Antrag: Ein Arbeitsmarkt für alle: Ausgleichsabgabe für mehr Inklusion in Betrieben nutzen
Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Der Niedersächsische Landtag erkennt an, dass die Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine zentrale soziale Herausforderung darstellt. Mit der deutschen Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention vor 15 Jahren und der daraus resultierenden Verpflichtungen aus Artikel 27 stellt die Integration schwerbehinderter Menschen und den ihnen Gleichgestellten in den Arbeitsmarkt auch eine menschenrechtlich gebotene Verpflichtung dar. Berufliche Teilhabe ist dabei ein wichtiger Teilbereich zur Realisierung von Inklusion in der gesamten Gesellschaft. Zugleich besteht ein hoher Bedarf an gut ausgebildeten Arbeits- und Fachkräften. Zwar ist die Arbeitslosenquote der schwerbehinderten Menschen zuletzt wieder gesunken, dennoch liegt sie noch immer fast doppelt so hoch, wie die allgemeine Arbeitslosenquote. Arbeitslose Menschen mit Schwerbehinderung sind gut qualifiziert: Anteilig finden sich bei schwerbehinderten Arbeitslosen etwas mehr Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung als bei nicht-schwerbehinderten Arbeitslosen.
Damit bleiben Menschen mit Behinderungen trotz ihres oftmals guten Ausbildungs- und Qualifikationsstandes und bestehender gesetzlicher Regelungen und Förderprogramme auf dem Arbeitsmarkt unterrepräsentiert. Dies spiegelt sich auch im kontinuierlichen Anstieg der Einnahmen aus der Ausgleichsabgabe in Niedersachsen wider, die Unternehmen ab 20 Arbeitsplätzen zahlen, wenn sie die gesetzliche Vorgabe des § 154 SGB IX von 5 % Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht erfüllen. Die Ausgleichsabgabe nach § 160 SGB IX stellt ein wichtiges Instrument dar, um die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Der Landtag sieht es als notwendig an, die Wirksamkeit dieses Instruments zu erhöhen und die Unterstützungsstrukturen weiterzuentwickeln.
Vor diesem Hintergrund bittet der Landtag die Landesregierung:
- Das Jobcoaching am Arbeitsplatz (JCAP) flächendeckend auszubauen, um eine individuelle Unterstützung und Arbeitsplatzsicherung für Menschen mit Schwerbehinderungen zu ermöglichen. Dabei soll auch der Personenkreis der Menschen mit Hörbehinderungen berücksichtigt werden. Dies beinhaltet insgesamt die Nutzung digitaler Technologien zur Vereinfachung der Verfahrens-abläufe und Erweiterung der Zugänglichkeit.
- Den Ausbau von Inklusionsbetrieben durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und Netzwerkbildung in Kooperation mit der NBank zu fördern. Ziel ist es, die Bekanntheit dieser Betriebe zu steigern und Anreize für die Neugründung sowie den Ausbau bestehender Inklusionsbetriebe zu schaffen.
- Eine Kampagne für die im Mai 2023 gestarteten Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) auszurollen, mit der die EAA zielgerichtet auf Unternehmen ihrer Region zugehen, ihre Services zur Integration schwerbehinderter Menschen in den Arbeitsmarkt vorstellen und bewerben können.
- Neue Förderansätze und zielgruppenspezifische Programme für Menschen mit Schwerbehinderungen zu entwickeln, die zusätzlichen Benachteiligungen aufgrund ihrer Herkunft, Geschlecht, Sexualität oder Nicht-Sichtbarkeit ihrer Behinderung ausgesetzt sind (z.B. ältere Arbeitnehmende, Personen im Übergang von Schule in den Beruf, Menschen mit Migrationsgeschichte, hier insbesondere Frauen).
- Eine Unterstützungsleistung zu entwickeln, die niedrigschwellig und leicht zugänglich schwerbehinderten Menschen die nötige Begleitung und Unterstützung für Hospitationen und Praktika zur Verfügung stellt.
- Auf eine angemessene personelle Ausstattung im Integrationsamt hinzuwirken, um eine effektive Umsetzung der genannten Maßnahmen zu ermöglichen.
- Die Vorbildfunktion des Landes als Arbeitgeber zu stärken: Die Landesregierung wird gebeten, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass das Land als Arbeitgeber eine führende Rolle in der Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung übernimmt. Dazu sollen konkrete Zielvorgaben für die Erhöhung der Beschäftigtenquote von Menschen mit Behinderungen in allen Ressorts und bei allen dem Land zugehörigen Einrichtungen entwickelt und umgesetzt werden.
Ferner bittet der Landtag die Landesregierung, sich im Bundesrat dafür einzusetzen,
- die entsprechenden Normen des SGB IX dahingehend zu ändern, dass auch die Integrationsämter der Länder individuelle und sächliche Kosten der Verwaltung in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes aus Mitteln der Ausgleichsabgabe decken können sowie
- zu prüfen, inwieweit unverbrauchte Mittel für die allgemeine Förderung von Maßnahmen, die dauerhaft die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen als Nutzerinnen und Nutzer, Konsumentinnen und Konsumenten, Arbeitnehmende oder Arbeitgebende außerhalb von besonderen Wohnstätten und Werkstätten ermöglichen oder verbessern, genutzt werden können.
Begründung
Die Notwendigkeit dieser Maßnahmen ergibt sich aus der aktuellen Situation und den Herausforderungen, mit denen Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert sind. Die Erweiterung der Unterstützungsangebote, die Schaffung neuer Förderansätze und die Gewährleistung einer adäquaten Personalausstattung des Integrationsamtes sind essenziell, um die Integration schwerbehinderter Menschen in den Arbeitsmarkt zu verbessern und die soziale und wirtschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu fördern.
Bei der Ausbildung oder Beschäftigung dieser Zielgruppe können Arbeitgeber auf vielfältige Unterstützung zurückgreifen: Lohnkostenzuschüsse, Finanzierung der Ausstattung des Arbeitsplatzes oder Begleitung durch Fachpersonal im Betrieb. Trotzdem kommen viele Unternehmen ihrer Verpflichtung nicht nach. Im Fünfjahreszeitraum von 2019 bis 2023 haben sich die jährlichen Einnahmen aus der Ausgleichsabgabe um über 11,5 Mio. Euro von 74,47 Mio. Euro im Jahr 2019 auf 86,04 Mio. Euro im Jahr 2023 erhöht. Im gleichen Zeitraum konnten die jährlichen Ausgaben für Leistungen zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben um fast 20,0 Mio. Euro von 55,60 Mio. Euro im Jahr 2019 auf 75,46 Mio. Euro im Jahr 2023 erhöht werden. Der Bestand des Sondervermögens lag am 31.12.2023 alleine in Niedersachsen bei 167,9 Mio. Euro.
Zwar sind davon bereits rd. 102,4 Mio. Euro durch Bewilligungen gebunden, doch es bleibt ein jährlicher „Überschuss“ – Mittel also, die Menschen mit Behinderungen nicht zugutekommen. Real würden in Niedersachsen noch ca. 65,5 Mio. Euro aus den Ausgleichsmitteln für weitergehende Projekte zur Verfügung stehen.