Für mehr demokratische Beteiligungsrechte von Kommunen und BürgerInnen bei der Massentierhaltung:Antrag: Bäuerliche Landwirtschaft statt industrielle tierquälerische „Hähnchen-Highways“ in Niedersachsen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

  • In bestimmten Bereichen Niedersachsens vollzieht sich derzeit ein Wandel von der bäuerlichen Wirtschaftsweise hin zu gewerblichen Formen der Tierhaltung. Dabei werden bisher nicht gekannte Größenordnungen erreicht. Dies gilt auch für den Kapitaleinsatz, der von außen kommt. Die eigentlichen Tierhalter sind dann oft nur noch Lohnmäster. Die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner haben die Folgen zu tragen. Außerdem wird der zu schützende Außenbereich immer stärker zersiedelt. Landschaft und Natur werden beeinträchtigt. In vielen Teilen Niedersachsens wehren sich bereits Gemeinden und Landkreise gegen diese Entwicklung. Auch viele bäuerlich wirtschaftende Landwirte befürchten zu Recht erhebliche Nachteile für sich.
  • Mit dem geplanten Riesenschlachthof in Wietze (Landkreis Celle) und dem geplanten Hähnchen-Highway entlang der A7 mit über 150 Großstallbauten von Masthähnchen erreicht die Massentierhaltung in Niedersachsen mit all ihren negativen Folgen für Umwelt, Bevölkerung, Gesundheit, Tourismus und Tierschutz weitere Bereiche in Niedersachsen.
  • Viele Kommunen versuchen sich gegen den Wildwuchs und die negativen Folgen von Großstallbauten auf ihrem Gebiet zu wehren und beklagen die geringen kommunalen Beteiligungs- und Steuerungsmöglichkeiten, um gegen agroindustrielle Massentierhaltungsanlagen auf ihrem Gebiet vorzugehen.
  • Die Geflügelmast vollzieht sich in Europa und damit in Deutschland in einer immer intensiveren Form. Nach den vom Bundesrat mit Zustimmung Niedersachsens am 12. Juni 2009 beschlossenen neuen Hähnchen-Haltungsvorschriften sind Besatzdichten von 35 bis 39 kg pro qm erlaubt. Das bedeutet: Am Mastende teilen sich 21 und mehr Hühner einen Quadratmeter. In Verbindung mit der Mastdauer von  34 bis 44 Tagen und den  angezüchteten Eigenschaften der Tiere scheint die Einhaltung der Tierschutzvorgaben nach §2 Bundestierschutzgesetz nicht mehr gewährleistet.
  • Folge dieser Rationalisierung und Überproduktion ist ein Preisverfall des Produkts. Ein Drittel der Hähnchenmäster schreibt rote Zahlen, wie die betriebswirtschaftliche Auswertung der Landwirtschaftskammer Niedersachsens ergab. Die anderen zwei Drittel der Hähnchenmäster erzielen für Entlohnung und Gewinn 0,07 Euro pro gemästetem Tier. Die Schere von Einnahmen und Ausgaben geht immer weiter auseinander. 

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass

  1. keine direkten oder indirekten Subventionen für agroindustrielle Tierhaltungsanlagen gezahlt werden und die damit zusammenhängende Infrastruktur und Verarbeitung nicht gefördert wird,
  2. der Bau agroindustrieller Mastanlagen (bodenunabhängige Tiermast) von einer Privilegierung als "landwirtschaftliche Anlagen" nach § 35 Bundes-BauGB ausgeschlossen wird und diese Auslegung auch durch Erlasse, wie sie im rot-grünen NRW 2001 bis 2005 bestanden, auf Landesebene sichergestellt wird,
  3. die planungsrechtlichen Möglichkeiten der kommunalen Gliederungen ausgeweitet werden, um die Ansiedlungen von Massentierhaltungen auf ihrem Gebiet zu verhindern oder auf Standorte mit geringstmöglichen Auswirkungen auf Anwohner und Umwelt beschränken zu können,
  4. die Beteiligungs-, Widerspruchs- und Klagemöglichkeiten von AnwohnerInnen, Tierschutz-, Umweltverbänden und Bürgerinitiativen verbessert werden,
  5. die 2007 unter Beteiligung des Bundesrates erfolgte massive Verschlechterung  immissionschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Öffentlichkeitsbeteiligung von Großstallbauten mindestens auf den alten Stand 2007 zurückgeführt  wird,
  6. die Genehmigungsvoraussetzungen für Tierhaltungssysteme so verändert werden, dass eine artgerechte Tierhaltung gewährleistet ist und von Anlagen keinerlei Gefährdung für Mensch und Umwelt durch Emissionen in Boden, Wasser und Luft ausgehen,
  7. auf Bundesebene die Möglichkeit geprüft wird, unter Berücksichtigung des Erhalts bäuerlicher Strukturen und der Umwelt- und Klimarelevanz der Tierhaltung Tierobergrenzen für Stallhaltungen je nach Tierart und Haltungsform einzuführen,
  8. Verbraucherinnen und Verbraucher bei tierischen Produkten durch eine eindeutige Kennzeichnung erkennen können, aus welcher Haltungsform sie stammen und wie sie erzeugt wurden (entsprechend der Käfigeierkennzeichnung).

Begründung

Mit der vom Land Niedersachsen befürwortend begleiteten Ausweitung  der Hähnchenmast, aber auch mit immer neuen Puten-, Schweine- und Rindergroßmastanlagen (siehe Große Anfrage Erneuter Stallbauboom und vermehrte Billigfleischproduktion in Niedersachsen zulasten der Bürgerinnen und Bürger sowie des Tier- und Umweltschutzes, Drs. 16/856), schreitet die Industrialisierung der Landwirtschaft weiter voran. Selbst die geplante europaweit größte und heftig umstrittene Massentierhaltung von über 7000 Ziegen im Landkreis Holzminden wird von der Landesregierung aktiv und tatkräftig unterstützt. Während bäuerliche Betriebe seit Jahren durch einen radikalen Preiswettbewerb – auch aufgrund der fatalen Milchpolitik der Landesregierung – verdrängt und zur Aufgabe gezwungen werden, dringt die agroindustrielle Tierhaltung in immer weitere Regionen vor.  Weil das Emsland mittlerweile von großen Hähnchenmastanlagen übersät ist, die dortigen Kommunen sich gegen weitere Stallungen zunehmend wehren und auch die Region Cloppenburg/Vechta von diesen Anlagen bereits erheblich belastet ist, weicht das Agro-Business in andere Regionen aus. Auch bisher überwiegend ackerbaulich geprägten Regionen werden von dem Boom industrieller Mastanlagen heimgesucht.

So werden aktuell zahlreiche Massentierhaltungen entlang der A7 geplant, um einen geplanten Großschlachthof für Geflügel in Wietze zu beliefern. Nach den bisher bekannten Planungen wird dieser Schlachthof eine Kapazität von ca. 1,1 Mio. Tieren/Woche d. h. ca. 57 Mio. Tieren/Jahr haben. In zahlreichen Gemeinden in dieser Region, in der es bisher wenige Massentierhaltungen gab, gibt es bereits konkrete Planungen für neue Ställe, die vielerorts durch begründete Sorgen und Kritik von AnwohnerInnen und TierschützerInnen, aber auch örtlichen Landwirten begleitet werden.

Gleichzeitig beklagen sich viele Kommunen und Bürgerinitiativen über die Verschlechterung der demokratischen Mitwirkung und der Einschränkung der kommunalen Planungshoheit sowie  der rechtlichen Möglichkeiten gegen diese Großstallanlagen auf ihrem Gebiet vorzugehen. So wurden 2007 unter Mitwirkung des Bundesrats die Grenzen für die förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung etwa bei der Putenmast von 20.000 auf 40.000 Plätze erhöht, was zur Folge hat, dass viele Ställe mit knapp unter 40.000 Plätzen beantragt werden.

Auch eine obligatorische Umweltverträglichkeitsprüfung ist jetzt z.B. erst bei 3000 Schweinen, statt vorher 2000 Schweinen notwendig.

So wie es das Rot-Grüne Landesregierung in NRW am 7.6.2001 per Erlass definiert hat, ist die bisherige Privilegierung für landwirtschaftliche Betriebe  auf strikt bäuerliche Betriebe mit Bodenbindung, d.h. der Futterbedarf wird vor Ort erzeugt, davon 50% auf dem eigenen Betrieb, zu beschränken, statt auf Industriebetrieben ähnliche Großmastanlagen mit oft genmanipuliertem Fertigfutter aus Übersee. Die agroindustrielle Hähnchenmast ist ebenso wie die im großen Maßstab betriebene Schweine- oder Rindermast aus vielfältigen Gründen bedenklich. Diese Formen der Tierhaltung sind grundsätzlich abzulehnen, weil bei derartigen Stallgrößen eine artgerechte Haltung unmöglich ist, die notwendige Tierbetreuung nicht geleistet werden kann und ein präventiver Arzneimitteleinsatz die Regel ist. Der extrem dichte Tierbesatz vor allem im Endstadium der Mast bei Hähnchen verhindert ein arttypisches Verhalten, während die züchtungsbedingt sehr kurze Mastdauer zu Schäden u. a. am Bewegungsapparat führt.

Im Zuge der Globalisierung hat diese Form der Massentierhaltung auch unerwünschte Folgen in anderen Ländern. Gerade die bäuerlich geprägten Gesellschaften in den Ländern des Südens sind die Opfer global agierender Agro-Konzerne. Weil in Europa überwiegend nur Brustfilet und Schenkel verkäuflich sind, müssen die restlichen Teile der Masthähnchen - auch mit Hilfe staatlicher Subventionen - exportiert werden. So werden sie auf den Nahrungsmittelmärkten der armen Länder Afrikas zu Dumpingpreisen entsorgt und ruinieren die dortigen kleinbäuerlichen Geflügelhalter und stellen aufgrund der z.T. unterbrochenen Kühlkette ein Lebensmittel fragwürdiger Qualität dar.

Gleichzeitig basiert die agroindustrielle Tierhaltung hierzulande auf globalen Futtermittelimporten. Dies fördert den Anbau von Monokulturen, den Einsatz der Agro-Gentechnik und die Zerstörung tropischer Regenwälder sowie anderer Ökosysteme. Dadurch wird die dortige bäuerliche Landwirtschaft ruiniert und so die Versorgung der lokalen Märkte mit Nahrungsmitteln gefährdet.

Aber auch hierzulande hat die Mastindustrie direkte Folgen für die betroffenen Gemeinden. Der forcierte Boom der Hähnchenmast gefährdet massiv die Landschaft, die bäuerliche Landwirtschaft und eine positive Entwicklung des Ländlichen Raumes. Der Stallbauboom bedeutet auch einen massiv steigenden Anfall von Geflügelmist. Der anhaltende Bauboom bei Schweineställen und jetzt insbesondere bei großen Hähnchenmastanlagen hinterlässt in der Landschaft mittlerweile deutlich sichtbare Spuren. Die neuen, teilweise hundert Meter langen Stallanlagen zerstören die landschaftliche Qualität und führen zu einem kulturellen Verlust. Damit geht eine deutliche Schwächung des touristischen Potenzials der betroffenen Regionen einher. Auch vermindert sich die Wohnqualität für die betroffenen Anlieger, die unter der keimbelasteten Abluft und der zunehmenden verkehrlichen Belastung durch An- und Abtransporte von Futter, Tieren und Geflügelmist dieser agroindustriellen Mastanlagen leiden. Und schließlich nehmen die Mastanlagen benachbarten Bauernhöfen durch Ausschöpfung der Emissionsgrenzen sowie über ihren Bestandsschutz zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten.

Bei dieser Form der Massentierhaltung stehen dem Profit einiger weniger Investoren des Agro-Business enorme Verluste gegenüber: Ganze ländliche Regionen werden zu Schmutzräumen degradiert, wodurch ihnen eine Entwicklung zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und zu einer touristischen Entwicklung verbaut wird. Damit wird gleichzeitig die Chance vertan, über eine mittelständische vielseitige Wirtschaftstruktur zahlreiche neue Arbeitsplätze aufzubauen.

Mit dieser Befürwortung agrarindustrieller Strukturen durch das Land Niedersachsen geht einher, dass es das bundesweite Schlusslicht bei der Förderung des ökologischen Landbaus und einer wirksamen Verbraucheraufklärung ist.

Diese einseitige Agrarpolitik für wenige Großkonzerne zulasten nachhaltiger, bäuerlicher Familienbetriebe im Einklang mit Tierschutz und Umwelt muss beendet werden und Kommunen wie BürgerInnen wieder mehr Mitspracherechte bekommen.

Parlamentarische Geschäftsführerin

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