Antrag: Bildungswege in allen Schulen offenhalten - Gesamtschulgründungen fördern und nicht behindern

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

Die Strategie der Landesregierung, die Hauptschule und mit ihr das traditionelle gegliederte Schulsystem zu stärken, ist gescheitert. Auch mit einer Kooperation von Haupt- und Realschule sind die Probleme der niedersächsischen Schulstruktur nicht zu lösen. Die große Mehrheit der Eltern wünscht für ihr Kind eine Schulform, die von Beginn an den Weg zu allen Bildungsabschlüssen offenhält. In ländlichen Bereichen ist bei zurückgehenden Schülerzahlen ein flächendeckendes Angebot von mindestens drei verschiedenen Schulformen nicht mehr zu gewährleisten. Auf Dauer zukunftsfähig ist nur eine Schule, in der die Schranken zwischen den verschiedenen Schulformen aufgegeben werden.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

  1. Die Hauptschulen und Realschulen werden zu Gunsten eines Ausbaus von Integrierten Gesamtschulen, die Kinder aller Begabungen individuell fördern, aufgelöst. Soweit die Gesamtschulen nicht über eine eigene Oberstufe verfügen, wird für ihre Schülerinnen und Schüler eine gymnasiale Oberstufe in zumutbarer Entfernung angeboten.
  2. Die Hürden für die Neugründung von Gesamtschulen werden aufgehoben:
    - Integrierte Gesamtschulen mit mindestens drei Zügen werden genehmigt. Beim Vorliegen eines geeigneten pädagogischen Konzeptes können auch Integrierte Gesamtschulen mit weniger als drei Zügen genehmigt werden.
    - Die Gründung von Integrierten Gesamtschulen wird nicht davon abhängig gemacht, dass weiterhin im Gebiet des Landkreises oder der kreisfreien Stadt der Besuch von Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien gewährleistet bleibt.
  3. Neu gegründete Integrierte Gesamtschulen werden entsprechend ihres besonderen pädagogischen Konzeptes als gebundene Ganztagsschulen genehmigt und mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet.
  4. Die Landesregierung setzt sich bei der Kultusministerkonferenz dafür ein, den Gesamtschulen die notwendigen pädagogischen Freiräume zu eröffnen, damit sie sich zu Neuen Schulen weiterentwickeln können, in denen die äußere durch innere Differenzierung ersetzt wird.
  5. Mit einer Fortbildungsoffensive werden die Schulen bei der Entwicklung eines Unterrichtes unterstützt, in dem alle Schülerinnen und Schüler in ihrer individuellen Entwicklung optimal gefördert werden.

Begründung

Das traditionelle gegliederte Schulsystem, in dem bereits im Alter von 10 Jahren der weitere Bildungsweg der Schülerinnen und Schüler weitgehend festgelegt wird, wird dem Willen der Eltern nicht mehr gerecht. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die nach der Orientierungsstufe beziehungsweise der Grundschule auf eine Hauptschule übergehen, hat sich seit 2001 halbiert und beträgt nur noch 13,2%, in vielen Städten sogar deutlich unter 10%. Demgegenüber gehen landesweit 42,1% der Schülerinnen und Schüler auf ein Gymnasium. In den Kommunen, in denen es dieses Angebot gibt, gehen trotz der Zulassungsbeschränkungen bis zu 22,8% auf eine Integrierte Gesamtschule über, also auf eine Schulform, die ebenfalls einen Bildungsgang zum Abitur bietet. Bei Elternbefragungen hat ein großer Anteil der Eltern von Grundschulkindern den Wunsch geäußert, ihr Kind auf eine Gesamtschule zu schicken, so 44% in Hannover, 53,4% im Landkreis Schaumburg und 62,5% in der Stadt Hildesheim. Eine Schulform, die den Bildungsweg der Kinder nicht offenhält, wird von den Eltern nicht mehr gewollt.

Der Wunsch der Eltern wird bestätigt durch den deutlichen pädagogischen Erfolg der Integrierten Gesamtschulen. So haben im Jahr 2007 in Niedersachsen 33,2% der Abgängerinnen und Abgänger der Gesamtschulen die Hochschulreife erlangt, während es im Gesamtdurchschnitt aller allgemeinbildenden Schulen ohne Förderschulen nur 25,5% waren. Die herkömmlichen gegliederten Schulformen sind strukturell nicht in der Lage, ein anregendes Lernmilieu herzustellen, in dem wirklich alle Schülerinnen und Schüler optimal gefördert werden können. Insbesondere Kinder aus benachteiligten sozialen Verhältnissen werden dadurch massiv benachteiligt.

Angesichts der demografischen Entwicklung und der zurückgehenden Schülerzahlen wird es in absehbarer Zeit immer schwieriger sein, flächendeckend ein vollständiges Schulangebot aller herkömmlichen Schulformen in vertretbarer Entfernung vom Wohnort aufrechtzuerhalten. Das flächendeckende parallele Angebot der herkömmlichen Schulformen verursacht zudem erhebliche Kosten.

Die anderen nördlichen Bundesländer haben sich dieser Entwicklung längst gestellt: Hauptschulen gibt es in Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen nicht mehr. In Schleswig-Holstein gibt es neben dem Gymnasium die Gemeinschaftsschule und die Regionalschule. In Hamburg und Bremen soll es neben dem Gymnasium lediglich die Stadtteilschule bzw. die Oberschule geben. Sowohl die schleswig-holsteinische Gemeinschaftsschule als auch die hamburgische Stadtteilschule und die bremische Oberschule führen zum Abitur.

Die Entwicklung in Schleswig-Holstein zeigt, dass mit dem Zusammenschluss von Haupt- und Realschule die herkömmliche gegliederte Schulstruktur nicht gerettet werden kann. Die Regionalschule, in der dort Haupt- und Realschule zusammengefasst werden, wird von den Eltern wenig angenommen und wird neben der Gemeinschaftsschule keinen dauerhaften Bestand haben.

Auch in Niedersachsen sind nur noch Schulen zukunftsfähig, die alle Schulabschlüsse vergeben. Hauptschulen und Realschulen sollen deshalb – als ersten Schritt zu einer gemeinsamen Schule für alle Schülerinnen und Schüler - zu Gesamtschulen umgewandelt werden.

Dort, wo es schon Gesamtschulgründungsinitiativen gibt, sollen die Hürden, die ihnen derzeit in den Weg gelegt werden, beiseite geräumt werden.

Viele Gesamtschulen arbeiten sehr erfolgreich mit vier oder weniger als vier Zügen. Die Bedingung der Fünfzügigkeit soll deshalb aufgegeben werden. Schulen wie die Glockseeschule in Hannover arbeiten erfolgreich auch mit nur 20 bis 30 Schülerinnen und Schülern pro Jahrgang. Bei einem geeigneten pädagogischen Konzept soll deshalb auch dieses zugelassen werden.

Wenn eine Mehrheit der Eltern für ihr Kind eine Gesamtschule bevorzugt, ist es nicht vertretbar, dass die Gründung einer Gesamtschule vom Bestand der herkömmlichen Schulformen abhängig gemacht wird. Der Bestand der Hauptschulen ist – unabhängig von der Neugründung von Gesamtschulen - auch jetzt schon nicht mehr zu garantieren.

Ein verbindliches Ganztagsangebot ist ein wesentliches Element des pädagogischen Konzeptes der Integrierten Gesamtschulen. Alle neugegründeten Integrierten Gesamtschulen sind deshalb mit den Ressourcen einer gebundenen Ganztagsschule auszustatten.

Eine gemeinsame Schule kann nur dann alle Schülerinnen und Schüler besser fördern, wenn sie hierfür neue, individualisierende Unterrichtskonzepte entwickelt. Die Landesregierung soll sich deshalb bei der Kultusministerkonferenz dafür einsetzen, die Pflicht zu einer äußeren Differenzierung in Leistungsniveaukurse aufzuheben.

Die Schulen und ihre Lehrkräfte sollen durch eine breite Fortbildungsoffensive bei der Entwicklung neuer differenzierender Unterrichtskonzepte unterstützt werden.

Fraktionsvorsitzender

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