Antrag: Eine aufgabengerechte Finanzausstattung des Landes sicherstellen – für eine zukunftsfähige Politik und als Voraussetzung für eine funktionierende Schuldenbremse und einen wirksamen Fiskalpakt

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest

Die in Artikel 109 des Grundgesetzes verankerte Schuldenbremse und damit die Verpflichtung der Länder, ihre Ausgaben spätestens im Haushaltsjahr 2020 nicht mehr durch neue Schulden zu decken, ist ein grundsätzlich richtiges Instrument, die weitere Verlagerung von Belastungen von der heutigen auf künftige Generationen zu verhindern, zunehmende Abhängigkeiten des Staates von internationalen Kapitalmärkten zu vermeiden und die Souveränität staatlichen Handelns auch in Zukunft sicherzustellen.

Die mit dem Haushaltsplan 2012 beschlossene tatsächliche Neuverschuldung des laufenden Haushaltsjahres beträgt 2,05 Mrd. €; der Landesrechnungshof beziffert das strukturelle Defizit des Landeshaushalts im mehrjährigen Mittel auf rund 1,8 Mrd. €. Die Landesregierung hat bisher kein Konzept vorgelegt, wie sie angesichts dieser Ausgangslage spätestens im Haushaltsjahr 2020 die erforderlichen strukturellen Ausgaben des Landes durch strukturelle Einnahmen decken will.

Ohne eine deutliche Steigerung der Einnahmen müssten die nicht durch Zuweisungen des Bundes oder der EU gedeckten Ausgaben des Landes zur Einhaltung der Schuldenbremse um rund 10% gekürzt werden. Dieses wäre angesichts einer wesentlich durch Bildungsausgaben geprägten Ausgabenstruktur des Landes nur durch massive Kürzungen der Bildungsinvestitionen, der Zukunftsinvestitionen in den Klimaschutz oder drastische Kürzungen sozialer Leistungen möglich und ist damit unverantwortbar.

Am 2. März 2012 haben die Staats und Regierungschefs der 25 EU-Mitgliedsstaaten den  "Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion" ("Fiskalpakt") unterzeichnet.  Die damit geplanten Instrumente können dazu beitragen, die Eurokrise mittelfristig zu bewältigen, würden aber als einseitige Spardiktate krisenverschärfend wirken. Alle Sparanstrengungen müssen deshalb mit Maßnahmen zur Stützung der in vielen Euro-Staaten auch durch eine falsche Europolitik der Bundesregierung in eine zum Teil schwere Rezession geführten Wirtschaft flankiert werden. Neben der Einführung einer Finanztransaktionssteuer muss die Bundesregierung ihre Blockadehaltung bei den Euro- und Deutschlandbonds aufgeben und darüber hinaus gemeinsam mit Frankreich eine Initiative für die Einführung eines Schuldentilgungspakets einleiten. Bei der Stützung der Wirtschaft müssen nachhaltige Investitionen in Ressourceneffizienz und ökologische Modernisierung und Innovation bevorzugt werden. Auch dafür müssen entsprechende Einnahmen u.a. durch eine wirksame Finanztransaktionssteuer generiert werden, die die Verursacher der Finanzkrise an den Kosten beteiligt. Schuldenfinanzierte Wachstumsprogramme sind abzulehnen. Sie haben sich bei der Bekämpfung der Krise als ungeeignet erwiesen.

Möglichst schnell ist eine Integration der Maßnahmen zur Konkretisierung des Maastricht-Vertrages in die europäischen Verträge erforderlich, um dem Europäischen Parlament voll umfänglich seine demokratischen Rechte zu sichern.

Der niedersächsische Ministerpräsident hat der Verhandlungsposition Niedersachsens gegenüber dem Bund und damit den Interessen des Landes sowie der niedersächsischen Kommunen durch seine verfrühte Festlegung auf die Zustimmung Niedersachsens zum Fiskalpakt im Bundesrat erheblich geschadet, denn noch sind wesentliche Bedingungen seiner Umsetzung auf europäischer wie innerstaatlicher Ebene nicht geklärt. Dies gilt etwa für die Ausgestaltung des automatischen Korrekturmechanismus, für die Aufteilung des zulässigen Defizits auf Bund, Länder und Kommunen, für Übergangsfristen und Ausnahmen.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, über eine Bundesratsinitiative,

  1. für eine Reform der Erbschaftssteuer einzutreten, die mindestens eine Verdoppelung der Einnahmen des Landes aus der Erbschaftssteuer sicherstellt. Dabei sind folgende Eckpunkte zu beachten:
    • Beseitigung sämtlicher Schlupflöcher, sich durch formale Umwandlung von Privat- in Betriebsvermögen der Erbschafts- und Schenkungssteuer zu entziehen
    • Verbreiterung der Bemessungsgrundlage durch Streichung von Sonderbehandlungen sowie Steuerbefreiungen und Verschonungsabschlägen bei Betriebsvermögen
    • Vereinheitlichung des bisher in den verschiedenen Erbschaftssteuer-Klassen unterschiedlichen Steuersatzes bei Beibehaltung der bisherigen, vom Verwandtschaftsgrad zum Erblasser abhängigen Freibeträge und damit Ausrichtung des Steuersatzes ausschließlich an der Höhe des erbschaftssteuerpflichtigen Vermögens.
    • Bemessung des immobilen Vermögens am Verkehrswert statt an den veralteten Einheitswerten.
  2. für die Reaktivierung der seit 1996 ausgesetzten Vermögenssteuer nach folgender Maßgabe einzutreten:
    •  Besteuerung sämtlichen Vermögens natürlicher Personen, die sich dauerhaft in Deutschland aufhalten oder dort ansässig sind, oberhalb des zu gewährenden Freibetrages mit einem Steuersatz von 1,5%.
    • Gewährung eines individuellen Freibetrages von 1 Mio. € für Privatpersonen bzw. von 250.000 € bei Kindern unter 18 Jahren und von 5 Mio. € für Unternehmen die keine juristischen Personen sind.
  3. für den Abbau unangemessener Steuervergünstigungen bei der Mehrwert- (z.B. für Hotelübernachtungen) und Einkommenssteuer (z.B. Ehegattensplitting), die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 49% und die Besteuerung von Kapitalerträgen nach dem individuellen Steuersatz statt nach einer pauschalen Abgeltungssteuer einzutreten.

Der Fiskalpakt darf die Bedingungen der nationalen Schuldenbremse für die Länder und Kommunen nicht verschärfen. Der Landtag fordert die Landesregierung deshalb auf, bei der Beratung auf dieses Ziel hinzuwirken. Dazu gehört insbesondere:

  1. Es muss verbindlich festgeschrieben werden, dass der Bund die ihm in Artikel 109, Absatz 3, Satz 4 des Grundgesetzes eingeräumte Möglichkeit, auch nach dem Jahre 2016 noch 0,35% des Bruttoinlandsprodukts an neuen Schulden aufzunehmen, nicht oder maximal zur Hälfte in Anspruch nimmt.
  2. Es muss sichergestellt sein, dass die den Ländern nach Artikel 109 zugestandenen Ausnahmen vom grundsätzlichen Neuverschuldungsverbot ab dem Haushaltsjahr 2020 bei Abweichungen von der konjunkturellen Normallage, Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen nicht eingeschränkt werden.
  3. Hinsichtlich des Abbaupfades der Neuverschuldung in den Ländern bis zum Jahre 2020 darf der Fiskalpakt zu keinen über die Regelung des Grundgesetzes hinausgehenden Einschränkungen der Haushaltsautonomie der Länder führen.
  4. Der Bund muss sich verbindlich zu seiner steuerpolitischen Verantwortung für eine den Aufgaben angemessenen Finanzausstattung der Länder und Kommunen bekennen.
  5.  Er ist darüber hinaus aufgefordert, gemeinsam mit den Ländern eine kritische Bewertung der gesamtstaatlichen Aufgabenverteilung vorzunehmen und auf dieser funktionalen Basis die gesamtstaatliche Finanzverteilung entsprechend dem Art. 106 Abs. 4 Grundgesetz den Erfordernissen einer aufgabengerechten Finanzierung der öffentlichen Hand anzupassen.

Begründung:

Mit der Unmöglichkeit, den Landeshaushalt selbst unter den aktuell sehr günstigen Voraussetzungen einer positiven konjunkturellen Entwicklung und eines einmalig niedrigen Zinsniveaus auch nur annähend auszugleichen, ist unverkennbar, dass die Einhaltung der Schuldenbremse spätestens ab dem Jahre 2020 nur bei einer deutlichen Erhöhung der strukturellen Einnahmen möglich ist. Vor allem die in den vergangenen Jahren in mehreren Schritten vollzogenen Steuerentlastungen bei hohen Vermögen und Einkommen haben zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft beigetragen, die mittelfristig zu einer massiven Gefährdung unseres demokratischen Gemeinwesens führen kann. Es ist daher ein Gebot fiskalpolitischer Notwendigkeit, sozialpolitischer Verantwortung und wirtschaftspolitischer Vernunft gleichermaßen, höhere Einkommen und Vermögen endlich wieder in angemessener Weise an der Finanzierung unseres Gemeinwesens zu beteiligen.

Mit rund 2,2% des vererbten Vermögens ist die Erbschaftssteuer in Deutschland deutlich geringer, als in den meisten entwickelten Staaten. Insbesondere mit der zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Reform der Erbschaftssteuer wurden die Möglichkeiten deutlich ausgeweitet, privates Vermögen in Betriebsvermögen umzuwandeln und damit der Erbschafts- und Schenkungssteuer zu entziehen. Der Bundesfinanzhof hat in seinem Urteil vom 05.10.2011 (II R 9/11) die Verfassungsmäßigkeit des geltenden Erbschaftssteuergesetzes massiv in Frage gestellt, weil es möglich ist, die Erbschafts- und Schenkungssteuer durch geeignete Gestaltungsmöglichkeiten zu umgehen. Ohne dass es auf eine Gemeinwohlverpflichtung oder Gemeinwohlbindung des vererbten oder verschenkten Vermögens ankomme. Der wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministers schlägt daher in seinem Gutachten "Die Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftssteuer" vor, diese Vergünstigungen vollständig abzuschaffen. Durch die Abschaffung dieser Vergünstigungen und der doppelten Berücksichtigung des Verwandtschaftsverhältnisses zwischen Erblasser und Erben über den Freibetrag und den zugrunde gelegten Steuersatz ließe sich das derzeit jährlich rund 300 Mio. € betragende Aufkommen der Erbschaftssteuer für den Landeshaushalt mindestens verdoppeln.

Nach Abzug der Verbindlichkeiten beträgt das Nettovermögen in Deutschland derzeit rund 6,6 Billionen €. Dieses Vermögen ist dabei jedoch mit zunehmender Tendenz sehr ungleich verteilt: Während die ärmsten 30% der Bevölkerung kein Vermögen oder sogar Schulden haben, liegen 50% der Vermögenswerte bei den reichsten 5% der Bevölkerung; knapp ¼ des Vermögens ist sogar bei lediglich 1% der Bürgerinnen und Bürger kumuliert. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.1995, in dessen Folge die Erhebung der Vermögenssteuer seit 1996 ausgesetzt wurde, wird vielfach mit der Behauptung fehlinterpretiert, das Verfassungsgericht habe die Vermögenssteuer grundsätzlich für verfassungswidrig erklärt. Tatsächlich haben die Karlsruher Richter jedoch nur die Bemessung des immobilen Vermögens an den veralteten Einheitswerten kritisiert und dessen Bemessung an den Verkehrswerten eingefordert. Da dieses inzwischen auch für Grund- und Grunderwerbssteuer gilt, kann der Vermögenssteuer auch nicht mehr ein zu hoher, für die Ermittlung der Verkehrswerte erforderlicher Verwaltungsaufwand entgegen gehalten werden, da dieser ohnehin erforderlich wird. Mit den hier vorgeschlagenen hohen individuellen Freibeträgen von 1 Million € bzw. 250.000 € (Kinder) bei natürlichen Personen ohne gemeinsame Veranlagung von Partnern und von 5 Millionen für Unternehmen, wird sichergestellt, das tatsächlich nur hohe und sehr hohe Vermögen von dieser Steuer betroffen wären. Bei einem Steuersatz von 1,5% wäre dennoch mit jährlichen Steuereinnahmen von rund 1 Mrd. € für den niedersächsischen Landeshaushalt zu rechnen.

Mit weiteren rund 800.000 € jährlichen Steuermehreinnahmen für den Landeshaushalt ist zu rechnen, wenn der Spitzensteuersatz auf 49% angehoben, das Ehegattensplitting im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten abgebaut, die Steuergeschenke vom Beginn der schwarz-gelben Regierungsverantwortung im Bund (u.a. die Begünstigungen von Hoteliers bei der Umsatzsteuer) und die pauschale Abgeltungssteuer abgeschafft und die Besteuerung von Kapitalerträgen am individuellen Steuersatz bemessen wird.

Ohne die Verpflichtung des europäischen Fiskalpakts die gesamtstaatliche jährliche Neuverschuldung von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialkassen auf 0,5% des Bruttoinlandsprodukts in seiner konkreten Ausgestaltung auch nur annähernd zu kennen, hat Ministerpräsident McAllister in seiner Regierungserklärung vom 08.05.2012 bereits die Zustimmung Niedersachsens im Bundesrat zur Ratifizierung dieses europäischen Vertrages zugesagt. Der Wahrung der Interessen des Landes und der Kommunen hat er damit erheblich geschadet.

Es muss sichergestellt werden, dass sich die Haushaltsspielräume des Landes dadurch gegenüber der Schuldenbremse des Grundgesetzes nicht weiter verengen: Dieses gilt gleichermaßen für Übergangsregelungen bis 2020, die grundgesetzlich verankerten Ausnahmen vom Neuverschuldungsverbot, wie auch für den Haushaltsvollzug.

Mit den vorgeschlagenen steuerpolitischen Maßnahmen sind für das Land jährliche Mehreinnahmen von rund 2 Mrd. € zu erwarten. Diese Mehreinnahmen entsprechen damit in etwa dem Fehlbetrag des aktuellen Haushalts, sowie dem vom Landesrechungshof ermittelten strukturellen Defizit. Aufgrund von Haushaltsrisiken, etwa durch steigende Zinsen und den steigenden Belastungen des Landeshaushalts aufgrund von Pensionsverpflichtungen, ist eine sparsame Haushaltsführung gleichwohl unverzichtbar. Nur mit Einnahmeverbesserungen in der genannten Größenordnung sind Schuldenbremse und Fiskalpakt in Niedersachsen verantwortbar umsetzbar.

Stefan Wenzel

Fraktionsvorsitzender

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