Antrag: Ein interdisziplinäres Versorgungsangebot für schwer betroffene Menschen mit Fatigue-Syndrom etablieren
Fraktion SPD
Fraktion CDU
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Die Bewältigung der COVID-19-Pandemie hat unsere Gesellschaft vor enorme wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Herausforderungen gestellt. Die rasche Entwicklung und Verfügbarkeit von Impfstoffen sowie die hohe Impfbereitschaft innerhalb der Bevölkerung waren entscheidende Faktoren, die zur erfolgreichen Eindämmung der Pandemie geführt haben. Die Einsicht und die Bereitschaft in weiten Teilen der Bevölkerung, mit der Impfung einen eigenen Beitrag für den Schutz anderer Menschen zu leisten, ist besonders zu würdigen und verdient unser aller Anerkennung.
Wie bei jedem medizinischen Eingriff können auch bei einer COVID-19-Schutzimpfung Nebenwirkungen auftreten, die in der Regel nach wenigen Tagen abklingen. In äußerst seltenen Fällen kann es allerdings zu schwerwiegenden Nebenwirkungen kommen, welche die Gesundheit dauerhaft beeinträchtigen können. Dabei bleibt festzuhalten, dass sämtliche schwerwiegenden Folgen, die mit der Impfung in Verbindung gebracht werden, für die Erkrankung an COVID-19 bereits belegt sind. So zeigen Studien[1], dass das Risiko infolge einer Infektion mit COVID-19 schwer zu erkranken um ein Vielfaches höher ist als bei einer Impfung gegen COVID-19. Weitere Forschungsergebnisse[2] deuten außerdem darauf hin, dass die Impfung auch vor Long- bzw. Post-COVID schützen kann.
Sowohl beim sogenannten „Post-Vakzine-Syndrom“ (infolge einer COVID-19-Schutzimpfung) als auch beim Long- bzw. Post-COVID-Syndrom (infolge einer COVID-19-Erkrankung) handelt es sich um heterogene Krankheitsbilder, bei deren schwerwiegendsten Ausprägungen chronische Fatigue als wesentliches Hauptsymptom auftreten kann.
Unter einer chronischen Fatigue litten bereits vor der Pandemie deutschlandweit schätzungsweise 140.000 bis 310.000 Menschen mit ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom). Frauen sind dabei häufiger betroffen als Männer. ME/CFS äußert sich in einer vielfältigen, oft äußerst belastenden Symptomatik, wodurch die Lebensqualität der Betroffenen stark eingeschränkt wird. Über eine körperliche und geistige Erschöpfung (Fatigue) hinaus leiden Betroffene häufig zusätzlich unter Muskelschmerzen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie permanenter Belastungsintoleranz (Post Exertionelle Malaise) und dem posturalen orthostatischen Tachykardiesyndrom (POTS), bei dem es zu einem schnellen Anstieg der Herzfrequenz beim Aufstehen kommt. Viele Betroffene sind so stark beeinträchtigt, dass sie dauerhaft ans Bett gebunden sind.
Die genauen Ursachen der Erkrankungen ME/CFS, Long- beziehungsweise Post-COVID oder dem Post-Vakzine-Syndrom sind noch nicht bzw. noch nicht hinreichend erforscht, ebenso wie mögliche Therapieansätze. Daher ist eine gründliche differentialdiagnostische Untersuchung in diesen Fällen von großer Bedeutung. Die hohe Komplexität dieser Erkrankungen und die oftmals fehlende Expertise bei Allgemein-, Kinder- und Jugend- sowie Fachärztinnen und Fachärzten führen dazu, dass Betroffene oft nur begrenzte medizinische Hilfe erhalten können. Dies betrifft sowohl die Diagnose als auch die Behandlung.
Fehlte es bisher an einem spezialisierten Angebot in der ambulanten Versorgung, so wurde mit der kürzlich erfolgten Einrichtung der Long-/Post-COVID-Ambulanzen am Zentrum für seltene Erkrankungen der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und an der Zentralen Notaufnahme der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) ein wichtiger Schritt zur besseren Versorgung von Betroffenen unternommen. Der Landtag begrüßt diese Entwicklung ausdrücklich.
Darüber hinaus bittet der Landtag die Landesregierung:
- Die neu geschaffenen Angebote der Long-/Post-COVID-Ambulanzen an der MHH und UMG so weiterzuentwickeln, dass die Ambulanzen mittel- bis langfristig zu etablierten Anlaufstellen für Menschen werden, die unter dem Fatigue-Syndrom leiden, unabhängig davon, ob Long-COVID, das Post-Vakzine-Syndrom oder ME/CFS zugrunde liegen.
- Auf die Bildung regionaler Netzwerke der Universitätskliniken mit Krankenhäusern und Praxen hinzuwirken, um die Versorgung möglichst vieler betroffener Personen zu erreichen.
- Die Beschäftigten des Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie beim Umgang mit Anträgen zur Anerkennung von gesundheitlichen Schäden wegen einer COVID-19-Schutzimpfung durch Weiterbildungen zu unterstützen. Ziel soll es u.a. sein, eine kürzere Bearbeitungsdauer von Anträgen zu erreichen.
- Gemeinsam mit den Zentren für seltene Erkrankungen und den gesetzlichen Krankenkassen ein auf am Fatigue-Syndrom erkrankte Kinder und Jugendliche zugeschnittenes Behandlungskonzept zu entwickeln.
- Perspektivisch auch die European Medical School der Universität Oldenburg in die Versorgung von Betroffenen miteinzubeziehen, um ein landesweites Angebot über drei Standorte zu erreichen.
- Mit den Verantwortlichen darauf hinzuwirken, dass die bei Long- bzw. Post-COVID-Betroffenen mögliche Off-Label-Medikation zur Behandlung der Symptome auch bei Post-Vakzine-Betroffenen und ME/CFS-Erkrankten ermöglicht wird.
Begründung
Die Symptome von ME/CFS, Long- bzw. Post-COVID und dem Post-Vakzine-Syndrom ähneln sich häufig. Menschen, die mutmaßlich nach einer COVID-19-Erkrankung oder Schutzimpfung unter chronischer Fatigue leiden, sowie diejenigen, die unabhängig von COVID-19 an ME/CFS erkrankt sind, haben zudem oft große Schwierigkeiten, die richtige und möglichst schnelle Unterstützung zu erhalten.
Für medizinisches Fachpersonal stellen sich beim Umgang mit Verdachtsfällen wiederum vielfältige, neue Fragestellungen, deren Beantwortung trotz kontinuierlicher Weiterbildung nicht immer einfach ist, zumal täglich neue Informationen hinzukommen. So gibt es beispielsweise für ME/CFS noch keine an einer eigenen Leitlinie ausgerichtete Behandlungsmethode, auf die Ärztinnen und Ärzte zurückgreifen könnten.
Gleichwohl ist es von großer Bedeutung, die Bedürfnisse von betroffenen Menschen ernst zu nehmen und dafür zu sorgen, dass sie angemessene Hilfe erhalten.
In Anlehnung an etablierte Prozesse und Versorgungskonzepte wurden daher am Zentrum für Seltene Erkrankungen (ZSE) der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und der Notaufnahme der Universitätsklinik Göttingen (UMG) spezialisierte Anlaufstellen eingerichtet. Das neu geschaffene Angebot wird ausdrücklich begrüßt. Mittel- bis langfristig muss das Ziel sein, die Einrichtungen als Anlaufstellen für Menschen mit ME/CFS, Long- bzw. Post-COVID oder dem Post-Vakzine-Syndrom dauerhaft zu etablieren und bekannter zu machen. Ein besonderes Augenmerk soll zudem auch auf erkrankte Kinder und Jugendliche gelegt werden. Hierfür gilt es zugeschnittene Behandlungskonzepte zu entwickeln.
Um die landesweite Erreichbarkeit zu verbessern, soll perspektivisch eine weitere Anlaufstelle an der European Medical School der Universität Oldenburg geschaffen werden.
Die Andockung an die universitären Strukturen bringt die direkte Schnittstelle in die weiterzuführende Forschung und Entwicklung mit. Dabei soll direkt an die Arbeiten des COVID-19 Forschungsnetzwerkes Niedersachsen (COFONI) angeschlossen werden.
[1] So kommt bspw. die „Krankenhausbasierte Fall-Kontrollstudie zur Wirksamkeit und Sicherheit von COVID-19-Impfstoffen (COViK)“ in Zusammenarbeit von Paul-Ehrlich-Institut und mehreren Kliniken in Deutschland 2023 zu dem Schluss: „Durch die Impfungen kann die Zahl der Erkrankungen und vor allem auch das Risiko schwerer COVID-19-Erkrankungen erheblich reduziert werden.“ Quelle: www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Forschungsprojekte/COViK/COViK-Studie.html.