Antrag: Demografie gestalten: Chancen der Seniorenwirtschaft in Niedersachsen nutzen

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Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Hannover, den 01.November 2005

Entschließung
Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
1. nach dem Vorbild in Nordrhein-Westfalen die begonnene Arbeit an der "Landesinitiative Seniorenwirtschaft i.Gr." in Niedersachsen zu unterstützen und auszubauen zu einem Netzwerk aus Akteuren der Wirtschaft, des Handwerks, der Tourismus- und Wohnungswirtschaft, den Gewerkschaften, der öffentlichen Hand, den Wohlfahrtsverbänden, der Wissenschaft und der Landesseniorenvertretung.
a. Die Initiative soll personell und finanziell gemeinsam von den beteiligten Verbänden sowie vom Wirtschaftsministerium und vom Sozialministerium aus vorhandenen Fördermitteln unterstützt und begleitet werden.
b. Im Rahmen der Landesinitiative sollen wissenschaftliche Studien, Markterhebungen, Tagungen und Workshops zusammen mit Kommunen und Branchenvertretern u. a. aus den Bereichen "Mobilität", "Telekommunikation", "Wohnen", "Gesundheit" und "Freizeit/Tourismus" durchgeführt werden.
2. die Orientierung auf einen Senioren- und Gesundheitstourismus neben dem Schwerpunkt Familientourismus in Niedersachsen zukünftig verstärkt voranzutreiben. Es sind zusammen mit den Tourismusregionen auf diese Nachfrage zugeschnittene Angebote zu entwickeln. Dabei sind insbesondere auch für die 51 Heilbäder und Kurorte in Niedersachsen neue Perspektiven im Segment des Wellness-Tourismus und mit attraktiven Seniorenresidenzen zu eröffnen.
3. a. im Rahmen der Arbeit der Landesinitiative Seniorenwirtschaft niedersächsische Betriebe attraktiver und fit zu machen für die Zielgruppe 60+ mit Nachfrage nach qualitativ hochwertigen und individuell zugeschnittenen Dienstleistungen und Produkten.
b. Gründungen im Bereich Seniorenwirtschaft in Niedersachsen im Verbund mit IHK, Handwerkskammer, N-Bank und dem NIW gezielt zu unterstützen und Beratungsangebote aufzubauen.
Begründung
Die starke Alterung der Bevölkerung in Niedersachsen in den nächsten Jahrzehnten bewirkt nicht nur Probleme, sondern auch Chancen. Viele Haushalte älterer Bürger verfügen über überdurchschnittliche Einkommen und Besitzgüter. Diese Konsumentengruppe gibt zunehmend Geld für auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Produkte und Dienstleistungen aus, die ihre Lebensqualität erhöhen. Das wachsende Potenzial der Seniorenwirtschaft ist jedoch in den meisten Wirtschaftsbereichen in Niedersachsen bislang nur wenig erschlossen. Die vielen potenziellen Akteure in der Seniorenwirtschaft müssen für eine erfolgreiche Nutzung des wachsenden Marktes aktiv vom Land zusammengeführt werden, um der lahmenden Binnennachfrage neue Impulse zu geben. Bisher geht in diesem Segment unnötig Kaufkraft verloren, durch die Tendenz gerade bei wohlhabenden Senioren in südlichen Urlaubsregionen einen Zweitwohnsitz zu unterhalten. Schätzungen gehen von 800.000 älteren deutschen Dauerurlaubern im Ausland aus, mit einem Kaufkraftverlust von 20 Mrd. €/a bundesweit. Niedersachsens Tourismusregionen sind bisher nicht in der Lage diesen Trend mit bedarfsgerechten Angeboten abzubremsen oder gar umzukehren.
Das aktuelle gesellschaftliche Bild von älteren Menschen passt nicht mit den Potenzialen der Seniorenwirtschaft zusammen. Konsequente Maßnahmen zur Erschließung des Seniorenmarktes wurden in Niedersachsen bislang weder von der Politik noch von der Wirtschaft im ausreichenden Umfang entwickelt. Stattdessen konzentrierte sich bislang die Wirtschaft bei Produktentwicklung und beim Marketing noch auf jugendliche Konsumenten und vernachlässigte die wirtschaftlich immer bedeutendere Konsumentengruppe der älteren Bürger. Um dort nicht die Entwicklung in anderen Bundesländern zu verpassen, ist hier dringend schon heute landespolitisches Handeln notwendig, und nicht erst nach Abschluss der Enquete-Kommission Demografischer Wandel.
Ältere Menschen verfügen heute im Durchschnitt über ein erhebliches Einkommen. Das belegen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes. Eine Studie aus Nordrhein-Westfalen zeigt, dass dort Seniorenhaushalte über durchschnittlich 2.550 Euro im Monat verfügen. 87 Prozent besitzen Erspartes, 62 Prozent gehören Häuser, Wohnungen oder Grundstücke. Rund ein Fünftel der gesamten Konsumausgaben aller Privathaushalte entfallen auf die über 64-Jährigen. Während die durchschnittliche Konsumquote der Haushalte bei 75 Prozent des verfügbaren Einkommens liegt, gibt die ältere Generation 82 Prozent für Konsum aus.
Ältere Menschen investieren ihr Geld zunehmend in Dienstleistungen und Produkte, die ihre Lebensqualität erhöhen. Doch auf die wachsende Nachfrage hat sich die Angebotsseite in Niedersachsen noch nicht ausreichend eingestellt. Andere Bundesländer und das europäische Ausland sind dort bereits aktiver und binden damit diese Konsumbedürfnisse an sich. Ältere wollen mobil bleiben und ihr Leben genießen, wollen an der Gesellschaft teilhaben, sich einbringen und so lange wie möglich unabhängig sein, am besten in den eigenen vier Wänden.
Durch die Alterung der Gesellschaft und der finanziellen Möglichkeiten älterer Menschen wird deren Marktsegment für Handwerk, Wohnungs- und Tourismuswirtschaft, Gesundheit, Wellness und haushaltsnahe Dienstleistungen künftig weiter an Bedeutung gewinnen. Das lässt sich schon an den Verschiebungen der Ausgaben in den vergangenen Jahren ablesen: Ältere Menschen reisen immer mehr, geben zunehmend Geld für ihr Wohlbefinden und für Produkte, die ein selbst bestimmtes Leben ermöglichen, aus.
Auch Niedersachsen kann von diesen Entwicklungen profitieren: Nicht nur Spanien, Griechenland oder Italien, sondern auch Niedersachsen kann mit der Nordseeküste, dem Weserbergland, der Heide und dem Harz attraktive Erholungsgebiete vorweisen. Statt den reiselustigen Senioren hinterher zu winken (die Zahl der Übernachtungen geht seit Jahren zurück und sank erneut im vergangenen Jahr um 0,5 Prozent), könnte Niedersachsen brach liegende Chancen im Gesundheits-, Natur- und Kulturtourismus besser nutzen. Die Tourismusregionen müssen – mit Unterstützung der Landesregierung - zu einem gemeinsamen Vorgehen zusammenfinden und ihre Angebote verbessern, um erfolgreicher in der Vermarktung zu werden.
Voraussetzung für die erfolgreiche Nutzung der Seniorenwirtschaft ist, dass die Kommunen in Niedersachsen, nicht nur in Tourismusregionen, ihre Infrastruktur überarbeiten für volle Altentauglichkeit im ÖPNV, bei Dienstleistungen, Einkaufen, Betreuung wie auch im Freizeit- und Wohnangebot. Senioren wollen in Wohnungen und Stadtquartieren leben, die nicht aussehen wie Krankenstationen, und dennoch den Anforderungen älterer Menschen praxisnah gerecht werden.
Ob fernlenkbare Fensteröffnungssysteme, Fahrzeuglenkungs-Assistenzsysteme, seniorengerechte Telekommunikations- und EDV-Ausstattung, Absenkungen von Türschwellen, Umbau von Duschen und Türen – innovative Produkte, die das Leben angenehmer machen und trotzdem gut aussehen, sind gefragt. Was gut für alte Menschen ist, ist oft auch für andere Nutzer besser. Hier eröffnet sich für Handwerksbetriebe und Industrie ein Markt der stark wächst. In NRW hat z. B. die Handwerkskammer in Oberhausen das "Handwerkszentrum Wohnen im Alter" gegründet, das informiert, als Erfahrungsschnittstelle dient, Serviceangebote bündelt und Weiterbildung anbietet. Erst- und einmalig ist bundesweit der sechsmonatige Fernlehrgang "Senioren- und behindertengerechtes Bauen und Wohnen". An solchen innovativen Ansätzen sollte sich Niedersachsen orientieren.

Fraktionsvorsitzender

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