelaktivem Atommüll 1978 in Asse II eingelagert bzw. umgelagert worden sind und auf welcher Genehmigungsgrundlage diese Einlagerungen jeweils erfolgt sind. Welche Stellen die Genehmigungen erteilt haben; welche Stoffe von weiteren Anlieferern wie etwa der Bundeswehr oder verbündeten Streitkräften stammen, welche Stoffe aus dem Ausland stammen und welche Stoffe aus Beständen der ehemaligen DDR in der Asse eingelagert wurden;
  3. welche Schlussfolgerungen aus dem Betrieb, aus den Erfahrungen und den Forschungen in Asse II gezogen wurden, welche Forschungsprojekte aufgrund der Eigenschaft der Asse als Versuchsendlager für Gorleben durchgeführt wurden, welche Parallelen es zur Auswahl des Standortes Gorleben gibt, welches Forschungsdesign dabei jeweils zugrunde gelegt wurde, welche Forschungsergebnisse dabei erzielt wurden, welche Forschungsergebnisse bislang nicht veröffentlicht wurden, welche militärischen Forschungsvorhaben durchgeführt wurden, welche wissenschaftlichen Ergebnisse in die nationale und internationale Endlagerforschung eingeflossen sind und wie die technischen und wissenschaftlichen Standards zur Einrichtung und zur Sicherheit von Endlagern dadurch beeinflusst wurden; inwieweit die Erfahrungen, Gutachten und Forschungsergebnisse dazu geführt haben, die weitere Nutzung der Asse II als Zwischen- und Endlager für radioaktive Abfälle anzustreben;
  4. welche Forschungsarbeiten/Forschungsprojekte auf wessen Veranlassung und in welchem Umfang vor und nach 1978 auf welcher Genehmigungsgrundlage durchgeführt und wie diese von den jeweiligen Genehmigungsbehörden und wissenschaftlichen Einrichtungen begleitet, evaluiert und überwacht wurden. Wie und wo welche Stoffe zu Forschungszwecken in Asse II eingebracht wurden und wie kontaminierte und nicht kontaminierte Stoffe und Materialien, die bei diesen Projekten angefallen sind, jeweils entsorgt wurden;
  5. ob die MitarbeiterInnen des Betreibers, Anwohner und Besucher der Asse II auf Grund der Arbeiten unter "offener Radioaktivität" bei der Einlagerung der Abfälle im Zeitraum ab 1965 im Regelbetrieb oder durch Störfälle und Forschungsaktivitäten einer radioaktiven Strahlung ausgesetzt waren oder es noch sind; welche gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen eingetreten oder zu erwarten sind und ob eine gesundheitliche Gefährdung von Anwohnern, Mitarbeitern und Besuchern erfolgte, für die Überwachungsbehörden des Landes verantwortlich sind;
  6. für welche Atomkraftwerke die Asse als Entsorgungsnachweis in Genehmigungsverfahren nach dem Atomgesetz diente, welche steuerlichen Rückstellungen/finanzielle Vorsorge in diesem Zusammenhang für eine Inanspruchnahme der Asse als Endlager bzw. welche sonstigen Rückstellungen von Atomkraftwerksbetreibern getätigt wurden; auf welcher rechtlichen Grundlage diese Entscheidungen zu den Entsorgungsnachweisen getroffen wurden und in welchem Umfang Abfallerzeuger zu den Kosten der Schließung und Sanierung der Asse II herangezogen werden können;
  7. welche Kosten während des Einlagerungsbetriebes insbesondere für das Land entstanden sind; welche Kosten davon den Abfallverursachern berechnet wurden. Welche Kosten für verschiedene Varianten zur Sanierung der Asse zu erwarten sind bzw. welche weiteren Folgekosten insbesondere gesundheitliche und ökologische Folgekosten, sowie Wertverlust von Grundstücken und Gebäuden in der Region zu erwarten sind und in welchem Umfang das Land zur Übernahme dieser Kosten herangezogen werden kann;
  8. aus welchen Gründen der Betrieb des Atommülllagers Asse II, die mit dem Umgang mit radioaktiven Stoffen verbundenen Maßnahmen und die vom ehemaligen Betreiber vorgesehene Schließung nach Bergrecht und nicht nach Atomrecht vorgenommen wurde; welche rechtlichen Gutachten und Expertisen diesen Entscheidungen jeweils im Einzelnen in den letzten Jahrzehnten zugrunde gelegen haben und wer diese Entscheidungen vorbereitet und wer sie zu verantworten hat;
  9. welche Schritte die zuständige Fachaufsichtsbehörde des Landes jeweils nach Unfällen, Störfällen mit Freisetzung radioaktiven Materials und sonstigen Ereignissen unternommen hat, um sicherzustellen, dass sich diese Vorgänge nicht wiederholen und in welcher Weise diese Ereignisse und ihre möglichen Folgen bei der Aufstellung des bergrechtlichen Abschlussbetriebsplans durch die ehemaligen Betreiber bzw. die zuständige Genehmigungsbehörde des Landes berücksichtigt wurden;
  10. ob und in welchem Umfang die möglichen Ursachen der Kontamination der Salzlauge durch die Aufsichtsbehörden des Landes hätten geklärt werden können und welche Alternativen zur Verbringung in den Tiefenaufschluss geprüft und bewertet worden sind;   
  11. ob bei den bereits durchgeführten und noch vorgesehenen Maßnahmen zur Sicherung der Standfestigkeit des Grubengebäudes radioaktive Kontaminationen und ihre möglichen Folgen in der Zukunft bei den Entscheidungen der ehemaligen Betreiber der zuständigen Behörden berücksichtigt worden sind.

 

III. Der Untersuchungsausschuss besteht aus 13 Mitgliedern, die von den Fraktionen nach folgendem Verteilerschlüssel benannt werden:

CDU-Fraktion 6 Mitglieder,

SPD-Fraktion 4 Mitglieder,

FDP-Fraktion 1 Mitglied,

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 1 Mitglied

Fraktion Die Linke 1 Mitglied.

Ferner ist die gleiche Zahl von Stellvertreterinnen oder Stellvertretern zu benennen. Der Ausschuss wählt seine Vorsitzende oder seinen Vorsitzenden und deren oder dessen Stellvertreterin oder Stellvertreter.

IV. Die Landesregierung wird ersucht zu veranlassen, dass alle von dem Untersuchungsausschuss und seinen etwaigen Unterausschüssen zu vernehmenden Landesbediensteten im Rahmen der Gesetze von der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit entbunden werden. Dies gilt auch für ehemalige Landesbedienstete, soweit sie über ihre Tätigkeit im Landesdienst vernommen werden sollen. Die Landesregierung hat erforderlichenfalls Akteneinsicht zu gewähren.

V. Für den Untersuchungsausschuss gilt die diesem Beschluss als Anlage beigefügte Geschäftsordnung.

Stefan Wenzel

 Fraktionsvorsitzende

Anlage

Geschäftsordnung

für den

21. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss

des Niedersächsischen Landtages

 

§ 1

(1) Der Untersuchungsausschuss ist verhandlungs- und beschlussfähig, wenn die Mehrheit seiner stimmberechtigten Mitglieder nach ordnungsgemäßer Einladung anwesend ist.

(2) Ist der Untersuchungsausschuss nicht verhandlungs- und beschlussfähig, so unterbricht die Vorsitzende oder der Vorsitzende zunächst die Sitzung auf bestimmte Zeit. Ist nach dieser Zeit die Verhandlungs- und Beschlussfähigkeit noch nicht eingetreten, so vertagt sie oder er die Sitzung. In der nächstfolgenden Sitzung ist der Untersuchungsausschuss verhandlungs- und beschlussfähig, auch wenn nicht die Mehrheit seiner stimmberechtigten Mitglieder anwesend ist.

(3) Beschlüsse werden, soweit nachfolgend nichts anderes bestimmt ist, mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder gefasst.

§ 2

(1) Der Untersuchungsausschuss kann für einzelne Aufgaben Unterausschüsse einsetzen, die aus drei oder fünf stimmberechtigten Mitgliedern des Untersuchungsausschusses bestehen. Er bestimmt zugleich die Vorsitzende oder den Vorsitzenden und die Berichterstatterin oder den Berichterstatter.

(2) Der Beschluss über die Einsetzung, den Aufgabenbereich und die Größe von Unterausschüssen bedarf der Mehrheit der Stimmen der stimmberechtigten Mitglieder des Untersuchungsausschusses.

(3) Für Unterausschüsse gelten die §§ 1, 3 bis 9 entsprechend. Die Entscheidung über die Heranziehung von Sachverständigen bleibt dem Untersuchungsausschuss vorbehalten.

§ 3

(1) Im Untersuchungsausschuss ist eine Stellvertretung durch andere als die hierfür benannten Abgeordneten unzulässig.

(2) Die stellvertretenden Mitglieder dürfen bei jeder Sitzung des Untersuchungsausschusses als Zuhörerinnen oder Zuhörer anwesend sein.

(3) Andere Abgeordnete dürfen bei nichtöffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses als Zuhörerinnen oder Zuhörer anwesend sein, solange nicht ein Fünftel der stimmberechtigten Mitglieder widerspricht.

§ 4

Mitglieder und Beauftragte der Landesregierung sowie Beauftragte der Fraktionen dürfen an den nichtöffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses als Zuhörerinnen oder Zuhörer teilnehmen, solange nicht ein Fünftel der stimmberechtigten Mitglieder widerspricht. Die Vorsitzende oder der Vorsitzende kann den in der Sitzung anwesenden Mitgliedern oder Beauftragten der Landesregierung das Wort erteilen.

§ 5

(1) Über die Erhebung von Beweisen beschließt der Untersuchungsausschuss in nichtöffentlicher Sitzung.

(2) Jedes Mitglied des Untersuchungsausschusses kann in nichtöffentlicher Sitzung          die Erhebung von Beweisen beantragen.

(3) Zulässigen Beweisanträgen muss entsprochen werden, wenn sie von einem Fünftel der stimmberechtigten Mitglieder unterstützt werden; dies gilt auch für zulässige Anträge, die auf die Durchsetzung bereits beschlossener Beweiserhebungen gerichtet sind.

§ 6

(1) Der Untersuchungsausschuss erhebt die Beweise in öffentlicher Verhandlung. Jeder Termin zur öffentlichen Verhandlung ist durch Anschlag im Landtagsgebäude bekannt zu geben.

(2) Die Öffentlichkeit kann auf Antrag von den Beweiserhebungen des Untersuchungsausschusses ausgeschlossen werden. Der Beschluss wird in nichtöffentlicher Sitzung gefasst. Er bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen der stimmberechtigten Mitglieder.

(3) Der Inhalt von Personalakten sowie Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse dürfen nur in nichtöffentlicher Sitzung erörtert werden. Weitergehende Bestimmungen, die sich aus der sinngemäßen Anwendung der Vorschriften über den Strafprozess oder der Geschäftsordnung für den Niedersächsischen Landtag ergeben und die Geheimhaltung oder die vertrauliche Behandlung von Unterlagen betreffen, bleiben unberührt.

§ 7

Auskunftspersonen werden unter kurzer Angabe des Gegenstandes, über den sie aussagen sollen, auf einen Tag zur Verhandlung geladen. Sie erhalten Entschädigung nach dem G

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