Antrag: Digitale Barrierefreiheit ohne Ausnahmen – die Landesregierung muss bei der Umsetzung der EU-Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen nachlegen!

er Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Die EU-Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen soll den Zugang zur digitalen Welt für Menschen mit Behinderungen verbessern. Sie verpflichtet die Mitgliedsstaaten deshalb dazu, zumindest den Zugang zu Online-Angeboten öffentlicher Stellen barrierefrei zu gestalten. Gleichzeitig ermutigt die Richtlinie die Mitgliedstaaten aber auch dazu, weitergehende Regelungen zu erlassen, um den Anforderungen der UN-BRK langfristig gerecht zu werden und Menschen mit Behinderungen gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen.

Der Gesetzentwurf von SPD und CDU zur Umsetzung der EU-Richtlinie (Drs. 18/1055) beschränkt sich jedoch auf die Umsetzung der Mindestanforderungen. So gibt es bspw. diverse Ausnahmeregelungen für öffentliche Stellen und gar keine Regelungen für den nichtöffentlichen Sektor. Menschen mit Behinderungen werden Online-Angebote von Behörden und öffentlichen Einrichtungen somit zwar weitgehend – aber auch nicht vollständig - nutzen können, jedoch weiterhin auf Barrieren stoßen, sobald sie im Internet bspw. einkaufen, Reisen buchen oder mit anderen Menschen kommunizieren wollen. Das widerspricht der UN-Behindertenrechtskonvention und dem Recht auf gleichberechtigte Teilhabe.

Wir fordern die Landesregierung daher auf, ergänzend zur vorliegenden Änderung des Niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetzes zur Umsetzung der EU-Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der

  1. auch private Anbieterinnen und Anbieter, sowie gemeinnützige Organisationen innerhalb einer angemessenen Übergangsfrist grundsätzlich zur Herstellung von Barrierefreiheit mindestens ihrer Online-Angebote und Software verpflichtet, wenn sie für die Allgemeinheit bestimmte kommerzielle Güter und Dienstleistungen digital anbieten,
  2. den Geltungsbereich des neuen §9 NBGG auf ausnahmslos alle Einrichtungen des Landes und der Kommunen ausweitet,
  3. für öffentliche Stellen, für die durch die Herstellung von Barrierefreiheit unverhältnismäßigen Belastungen entstehen, eine finanzielle Unterstützung des Landes gewährleistet,
  4. für Menschen mit Behinderungen einen gesetzlichen Anspruch formuliert, noch nicht barrierefreie Angebote in einem geeigneten Format bei der Anbieterin oder dem Anbieter anfordern zu können,
  5. die Einrichtung eines Kompetenzzentrums Barrierefreiheit vorsieht, das öffentliche und nichtöffentliche Stellen bei der Herstellung von Barrierefreiheit in allen Bereichen berät und unterstützt.

Begründung

Die Richtlinie 2016/2102 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Oktober 2016 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen (ABl. L 327 vom 2.12.2016, S. 1-15) verpflichtet die Mitgliedsstaaten zu einer Mindestharmonisierung von Online-Angeboten öffentlicher Stellen, ermutigt sie jedoch gleichzeitig dazu, die Anwendung der Richtlinie auch auf private Anbieterinnen und Anbieter auszuweiten. Ziel ist der gleichberechtigte Zugang für Menschen mit Behinderungen zu Informationen und Dienstleistungen. Dieser Zugang ist jedoch mit der Mindestharmonisierung, wie sie auch der Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und CDU vorsieht, bei Weitem nicht gleichberechtigt. Menschen mit Behinderungen nutzen ebenso wie Menschen ohne Behinderungen vorwiegend Online-Angebote privater Anbieterinnen und Anbieter, bspw. in den Bereichen Gesundheit, Freizeit oder Verkehr. Diese jedoch werden von den Regelungen des Gesetzentwurfes nicht erfasst. Die Nutzung vieler Online-Angebote bleibt Menschen mit Behinderungen somit weiterhin verwehrt.

Die im Gesetzentwurf bisher vorgesehenen Ausnahmen von der Verpflichtung zur Barrierefreiheit sind darüber hinaus zu streichen. Die Ausnahmeregelung für Kitas und Schulen in §9a, Abs. 5 stellt eine Verschlechterung gegenüber der derzeitigen Rechtslage darf und schafft neue Barrieren für Eltern mit Behinderungen, statt bestehende Barrieren abzubauen. Bei unverhältnismäßiger Belastung sollten öffentliche Stellen nicht – wie in §9a, Abs. 6 vorgesehen - von der Verpflichtung zur Barrierefreiheit entbunden, sondern vielmehr in die Lage versetzt werden, diese zu schaffen.

Für gleichberechtigten Zugang, insbesondere zu Informationen, ist eine gesetzliche Regelung erforderlich, die es Menschen mit Behinderungen ermöglicht, (noch) nicht barrierefreie Inhalte in einem geeigneten Format anfordern zu können. Das ergibt sich auch aus Art. 7, Abs. 1 der EU-Richtlinie, wo eine solche Möglichkeit als Bestandteil der Erklärung zur Barrierefreiheit vorgesehen ist.

Barrierefreiheit ist nicht nur im Internet, sondern bspw. auch bei Gebäuden, im Verkehr oder in den Medien in Zukunft schrittweise zu verwirklichen. Dafür sind umfassende konzeptionelle Überlegungen, sowie theoretische Expertise und praktische Erfahrungen erforderlich, die in einem Kompetenzzentrum Barrierefreiheit gebündelt werden können. Ein solches Kompetenzzentrum kann als zentrale Anlaufstelle in allen Fragen der Barrierefreiheit fungieren, seine Expertise gezielt zur Verfügung stellen und im Sinne eines Multiplikators weitergeben. Auch die geplante Überwachungsstelle könnte bei einem solchen Kompetenzzentrum angesiedelt werden.

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