Antrag: Die finanziellen Risiken der Atomkraft dürfen nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden – Vorsorgeleistungen für Atomkraft reformieren

Fraktion der SPD

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Hannover, den 18.03.2014

Der Landtag stellt fest:

Die Betreiber deutscher Atomkraftwerke (AKW) sind gemäß dem Verursacherprinzip verpflichtet, finanzielle Vorsorge für Atomunfälle, die Entsorgung des Atommülls und den Rückbau der Anlagen zu treffen. Diese Vorsorgeleistungen sind jedoch unzureichend. Für die Entsorgung radioaktiver Abfälle sowie für Stilllegung und Rückbau der Atomkraftwerke bilden die Energieversorgungsunternehmen (EVU) Rückstellungen. Diese Rückstellungen werden bislang von den AKW-Betreibern verwaltet. Dabei muss gewährleitet werden, dass die Finanzmittel zum entsprechenden Zeitpunkt in erforderlichem Umfang zur Verfügung stehen. Die Gesamtsumme der Rückstellungen betrug Ende 2011 ca. 33 Milliarden Euro. Diese Rückstellungen sind jedoch nicht vor Krisen oder einer Insolvenz des Betreibers geschützt.

Die Atomkatastrophen von Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) haben zudem einmal mehr deutlich gemacht, dass auch die finanzielle Leistungsfähigkeit großer Energiekonzerne schnell an Grenzen stößt. Ein Unfall hat schwerwiegende Folgen für Mensch und Umwelt und kann ganze Landstriche unbewohnbar machen. Dabei können Schadenssummen in Billionenhöhe verursacht werden. Die Betreiberfirma Tepco des AKWs Fukushima musste zwei Monate nach dem GAU Insolvenz anmelden.

Auch deutsche Atomkraftwerke sind nur unzureichend gegen einen GAU versichert. Die Deckungsvorsorge der AKW-Betreiber deckt im Rahmen eines Haftungsrings der EVUs nur 2,5 Milliarden Euro ab. Ein schwerer Atomunfall könnte in Deutschland allerdings langfristig Kosten von bis zu 5.000 Milliarden Euro verursachen. Die entstandenen Schäden müsste demnach die öffentliche Hand tragen.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

  1. Sich im Bundesrat dafür einzusetzen, die Rückstellungen der AKW-Betreiber für die atomrechtlich gebotenen Entsorgungsschritte (Stilllegung und Abbau von Kernkraftwerken, Brennelemententsorgung, Entsorgung radioaktiver Betriebsabfälle) in einen öffentlich-rechtlichen Fonds zu überführen.
  2. Für mehr Transparenz bei den Rückstellungen einzutreten und für die niedersächsischen Atomkraftwerke offenzulegen, welcher Finanzbedarf über welchen Zeitraum für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung von Brennmaterial erwartet wird.
  3. Im Bundesrat darauf hinzuwirken, die Haftungsregeln für Störfälle zu verschärfen und die Haftungssummen für mögliche Katastrophenfolgen an die Höhe der potenziellen Schadenssumme anzupassen.
  4. Sich auf Bundesebene für eine Verlängerung der Geltung der Kernbrennstoffsteuer über das Jahr 2016 hinaus einzusetzen.

Begründung

Die derzeitige Praxis der Rückstellungen birgt grundlegende Risiken. Aufgrund der Steuerbefreiung für die Rückstellungen sind dem Land Niedersachsen und seinen Kommunen in den letzten Jahren rund 720 Millionen Euro Körperschaft- und Gewerbesteuer entgangen. Da die EVU die Rücklagen eigenständig verwalten, dienen sie als günstige Finanzierungsquelle für Investitionen oder die Erschließung neuer Geschäftsfelder. Dies stellt einen bedeutsamen Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren Stadtwerken und Anbietern erneuerbarer Energien dar und die Rückstellungen wirken so als versteckte Subventionierung der Atomkonzerne. Solange die Rückstellungen von den Energieversorgungsunternehmen selbst verwaltet werden, besteht zudem keine Absicherung gegen das Insolvenzrisiko der EVU. Eine sachgerechte Prüfung der Höhe der Rückstellungen ist bislang unmöglich, da die AKW-Betreiber nicht offenlegen müssen, welche Kosten sie für die Zukunft erwarten. Daher kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Rückstellungen zu niedrig angesetzt werden. Das hat der Bundesrechnungshof in seinen „Bemerkungen 2010 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes – Weitere Prüfungsergebnisse“ vom 12. April 2011 festgestellt.

Die Überführung der Rückstellungen in einen öffentlich-rechtlichen Fonds stellt sicher, dass Mittel im Bedarfsfall in ausreichender Höhe unverzüglich zur Verfügung stehen In der Schweiz wird dies bereits so praktiziert (‘‘Verordnung über den Stilllegungsfonds und den Entsorgungsfonds für Kernanlagen SEFV‘‘ vom 7. Dezember 2007).

Das Atomgesetz (AtG) verpflichtet die AKW-Betreiber lediglich, für eine Schadenssumme bis 2,5 Milliarden Euro eine Deckungsvorsorge zu treffen. Jeder deutsche AKW-Betreiber hat eine Haftpflichtversicherung über 250 Mio. Euro abgeschlossen. Im Falle eines Atomunfalls haftet der Betreiber mit seinem gesamten Vermögen. Kann der Betreiber die entstehenden Kosten nicht alleine decken, haften die anderen Betreiber mit bis zu 2,25 Mrd. Euro. Diese zusätzliche Deckung haben die EVU über eine gegenseitige Haftungserklärung abgesichert.

Die Kosten eines GAU übersteigen die finanziellen Möglichkeiten eines Privatunternehmens. Denn diese Kosten würden einen AKW-Betreiber in die Insolvenz treiben. Fukushima hat eindrucksvoll bewiesen, dass letztlich der Großteil der Kosten von der Allgemeinheit und damit von der öffentlichen Hand getragen wird. Es ist also unvermeidbar, dass der Staat im Schadensfall Kosten und Pflichten zur Schadensbegrenzung und Unfallnachsorge übernimmt. Es muss jedoch sichergestellt werden, dass die AKW-Betreiber einen angemessenen Beitrag zur Schadensvorsorge leisten.

Der Vergleich mit anderen Unternehmen in Niedersachsen zeigt: Die Betreiber der Atomkraftwerke Grohnde, Emsland und Unterweser zahlen bislang im Verhältnis zu ihrem Betriebsrisiko nur geringe Haftpflichtbeiträge. Zudem steigt mit dem Alter der Atomreaktoren das Störfallrisiko. Um dem Sorge zu tragen, müssen die Versicherungssummen erhöht werden.

Die Betreiber von Atomkraftwerken profitieren von einer intransparenten Rückstellungspraxis und unzureichenden Haftungspflichten. Im Jahr 2016 soll nun die Brennelementsteuer auslaufen. Diese Vorzugsbehandlung der Atomindustrie verschleiert die wahren Kosten der Atomenergie. Die finanzielle Haftung für Störfälle und die Atommüllentsorgung wird so auf die Allgemeinheit, den Staat, abgewälzt. Das Atommülldesaster in der Asse macht dies mehr als deutlich. Hinzu kommt, dass  Verpflichtungen der EVU in Bezug auf die sichere Entsorgung für einen noch unabsehbaren Zeitraum in die Zukunft bestehen.

Zurück zum Pressearchiv