Antrag: Auf dem Weg zu einem inklusiven Niedersachsen - Landtag geht mit gutem Beispiel voran!

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

 

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

I.  Der Landtag stellt fest:

Die Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen und politischen Leben gehört zum demokratischen Grundverständnis. Eine lebendige Demokratie bedarf engagierter Bürgerinnen und Bürger, die sich an politischen Entscheidungsprozessen beteiligen und Politik mitgestalten wollen. Eine Voraussetzung für dieses urdemokratische Versprechen ist es, allen Menschen von Anfang an eine echte Teilhabe zu ermöglichen. Für die echte Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderungen bestehen in unserer Gesellschaft allerdings noch viele Hürden und Hindernisse. Diese gilt es Schritt für Schritt abzubauen. Seit dem Jahr 2009 ist die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, in der festgelegt ist, dass ihre Einbeziehung in allen Lebensbereichen weltweit und konkret umgesetzt werden muss, in Deutschland rechtsverbindlich. Der Landtag begrüßt in diesem Zusammenhang, dass die Landesregierung eine „Fachkommission Inklusion“ auf den Weg gebracht hat, die unter Beteiligung von Menschen mit Behinderungen einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention erarbeitet und erste Schritte für Inklusion, Barrierefreiheit und direkte Teilhabe festlegt.

Darüber hinaus bekennt sich auch der Landtag zur Umsetzung der Ziele der UN-Konvention, um die Teilhabe aller ohne Einschränkungen zu ermöglichen. Hierbei ist insbesondere das Recht der freien Meinungsäußerung, Meinungsfreiheit und Zugang zu Informationen hervorzuheben nachdem zu gewährleisten ist, dass Menschen mit Behinderungen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Meinungsfreiheit, einschließlich der Freiheit, sich Informationen und Gedankengut zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben, gleichberechtigt mit anderen und durch alle von ihnen gewählten Formen der Kommunikation ausüben können.

II.   Der Landtag verpflichtet sich vor diesem Hintergrund, dass beim anstehenden Umbau des Plenarsaals künftig Barrierefreiheit gewährleistet werden soll. Dabei sind die unterschiedlichen Bedarfe von Menschen mit Handicaps einschließlich der Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Der Landtag verpflichtet sich darüber hinaus,

  1. das Internetangebot des Landtags so barrierefrei wie möglich zu gestalten sowie Informationen zur Arbeitsweise des Parlaments und zu aktuellen politischen Diskussionen und Entscheidungen des Plenums in „Leichter Sprache“ anzubieten.
  2. Publikationsangebote und Informationsmaterialien des Landtags über die Arbeit des Parlaments in „Leichter Sprache“ zu entwickeln.
  3. bei Einladungen zu Veranstaltungen des Landtags und bei Anmeldungen von Besuchergruppen im Vorfeld den Bedarf nach Gebärdensprachdolmetschern oder Schriftdolmetschern abzufragen.
  4. zu prüfen, inwiefern bei der Liveübertragung aus dem Landtag die Einblendung von Untertiteln oder Gebärdensprachdolmetschern möglich ist. Aktuell gilt dieses für die Übertragungen der Plenarsitzungen im Livestream des NDR.
  5. die Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages dahin gehend zu überarbeiten, dass bei parlamentarischen Abläufen diskriminierende Tatbestände ausgeschlossen sind.

III.   Die Mitglieder des Landtags verpflichten sich darüber hinaus,

  1. bei der Einbringung von Gesetzentwürfen künftig neben Gleichstellungsaspekten auch die Einhaltung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu überprüfen.

IV.  Der Landtag bittet die Landesregierung,

  1. die unter Punkt II. Nr. 1 bis 4 sowie unter Punkt III Nr. 1 aufgeführten Bereiche analog im eigenen Zuständigkeitsbereich ebenfalls zu berücksichtigen und umzusetzen.
  2. einen barrierefreien Zugang zu Gebäuden der Landesregierung zu ermöglichen.

Begründung

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat zu einem Paradigmenwechsel im Umgang mit Behinderungen geführt. Sie erkennt die Verschiedenheit der Menschen als Normalität an und stellt die gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe aller Menschen mit Beeinträchtigungen am gesellschaftlichen Leben in den Mittelpunkt. Um die Voraussetzungen hierfür zu schaffen, gilt es, viele Hürden - auch im Bewusstsein der Menschen - zu überwinden. Die Verwirklichung der Inklusion ist daher eine Aufgabe, die eine Mitarbeit von allen fordert. Die Abgeordneten sollen in diesem Zusammenhang als gewählte Vertreterinnen und Vertreter der niedersächsischen Bevölkerung mit gutem Beispiel vorangehen und auf dem Weg zu einem inklusiven Niedersachsen Standards setzen.

Zu Punkt II:

Allzu häufig werden leider die Bedarfe von Menschen mit Behinderungen auch bei öffentlichen Neubauten trotz § 7 des Niedersächsisches Behindertengleichstellungsgesetzes (NBGG) nicht oder erst zu spät mitgedacht. Für den Umbau des Landtags soll dieser Fehler vermieden werden, indem von Beginn an den Belangen von Menschen mit unterschiedlichen Arten von Handicaps Rechnung getragen wird. Dies betrifft zum Beispiel Rampen für Menschen mit Gehilfen, Rollstühlen, aber auch Kinderwagen. Das gilt gleichermaßen für notwendige Leitsysteme für sehbehinderte und erblindete Menschen, den Einbau von induktiven Höranlagen oder das Achten auf eine gute Raumakustik für Hörgeschädigte. Jede dieser Behinderungen geht mit anderen visuellen, auditiven oder taktilen Anforderungen einher.

Zu Punkt II Nr. 1 und 2:

Eine barrierefreie Nutzung des Internets sollte heute eine Selbstverständlichkeit und auch für die Internetseiten des Landtages gewährleistet sein. Ein guter Anfang ist daher, dass der Internetauftritt des Niedersächsischen Landtags seit Juni 2013 auch eine Audio-Version der Seiten anbietet, sodass fast alle Texte des Internetauftritts vorlesbar sind. In unserer Informationsgesellschaft ist es darüber hinaus für alle Menschen unerlässlich, Texte und Informationen richtig verstehen zu können. In der herkömmlichen Sprache werden jedoch allzu oft Begriffe oder komplexe Satzkonstruktionen verwendet, die vor allen Dingen bei Menschen mit Lernschwierigkeiten zu Verständnisproblemen führen. Zur Schaffung auch kommunikativer Barrierefreiheit ist es daher dringend erforderlich, Informationen in „Leichter Sprache“ zur Verfügung zu stellen. Nach dem „Netzwerk Leichte Sprache“ ist diese eine Form der schriftlichen und mündlichen Kommunikation, die vor allem für und gemeinsam mit Menschen mit Lernschwierigkeiten entwickelt wurde. Dementsprechend arbeitet die „Leichte Sprache“ (Leseniveau A1) vor allem mit einfachen Worten und kurzen Sätzen. Fremdwörter oder Fachbegriffe kommen nicht vor. Ziel der „Leichten Sprache“ ist es also, Menschen mit Lernschwierigkeiten die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erleichtern. Darüber hinaus werden mit dem Angebot jedoch auch Menschen erreicht, die Schwierigkeiten mit dem Lesen komplexer Texte oder mit der deutschen Sprache haben. So hilft die „Leichte Sprache“ auch Mi- grantinnen und Migranten, für die die Deutsche Sprache eine Fremdsprache ist. Eine andere Zielgruppe sind die ca. 7,5 Millionen funktionalen Analphabetinnen und Analphabeten in Deutschland, die zwar einfache Sätze lesen oder schreiben können, nicht jedoch zusammenhängende Texte. Die Ergebnisse der „leo. - Level-One Studie“ der Universität Hamburg aus dem Jahr 2011 deuten sogar noch auf eine weitere Größenordnung hin: So können zusätzlich zu den 7,5 Millionen funktionalen Analphabetinnen und Analphabeten weitere 13 Millionen Menschen Texte nur langsam und fehlerhaft lesen oder verstehen. Auch für diese Gruppe bietet die „Leichte Sprache“ die Möglichkeit, eine umfassende Teilhabe zu ermöglichen. Durch die niedrig schwelligen Leseangebote verlieren sie daneben die Scheu vor dem Lesen, gewinnen mehr Selbstvertrauen und ihre Lesefähigkeit steigt.

Zu Punkt II Nr. 3 und 4:

Die politische Beteiligung von tauben oder hörgeschädigten Menschen am politischen Willensbildungsprozess setzt den Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern voraus. Nur sie ermöglichen einen direkten Austausch und sichern die Kommunikation in beide Richtungen ab. In Zukunft soll es deshalb als Selbstverständlichkeit gelten, im Voraus bei öffentlichen Veranstaltungen des Landtags den Bedarf nach Gebärdensprachdolmetschern oder Schriftdolmetschern abzufragen. Auch bei der Liveübertragung der Plenardebatte sollen alle Menschen die Möglichkeit bekommen, diese zu verfolgen. In diesem Zusammenhang wird auf das beim NDR Hamburg 2009 ins Leben gerufenes Projekt „Barrierefreier Rundfunkzugang“ verwiesen. Seitdem wurden die norddeutschen Selbsthilfeverbände gehörloser, schwerhöriger und blinder bzw. sehbehinderter Menschen regelmäßig zu Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern des NDR nach Hamburg eingeladen. Die Erkenntnisse aus diesen Gesprächsrunden sollten für die Umsetzung genutzt werden.

Zu Punkt II Nr. 5:

Die Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtags soll im Sinne der Inklusion umfassend überarbeitet werden, sodass z. B. beim Abstimmungsverfahren im Landtag keine Menschen mit Behinderungen mehr diskriminiert werden. So sieht § 83 der Geschäftsordnung vor, dass u. a. die Schlussabstimmung über Gesetze durch Aufstehen erfolgt. Dieses Abstimmungsverfahren diskriminiert jedoch Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung im Rollstuhl sitzen und sich nicht erheben können. An dieser Stelle muss nach alternativen Abstimmungsmöglichkeiten gesucht werden.

Zu Punkt III Nr. 1:

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen fordert Inklusion, also die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben. Dies ist ein Ziel, dem sich die Bundesrepublik Deutschland mit der Ratifizierung der Konvention im Jahr 2009 ebenfalls verpflichtet hat. Um die Inklusion von vorne herein mitzudenken, ist es erforderlich, bei Gesetzentwürfen neben den finanziellen Auswirkungen auf den Haushalt oder dem Ziel der Gleichberechtigung auch die Forderungen der UN-Konvention zu berücksichtigen und das Gesetz daraufhin zu überprüfen. Damit ist gewährleistet, dass alle künftigen Gesetze dem Ziel der Inklusion nicht entgegenstehen.

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