Antrag: Das niedersächsische Strafvollzugsgesetz unverzüglich nachbessern!

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest, dass

  • das am 01.01.2008 in Kraft getretene niedersächsische Strafvollzugsgesetz in der Praxis im Bereich der Untersuchungshaft mangelhaft funktioniert. Die betroffenen Amtsgerichte an den Justizvollzugsanstalten beschweren sich über praxisferne und bürokratische Regelungen. Der niedersächsische Richterbund, die niedersächsischen Strafverteidiger und justizpolitische Fachleute verlangen eine schnelle Novellierung des Gesetzes;
  • erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken an dem Gesetz im Bereich der Untersuchungshaft bestehen. Der Bund vertritt die Auffassung ihm obliege nach wie vor die Verantwortung im Bereich der Post- und Besuchskontrolle. Das OLG Oldenburg hat daher einen Vorlagebeschluss beim Bundesverfassungsgericht vorgelegt, um die Kompetenzstreitigkeiten zu klären;
  • sich die hohe Zahl an fachlich begründeten Kritiken an der Föderalismusreform im Bereich Strafvollzug damit bestätigt hat. Die gesamte Fachwelt hat unisono vor der Verlagerung der Strafvollzugsmaterie an die Länder gewarnt, da damit Rechtszersplitterung, Bürokratie und ein Absinken der Vollzugsqualität drohe. Diese Befürchtungen sind in Niedersachsen eingetreten und müssen umgehend korrigiert werden. 
  • der schwere Übergriff auf einen Strafgefangenen durch Mitgefangene während einer Mehrfachzellenbelegung erneut deutlich macht, dass eine Mehrfachbelegung das Risiko für die Verübung von Straftaten und das Entstehen von Subkulturen erhöht. Daher ist die Einzelunterbringung ein notweniger Standard eines menschenwürdigen und resozialisierungsorientierten Justizvollzuges, von der nur in absoluten Ausnahmen abgewichen werden darf.    

Der Landtag fordert die Landesregierung zu folgenden Maßnahmen auf:

  1. Den Bereich der Untersuchungshaft im niedersächsischen Strafvollzugsgesetz komplett neu zu regeln. In Abstimmung mit dem Bund und den Ländern müssen sachgerechte und konsistente Regelungen im Bereich der unmittelbaren Zwecke der U-Haft wie auch der Durchführung gefunden werden. Der Ermittlungsrichter soll zukünftig wieder das Recht zur Post- und Besuchskontrolle haben. Er kann diese Aufgabe an den sachlich zuständigen Staatsanwalt delegieren.
  2. Bis zur Neuregelung ist den betroffenen überlasteten Amtsgerichten an den Hauptstandorten der Vollzugsanstalten unverzüglich eine angemessene personelle Verstärkung zur Verfügung zu stellen.
  3. Das niedersächsische Strafvollzugsgesetz dergestalt zu ändern, dass zukünftig die Mehrfachunterbringung nur noch bei medizinisch-psychologisch festgestellter Eigengefährdung oder bei dem nachdrücklichen Wunsch nach Zusammenlegung durch Strafgefangene durchgeführt wird.

Begründung

Das niedersächsische Strafvollzugsgesetz (GJVollz Nds) hat den Praxistest nicht bestanden und ist daher schnellst möglich zu reparieren. Durch die Regelung, den Amtsrichter am Vollzugseinrichtungsstandort als kontrollierendes Organ im Bereich der Post- und Besuchskontrolle einzusetzen, ist ein unverhältnismäßiger bürokratischer Mehraufwand an den entsprechenden Gerichten entstanden. Statt des in das Verfahren bereits eingearbeiteten Ermittlungsrichters muss sich durch die Neuregelung ein weiterer Richter in den Vorgang einarbeiten. Es kommt daher zu doppelt und mehrfach Arbeiten, die zum einen hohe Kosten verursachen und zum anderen andere Gerichtsverfahren unnötig in die Länge ziehen. Die betroffenen Amtsgerichte haben sich bereits außerordentlich kritisch über den immensen Aufgabenzuwachs geäußert. Die Strafverteidiger monieren die Mangelhaftigkeit des Gesetzes und nicht zuletzt sind die Strafgefangenen unmittelbar negativ betroffen, da nunmehr die Postkontrolle unverhältnismäßig lange dauert. Daher sind die betroffenen Amtsgerichte unverzüglich mit einer angemessenen Personalverstärkung zu versehen, damit sowohl die rechtsuchenden Bürger wieder zeitnah zu ihrem Recht kommen, als auch die Vollzugsinsassen der Untersuchungshaft  ihre Kontakte aufrecht erhalten können.

Neben der Praxisferne des Gesetzes im Bereich der Untersuchungshaft gibt es  verfassungsrechtliche Bedenken. Nach wie vor ist umstritten, ob und wie viel Kompetenzen der Bund und die Länder im Bereich der Untersuchungshaft haben. Die Föderalismusreform hat hier für vermeidbare Kompetenzstreitigkeiten gesorgt. Der Bund und die Länder müssen ihre Kompetenzstreitigkeiten unverzüglich klären und lösen.

Der Bund reklamiert die Kompetenzen für die unmittelbaren Zwecke der Haft für sich und  versteht darunter auch die Untersuchungshaftkontrollen und billigt den Ländern die Verantwortung ausschließlich im Bereich der Durchführung der Untersuchungshaft zu. Die große Zahl der Bundesländer teilt diese Rechtsauffassung und wartet auf ein Untersuchungshaftgesetz des Bundes. Das OLG Oldenburg hat nunmehr dem Bundesverfassungsgericht einen Vorlagebeschluss vorgelegt, um die Kompetenzbefugnisse zu prüfen und um damit Rechtssicherheit zu erhalten.

Damit zukünftig wieder der fachlich und sachlich eingearbeitete Ermittlungsrichter für den Bereich der Post- und Besuchskontrolle im Bereich der Untersuchungshaft zuständig ist, wird die  Landesregierung aufgefordert gemeinsam mit den anderen Bundesländern und dem Bund zu einheitlichen und konsistenten Regelungen im Bereich der Untersuchungshaft zu kommen, damit Bürokratie und Doppelzuständigkeiten abgebaut werden. Die Landesregierung soll daher konstruktiv über den Bundesrat an einem einheitlichen Untersuchungshaftvollzugsgesetz des Bundes mitwirken.   

Die schweren Übergriffe auf einen Strafgefangenen in der Justizvollzugsanstalt Salinenmoor durch Mitgefangene machen darüber hinaus erneut deutlich, wie gefährlich die Mehrfachzellenbelegung sich auswirken kann. Der Vollzug der Freiheitsstrafe ist der schwerste Eingriff in die Grundrechte der Bürger durch den Staat. Der Staat hat damit eine Gewährleistungspflicht für einen Vollzug ohne körperliche und psychische Schäden. Eine Einzelunterbringung im Strafvollzug ist eine wichtige Maßnahme um Gewalt und Subkultur im Vollzug zu vermeiden. Die erleichterte Mehrfachzellenbelegung ist daher unverzüglich rückgängig zu machen.  

Stefan Wenzel

Fraktionsvorsitzender

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