Antrag: Bedarfsabhängigen Gebäudeenergiepass nicht den Lobbyinteressen der Wohnungswirtschaft opfern

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Fraktion Bündnis 90/Die Grünen      Hannover, den 10.05.06

Antrag


Der Landtag stellt fest:

  1. Viele Gebäude sind Energieverschwender. Maßnahmen zur Senkung des Gebäudeenergieverbrauchs beleben die Baukonjunktur, machen unsere Volkswirtschaft unabhängiger vom Import fossiler Brennstoffe und schonen Umwelt und Klima.

  2. Der EU-rechtlich vorgeschriebene Gebäudeenergiepass soll:

  • für Transparenz hinsichtlich des Energieverbrauchs einer Immobilie und damit der Nebenkosten für die Verbraucher sorgen,

  • Eigentümern von Wohn- und Gewerbeimmobilien fachkundige Hinweise auf mögliche energiesparende Investitionen und deren Rentabilität geben,

  • durch Steigerung der Nachfrage nach energieeffizienten Immobilien Anreize für energiesparende Investitionen setzen,

  • einen wichtigen Beitrag zur Senkung des Primärenergieverbrauchs und der Emissionen klimaschädigender Gase leisten.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. gegenüber der Bundesregierung dafür einzutreten, dass mit der seit dem 04.01.06 überfälligen Novellierung der Energieeinsparverordnung endlich rechtliche Klarheit hinsichtlich der Anforderungen an einen Gebäudeenergiepass geschaffen wird und der Gebäudeenergiepass seine beabsichtigte Wirkung entfalten kann,

  2. die von der Bundesregierung beabsichtigte wahlweise Einführung eines verbrauchsabhängigen Gebäudeenergiepasses im Bundesrat abzulehnen und für die Einführung eines bedarfsabhängigen Energiepasses einzutreten.

Begründung:

Ein Drittel des Energieverbrauchs in Deutschland wird für Raumheizung und Warmwasseraufbereitung verwendet. Obwohl die Heizkosten für die privaten Haushalte den größten Teil der Betriebskosten ausmachen, ist der Energieverbrauch von Gebäuden im Gegensatz etwa zu Elektrogeräten und Kraftfahrzeugen für potenzielle Käufer und Mieter oftmals eine unbekannte Größe.

Zur Verbesserung der Gesamt-Energieeffizienz von Gebäuden wurde mit der EU-Gebäuderichtlinie (2002/91 EG) die Einführung eines Gebäudeenergiepasses auf europäischer Ebene verbindlich geregelt. Obgleich die Frist zur vollständigen Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht bereits am 4. Januar 2006 abgelaufen ist, steht die erforderliche Novellierung der Energieeinsparverordnung des Bundes nach wie vor aus. Ein gemeinsamer Vorschlag des Bundesbau- und des Bundeswirtschaftsministers zur Novellierung der Verordnung wurde am 07.04.06 in die Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung gegeben.

Wie aus einer gemeinsamen Pressemitteilung der Bundesminister Tiefensee und Glos vom 07.04. hervorgeht, sollen Eigentümer und Vermieter hinsichtlich der Ausgestaltung des Gebäudeenergiepasses ein Optionsrecht bekommen: Sie sollen zwischen einem ingenieurtechnisch berechneten Energieausweis auf der Grundlage des Energiebedarfs und einem Energieausweis auf der Grundlage des individuellen Energieverbrauchs wählen dürfen.

Im Gegensatz zu einem standardisierten bedarfsabhängigen Energieausweis spiegelt ein verbrauchsabhängiger Energieausweis im wesentlichen nicht die objektive energetische Qualität des Gebäudes, sondern die individuellen Gewohnheiten des (Vor)-Nutzers wider. Die objektive Vergleichbarkeit verschiedener Immobilien ist damit erheblich eingeschränkt.

Wie die Deutsche Energieagentur (dena) in einem bundesweiten Feldversuch zum bedarfsabhängigen Gebäudeenergiepass mit über 4.000 Stichproben festgestellt hat, liegt der tatsächliche Energieverbrauch lediglich bei zwischen 15% (Ein- und Zweifamilienhäuser) und ca. 40% (Gebäude > 12 Wohnungen) der Gebäude im Bereich des standardisierten Energiebedarfs. In allen anderen Fällen lag der tatsächliche Verbrauch zum Teil deutlich oberhalb oder deutlich unterhalb des standardisierten Bedarfs. Damit ist die relative Wertlosigkeit eines verbrauchsabhängigen Energieausweises statistisch belegt. Dass die Bundesregierung diese Möglichkeit dennoch in der Energieeinsparverordnung einräumen will, ist offenbar ein Zugeständnis an die großen Wohnungsunternehmen, die dem Energiepass nach einer Studie der dena mehrheitlich ablehnend gegenüber stehen. Demgegenüber beurteilten die in der Studie befragten privaten Wohnungsbesitzer und vor allem die selbst-nutzenden Eigentümer den standardisierten Gebäudeenergiepass überwiegend positiv. Entsprechend wollen private Eigentümer die Erkenntnisse des Energiepasses in erheblichem Umfang für energiesparende Investitionen nutzen.

Sollte die von den Ministern Tiefensee und Glos geplante Wahlmöglichkeit zwischen einem bedarfs- und einem verbrauchsabhängigen Gebäudeenergiepass tatsächlich umgesetzt werden, wäre ein wichtiges Instrument zur energetischen Sanierung des Altbaubestandes erheblich entwertet. Dieses widerspricht den Interessen der Verbraucher nach größerer Transparenz, wie es um den objektiven Energiebedarf des Gebäudes bestellt ist. Energieeinspar- und Klimaschutzpotenziale blieben genauso wie Beschäftigungseffekte in erheblichem Umfang ungenutzt.

Mehr noch als in städtisch geprägten Bundesländern widerspricht die Novellierung der Energieeinsparverordnung in der beabsichtigten Form den Interessen des Flächenlandes Niedersachsen mit einem überdurchschnittlichen Anteil privater Eigentümer am Wohnungsbestand.

Fraktionsvorsitzender

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