Antrag: Direktvermarktung und regionale Wertschöpfung stärken – zukunftsfähige Landwirtschaft für Niedersachsen
Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis90/Grünen
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Unsere Landwirtschaft befindet sich in einem Prozess grundlegender Umstellungen und Anpassungen. Dabei haben sich in der Landwirtschaft und den nachgelagerten Wirtschaftsbereichen Prozesse herausgebildet, die dafür sorgen, dass die bäuerliche Landwirtschaft, in Abhängigkeit der betrieblichen Ausrichtung, heutzutage kaum noch zum betrieblichen Überleben und Ernähren einer Familie reicht.
Über die Jahrzehnte hat sich ein System entwickelt, das dem Lebensmitteleinzelhandel eine Monopolstellung bei der Preisgestaltung im Einkauf ermöglicht. Vielfältige regionale Strukturen wurden zugunsten von Spezialisierung, Zentralisierung und der Orientierung am Weltmarkt vernachlässigt. Dies entspricht nicht den gesellschaftlich geäußerten Wünschen, die an eine nachhaltige Lebensmittelproduktion gestellt werden. Gleichzeitig hat sich bei vielen Konsumentinnen und Konsumenten über die Jahre ein hohes Preisbewusstsein entwickelt. Dies spielte hier ebenfalls lange Zeit eine Rolle und ist im Rahmen allgemein gestiegener Verbrauchskosten teilweise noch gestiegen.
Besonders in ländlichen Regionen, in denen die Lebensmittel produzierenden Landwirtinnen und Landwirte leben und arbeiten hält bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern allerdings der Wunsch Einzug, ihre Lebensmittel direkt dort zu kaufen, wo sie produziert werden. Direkte Qualitätskontrolle, weniger Verpackung, die Verbindung zu den Menschen und mitunter kurze Wege, machen Direktvermarktung für Verbraucherinnen und Verbraucher attraktiv und können in Zukunft zu einer tragfähigen Einkommensquelle der bäuerlichen Betriebe ausgebaut werden. Ein Trend, der gerade während der Pandemie neu auflebte, und ein Stück Unabhängigkeit vom Wettbewerb auf den nationalen und internationalen Märkten bietet.
Eine lokale Lebensmittelherstellung und Vermarktung sichert die Grundversorgung vor Ort und macht die Region resilienter gegenüber Krisen. Gleichzeitig werden Kaufkraft und Beschäftigung vor Ort gestärkt, bestehende Strukturen gesichert und dörfliches Leben sowie ländliche Wirtschaftskreisläufe gefördert.
Der Landtag bittet die Landesregierung,
1. die Förderung von direkter Verarbeitung und Vermarktung weiterzuführen und darüber hinaus zu prüfen, ob weitergehende Mittel zur Verfügung gestellt werden können,
2. Erzeugungs- und Vermarktungszusammenschlüsse von landwirtschaftlichen Betrieben weiterhin zu fördern und die bestehende Richtlinie „Absatzförderung“ nach Bedarf zu überarbeiten. Das Ziel sollte sein, dass in jeder Region eine Ansprechstelle für regionale Produktion, Verarbeitung und Vermarktung unter Nutzung der bestehenden Netzwerke existiert,
3. regionale Verteilstellen und deren Logistik bedarfsgerecht zu fördern. Die effektive und kostengünstige Verteilung der regional produzierten Lebensmittel stellt eine besondere Herausforderung dar. Hauptproblem sind geringe Mengen besonders bei Frischprodukten und ebenfalls geringe Margen im Lebensmittelbereich, sodass teure Transportwege den Vertrieb unwirtschaftlich werden lassen. Neue Konzepte sind durch Nutzung von IT-Lösungen denkbar, bisher aber nur in Ansätzen erprobt. Ausreichende Unterstützung von Leuchtturmkonzepten könnten hier Abhilfe schaffen,
4. regionale (handwerkliche) Verarbeitung und die zugehörige Lagerung weiterhin zu fördern und dies ggf. auszubauen,
5. regionale Schlacht- und Zerlegungsmöglichkeiten in Zusammenspiel mit mobilen Anlagen oder hofnaher Schlachtung weiterhin zu fördern, eine einfachere und landesweit vereinheitlichte Genehmigung von mobilen Schlachteinheiten voranzubringen und sich auf EU-Ebene für eine Erhöhung der Anzahl der zugelassenen Tiere bei Schlachtungen im Herkunftsbetrieb einzusetzen,
6. die bestehenden Betreuungs- und Beratungsdienste zur intensiven Begleitung der Betriebe synergetisch zu ergänzen, damit Förderprogramme möglichst sinnvoll genutzt werden können,
7. Landwirtschaft sowie Natur- und Umweltschutz mit dem „Niedersächsischen Weg“ in Einklang zu bringen. Viele Flächen mit hoher biologischer Vielfalt können nur durch extensive landwirtschaftliche Nutzung erhalten werden. Dabei fallen Produkte an, die ebenfalls zu auskömmlichen Preisen vermarktet werden müssen, welches durch regionaltypische Begrifflichkeiten und geschützte Ursprungsbezeichnungen unterstützt werden kann,
8. regionale Wertschöpfungsketten und Vermarktungsinitiativen zu stärken und langfristig zu sichern, indem Fördermittel noch gezielter für lokale Wirtschaftskreisläufe eingesetzt werden,
9. die Entbürokratisierung im Bereich Hofläden und Direktvermarktung unter Beachtung des Verbraucherschutzes und in Zusammenarbeit mit den Direktvermarktungszusammenschlüssen voranzutreiben, um die Preise für regional vermarktete Produkte konkurrenzfähig zu machen,
10. Regionalität im Schul- und Arbeitsalltag zu fördern. Die regionale Herkunft der Lebensmittel sollte bei der Vergabe von Schul- und öffentlichen Kantinen als Kriterium Beachtung finden können, nicht nur der Preis. Kantinenbetreibende sollten daher für den Einsatz regionaler Produkte sensibilisiert werden. Mehr echte Regionalität und nach Möglichkeit Direktbezug vom landwirtschaftlichen Betrieb müssen das Ziel sein.
11. die Digitalisierung in diesem Bereich zu fördern. Sowohl das Zahlen mit Kartenbezahlsystemen, Handy und Co als auch das Verkaufen via digitaler Anwendungen sind für die erfolgreiche und zukunftsgerichtete Vermarktung der Produkte essentiell.
Begründung
Die Anzahl von landwirtschaftlichen Betrieben bis 50 ha Fläche ist seit Mitte der 1990er Jahre um ca. 65 % zurückgegangen. Ähnlich alarmierende Zahlen melden das Bäcker- und Fleischerhandwerk. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, werden die familiengeführten Handwerksbetriebe und die bäuerliche Landwirtschaft mittelfristig verschwunden sein. Dabei sind die bäuerlichen Landwirtschafts- und Handwerksbetriebe ein unerlässliches Element im regionalen Wirtschaftskreislauf und tragen zur nachhaltigen Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln bei.
Die Krisen der vergangenen Jahre (Covid-19, Überfall Russlands auf die Ukraine und zusammengebrochene Transportketten) haben den Blick wieder verstärkt auf die Selbstversorgung gelenkt, die nicht nur im Bereich Energieversorgung einen wichtigen Stellenwert erhält, sondern auch in Hinsicht auf den Grad der möglichen Selbstversorgung mit Lebensmitteln und das am liebsten regional, um die Transportwege kurz zu halten und zusätzlich das Klima schonen zu können.