Antrag: Digitale Finanzverwaltung und KI im Besteuerungsverfahren ausbauen, Forschungskooperation TaDeA stärken!
Fraktion der SPD
Fraktion der CDU
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Durch grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrug und aggressive Steuergestaltungen mit internationalen Bezügen werden dem Staat erhebliche Steuereinnahmen vorenthalten. Aufzudecken und zu ermitteln sind solche Sachverhalte wegen ihrer Komplexität, der oft unstrukturiert und lückenhaft vorliegenden Daten jedoch nur schwer. Dies gilt insbesondere für die Bekämpfung grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrugs, der auch das Ergebnis organisierten Verbrechens sein kann.
Bund und Länder erkunden daher seit einiger Zeit Möglichkeiten, KI zur Beschleunigung und Verbesserung von Verfahrensabläufen zu nutzen. In Niedersachsen forschen das Landesamt für Steuern (LStN) und die Abteilung VLBA der Universität Oldenburg in der Forschungskooperation „TaDeA – Tax Defence Analytics“ seit Dezember 2020 gemeinsam daran, mithilfe von Datenanalysen und anderen Data-Science-Methoden der automatisierten Anomalieerkennung Umsatzsteuerbetrugsfälle und aggressive Steuervermeidungspraktiken aufzuklären.
In der hessischen Finanzverwaltung sind KI-Systeme bereits im operativen Einsatz und unter anderem zur Analyse der sog. „Paradise Papers“ genutzt worden, von denen Hessen nach eigenen Angaben mehr als 24 Millionen Dokumente zur weiteren Bearbeitung an ermittelnde Behörden abgegeben hat und mindestens 75 Millionen Euro an Steuergeldern für das Gemeinwesen zurückholen konnte.
Bei der Definition von Risikoregeln für das automatisierte Besteuerungsverfahren hat auch das niedersächsische TaDeA-Projekt bereits zu konkreten Verbesserungen geführt. Die Expertinnen und Experten der Universität Oldenburg und des Landesamtes für Steuern haben gemeinsam Verfeinerungen des Risikomanagements erarbeitet, dank derer potenzielle Steuerausfälle frühzeitig erkannt und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können. Die neuen Risikoregeln sollen in naher Zukunft in operative Anwendungen integriert werden. Zusätzlich versprechen Text-Mining-Verfahren dank automatisierter Analyse von besteuerungsrelevanten Dokumenten erhebliche Erleichterungen und Verfahrensbeschleunigungen.
Der Landtag bittet daher die Landesregierung,
- die Möglichkeiten von KI in der Steuerverwaltung zielgerichtet zu nutzen und daraus entstehende praktische Anwendungen – ggfs. unter Berücksichtigung bestehender Bund-Länder-Kooperationen – schnellstmöglich und unter Einbindung weiterer Kooperationspartner aus Wissenschaft und steuerlicher Verwaltungspraxis in den Arbeitsalltag zu integrieren,
- die Forschungskooperation TaDeA über den bisher bis 2026 vereinbarten Zeitraum hinaus am Standort Oldenburg zu verlängern, ihre finanzielle und personelle Ausstattung regelmäßig und bedarfsgerecht an den wachsenden Umfang ihrer Einsatzmöglichkeiten („use cases“) anzupassen und ihre Finanzierung in der Mittelfristigen Planung (Mipla) fortzuschreiben,
- gemeinsame Projekte mit Startups zu ermöglichen und den Aufbau eines Reallabors für Teststellungen in der Finanzverwaltung zu fördern,
- eine Professur für die Aus- und Weiterbildung von Big Data- und IT-Sicherheitsspezialisten mit Schwerpunkt IT-Forensik für die gesamte Landesverwaltung zu prüfen,
- Finanzbeamtinnen und Finanzbeamte im kritischen Umgang mit KI und den von ihr generierten Daten zu schulen,
- das Thema KI/IT-Forensik zum Gegenstand regelmäßiger Wissens- und Erfahrungsaustausche der Länder im KONSENS-Verbund zu machen und gemeinsam abgestimmte Entwicklungsarbeiten im Bereich KI/IT-Forensik zu initiieren,
- die rechtlichen Voraussetzungen für eine länderübergreifende Zusammenführung von (ggfs. anonymisierten/pseudonymisierten) Daten mit dem Ziel einer Verbreiterung und Veredelung der Datenbasis zu prüfen und ggfs. zu initiieren,
- bei Bestehen der rechtlichen Möglichkeiten bzw. nach deren Schaffung mit anderen Ländern zusammen die länderübergreifende Bündelung und Analyse besteuerungsrelevanter Daten zu betreiben.
Begründung:
Steuern decken aktuell rund 85 Prozent der Ausgaben des Landeshaushalts. Sie sind die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle des Landes und unterliegen als Geldleistungen, die gemäß § 3 Abs. 1 Abgabenordnung allen auferlegt werden, in Bezug auf Rechtsetzung und Rechtsanwendung gleichermaßen den Maßstäben des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG.
Gleichmäßiger Normenvollzug durch die Finanzverwaltung setzt dabei die vollständige Kenntnis aller besteuerungsrelevanten Sachverhalte voraus. Diese Kenntnis speist sich bei Einkünften, die nicht bereits einem Steuerabzug durch Dritte unterliegen, aus den Erklärungen der Steuerpflichtigen und Ermittlungen der Finanzbehörden zur Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Angaben. In den steuerlichen Massenverfahren fallen dabei große Mengen an tatbestandlich kategorisierten Daten an, zwischen denen es oft – im einzelnen Steuerfall ebenso wie über alle Steuerfälle hinweg – plausibilisierbare Zusammenhänge gibt.
KI-basierte Systeme sind in der Lage, diese und ggfs. weitere Daten unvoreingenommen, ermüdungsfrei und mit hoher Geschwindigkeit auf Wiederholungen, Ähnlichkeiten oder Widersprüche hin zu analysieren. Lernende Varianten können dabei Zusammenhänge aufzeigen, die für Menschen unauffällig oder nicht einmal erkennbar sind[1]. Nicht nur die potenzielle Einbeziehung weiterer Datenquellen macht Analyseergebnisse möglich, die mit der gegenwärtig eingesetzten Besteuerungssoftware nicht erreichbar sind. Eine schnellere, noch stärker automatisierte Bearbeitung unauffälliger Steuerfälle und der gezielte Einsatz des hochqualifizierten Personals zur Prüfung nachweisbar auffälliger Sachverhaltsdarstellungen würden möglich.
Die besondere Eignung steuerlicher Sachverhalte für KI-basierte Analysen ist offensichtlich und seit längerem Gegenstand sowohl wissenschaftlicher Untersuchungen als auch konkreter Anwendungsvorschläge der steuerlich Beratenden. Auch Bund und Länder erkunden seit einiger Zeit Möglichkeiten, KI zur Beschleunigung und Verbesserung von Verfahrensabläufen zu nutzen. In Niedersachsen entwickelt eine Forschungskooperation zwischen der Universität Oldenburg und dem Landesamt für Steuern Verfahren zur automatisierten Anomalieerkennung, um Umsatzsteuerbetrug und aggressive Steuervermeidungsstrategien aufzudecken.
Operativ tätig sind bereits KI-Systeme der hessischen Finanzverwaltung. Zu deren Erfolgen erklärte der hessische Finanzminister mit Pressemitteilung vom 4. November 2022[2]: „In den vergangenen fünf Jahren haben unsere Expertinnen und Experten aus Kassel über 1.500 Anfragen aus dem In- und Ausland zu den Paradise Papers beantwortet. Dabei wurden Daten zu fast 600 Personen und rund 1.000 Firmen zur weiteren steuerrechtlichen und steuerstrafrechtlichen Prüfung an die zuständigen Finanzbehörden abgegeben. Mehr als 76.000 Dokumente aus den Paradise Papers wurden Ermittlerinnen und Ermittlern weltweit zur Verfügung gestellt. […] Aus allen Leaks haben wir aus Kassel mittlerweile über 24 Millionen Dokumente zur weiteren Bearbeitung an ermittelnde Behörden abgegeben. Mindestens 75 Millionen Euro konnten im Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren dadurch für das Gemeinwesen zurückgeholt werden. […] Die Forschung zur automatisierten Kategorisierung von Dokumenten wird zukünftig die Arbeit mit Massendaten in vielen Bereichen erleichtern. Die Erfahrungen und Kenntnisse, die wir aus der Auswertung der Leaks gewonnen haben, konnten wir unter anderem bereits bei der Überprüfung von Corona-Hilfen und aktuell bei der Durchsetzung der EU-Finanzsanktionen gegen Russland einsetzen.“
[1] Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, „Künstliche Intelligenz in der öffentlichen Verwaltung – Anwendungsfelder und Szenarien“, Stuttgart 2020