Antrag: Das Desaster im Atommülllager Asse II bei Wolfenbüttel muss zu weit reichenden Konsequenzen führen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

Das Desaster in der Asse macht deutlich, dass die mit der Lagerung von Atommüll verbundenen Herausforderungen bislang systematisch unterschätzt wurden. Da die Schachtanlage Asse grundlegende Forschungsarbeiten für ein Lager im Salzstock Gorleben liefern sollte, müssen die Vorgänge in der Asse Konsequenzen für das deutsche Endlagerkonzept haben.

Der Landtag hält folgende Maßnahmen für dringend notwendig:

  • Den sofortigen Stopp aller vorbereitenden Arbeiten zur Flutung der Asse.
  • Die sorgfältige Prüfung aller technisch machbaren Optionen zur Stabilisierung des Bergwerks und zur Abwehr von Gefahren durch die eingelagerten radioaktiven Stoffe inklusive vollständiger Rückholung der Abfälle.
  • Beibehaltung aller im bisherigen Verfahren installierten Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit, die über die in einem Planfeststellungsverfahren nach Atomrecht vorgesehenen Rechte hinausgehen. Die bisher eingerichteten Arbeitsgruppen (Asse Begleitgruppe und Arbeitsgruppe Optionenvergleich) sind entsprechend in das Verfahren einzubeziehen und finanziell zu unterstützen.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • für eine ergebnisoffene bundesweite Suche nach einem Lager für hochradioaktiven Müll einzutreten,
  • die einseitige Festlegung auf ein Atommülllager im Salzstock von Gorleben aufzugeben und für einen unbefristeten Bau- und Erkundungsstopp in Gorleben einzutreten,
  • sich für einen sofortigen Stopp weiterer Transporte von Atommüll in das oberirdische Gorlebener Zwischenlager einzusetzen.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

  • Die gesamte Atomaufsicht des Landes einer unabhängigen Evaluierung zu unterziehen, insbesondere auch um sicherzustellen, dass sie die notwendige Fachkunde für ein atomrechtliches Verfahren in der Asse besitzt.
  • Einen Fonds zur Beseitigung nuklearer Altlasten und Abfälle einzurichten und mit den anderen Bundesländern und dem Bund die Möglichkeit zur Erhebung einer verursacherbezogenen Altlastengebühr zu prüfen.

Begründung

Der Statusbericht des Niedersächsischen Umweltministeriums über die Schachtanlage Asse II zeichnet ein unglaubliches Bild von den Vorgängen in dem dortigen Atommülllager. Der Bericht offenbart, dass es in Niedersachsen rechtsfreie Räume gab. Der Bericht offenbart ein totales Versagen der Atomaufsicht des Landes Niedersachsen und der zuständigen Bergbehörden, die der Fachaufsicht des Umweltministers und der Dienstaufsicht des Wirtschaftsministers unterstellt sind. Der Bericht offenbart eine verantwortungslose Haltung des Betreibers Helmholtz-Zentrum München und seiner Eigentümer, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Land Bayern.

Der Bericht dokumentiert, dass gegen Atomrecht, Strahlenschutzrecht und Strafrecht verstoßen wurde. Für den Umgang mit radioaktiven Stoffen lag weder eine Genehmigung nach §7 StrlSchV vor, noch eine Genehmigung für den Umgang mit Kernbrennstoffen nach §6 AtG. Auch §9b AtG wurde nicht angewendet, obwohl beabsichtigt war ein Endlager für Atommüll zu schaffen. Insbesondere der bergrechtliche Sonderbetriebsplan Nr. 18, der die Verklappung von Laugen regeln sollte, die über den Freigabewerten der StrlSchV mit Cäsium 137 belastet waren, ist rechtswidrig. Die gesetzlich geforderte Zuverlässigkeit und Fachkunde des Betreibers war ganz offensichtlich nicht gegeben. Der Bericht des Umweltministeriums behauptet, dass in der Asse keine wärmeentwickelnden radioaktiven Abfälle eingelagert wurden. Gleichwohl bestehen nach wie vor begründete Zweifel an der Konsistenz der Inventarlisten des Betreibers.

Der Statusbericht vermittelt einen erstaunlichen Einblick in die Zuverlässigkeit niedersächsischer Behörden und in das Handeln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Der Statusbericht hat aber gleichzeitig eine ganze Reihe von blinden Flecken und zeigt nicht auf, wie es zu diesem beispiellosen Versagen kommen konnte und wer dafür im Umweltministerium die Verantwortung trägt. Der Bericht zeigt auch nicht, wie ein der Universität Clausthal angegliedertes Institut für Tieflagerung (IfT), dass nach eigenem Bekunden in den 70er und 80er Jahren zu den "weltweit führenden Forschungsinstitutionen auf seinem Gebiet" [Helmholtz Zentrum München: Kappei, Haury, 1.9.2008] gehörte und eine Reihe anderer namhafter Institutionen und Wissenschaftler, zu solch krassen Fehleinschätzungen kommen konnte.

Die Süddeutsche Zeitung vom 4.9.08 überschreibt ihren Kommentar zur Asse mit "Verrottetes Vertrauen". Ob das Vertrauen in die Endlagerforschung der beteiligten Institutionen und wissenschaftlichen Einrichtungen wieder hergestellt werden kann, ist mehr als zweifelhaft. Gleichwohl hat die Öffentlichkeit ein Recht auf vollständige Offenlegung aller Fakten. Deshalb ist ein Untersuchungsausschuss unverzichtbar. Alle Fraktionen im Landtag müssen ein Interesse an dieser lückenlosen Aufklärung haben, um das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres demokratischen Rechtsstaates zu sichern.

Jenseits der Aufklärung über die Vorgänge in der Asse muss der Blick aber auch in die Zukunft gerichtet werden. Dass die Verantwortung für die Schachtanlage auf das Bundesumweltministerium und das BfS überging ist ein erster positiver Schritt. Jetzt kommt es darauf an, dass alle atomrechtlichen und strahlenschutzrechtlichen Grundlagen lückenlos angewandt werden. Das hochumstrittene Konzept zur Flutung des Bergwerks und die vorbereitenden Arbeiten sind endgültig zu stoppen.

Vordringlich ist, dass der Optionenvergleich mit Sorgfalt vorangetrieben wird. Für eine Stilllegung ist zudem ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren unverzichtbar. Beim Optionenvergleich sind alle technisch machbaren Optionen zum Schutz der Menschen und der Biosphäre zu prüfen. Absolute Priorität hat dabei die Prüfung einer vollständigen Rückholung der Abfälle. Rabatte beim Langzeitsicherheitsnachweis darf es keinesfalls geben. Das Begleitgremium und die Arbeitsgruppe Optionenvergleich müssen bestmöglich unterstützt werden. Dabei ist größtmögliche Transparenz für alle Mitglieder der Gremien und die Öffentlichkeit erforderlich.

Der finanzielle Schaden durch das Desaster in der Asse wird beträchtlich sein. Zu rechnen ist mit Summen in mehrfacher Milliardenhöhe. Deshalb muss ein staatlicher Fonds zur Beseitigung nuklearer Altlasten und Abfälle eingerichtet werden, in den alle Abfallverursacher einzahlen. Im Gegenzug sind die steuerfreien Rückstellungen für die Stromkonzerne abzuschaffen. Der Fonds muss so bemessen werden, dass eine langfristige Vorsorge ermöglicht wird.

Die Schachtanlage Asse wurde damals sorgfältiger ausgewählt als der Salzstock in Gorleben. Die Asse wurde seinerzeit vom Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung, von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe und vom Direktor am Institut für Tieflagerung der Universität Clausthal und ehemaligem Asse-Betriebsleiter für gut befunden (Zitat Prof. Klaus Kühn zur Asse, 1976): "Wasser und Laugeneinbrücke [sind] mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" ausgeschlossen. Als der Standort Gorleben ausgewählt wurde waren die Fachleute hingegen überrascht. Detaillierte Kenntnisse über den Salzstock lagen nicht vor. Die Entscheidung wurde ohne Kenntnis von geologischen Aufschlußbohrungen getroffen. (Jahrbuch der Atomwirtschaft,1978)

Die Vorgänge in der Asse zeigen, dass ein völliger Neubeginn bei der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe erforderlich ist. Die Asse offenbart die ganze Unfähigkeit einer milliardenschweren Industriebranche zur sicheren Entsorgung ihrer radioaktiven Abfälle. Das "Forschungsbergwerk Asse" war der Prototyp für das geplante Endlager für hochradioaktiven Müll in Gorleben. Der so genannte "Endlagerpapst" Prof. Klaus Kühn erklärte dazu im Jahr 2001: "Ziel war es, für ein geplantes Endlager im Salzstock Gorleben die entsprechenden Techniken und die wissenschaftlich-technischen Daten zu ermitteln und bereit zu stellen. Der Salzstock Gorleben war in der Eignungsuntersuchung. Wir von der GSF sollten im Forschungsbergwerk Asse die entsprechenden Technologien und wissenschaftlichen Untersuchungen durchführen."

Maßgebliche Wissenschaftler und wissenschaftliche Institutionen, die die Asse für sicher erklärt haben, zeichnen auch verantwortlich für die Festlegung auf Gorleben als einzigen deutschen Endlagerstandort für hochradioaktiven Müll. Es muss daher geklärt werden, welche der Bewertungen und Expertisen, die für die Endlagerstrategie und die Auswahl, Erkundung und Bewertung des Salzstockes Gorleben relevant waren, von den Institutionen oder Personen gemacht wurden, die auch für das Desaster in der Asse Verantwortung tragen.

Mehr denn je ist zu klären, ob die Lagerung von Atommüll in Salz überhaupt verantwortbar ist. Tief unten im unberührten Teil des Salzstocks der Asse hatte man in den siebziger und achtziger Jahren eine Kaverne gebaut, die die Lagerung von Atommüll in einem unberührten Salzstock simulieren sollte. Die Versuche wurden Anfang der neunziger Jahre allerdings abgebrochen. Der untere Teil des Salzstocks wurde mit Salzgrus wieder verfüllt. Warum das geschah ist bis heute nicht vollständig geklärt. Die gelieferten Erklärungen scheinen unvollständig zu sein.

Einschlägige Befürworter von Gorleben behaupten immer wieder, dass die Asse und Gorleben nicht vergleichbar seien. Das ist nicht richtig. Es wird sich zeigen, dass es viel mehr Parallelen gibt als bislang behauptet. Deshalb muss die Vorfestlegung auf den Salzstock Gorleben endlich aufgegeben werden. Das deutsche Endlagerkonzept ist gescheitert. Erforderlich sind ein unbefristeter Bau- und Erkundungsstopp in Gorleben und ein völliger Neuanfang mit einer ergebnisoffenen bundesweiten Suche nach dem besten geologischen Standort für ein solches Lager. Die Suche muss auf der Grundlage eines Gesetzes erfolgen.

Fraktionsvorsitzender

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