Antrag: Atommüllkonditionierung am Standort Braunschweig-Thune: Genehmigungen überprüfen, Strahlenschutz strikt umsetzen, Anwohnerinnen und Anwohner schützen

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Die Unternehmen Eckert & Ziegler und GE Healthcare Buchler produzieren am Standort Braun- schweig-Thune isotopentechnische Komponenten für medizinische, wissenschaftliche und industri­ell-messtechnische Anwendung (Strahlenquellen) und betreiben Anlagen zur Konditionierung von radioaktiven Abfällen. Neben zurückgenommenen Strahlenquellen aus eigener Produktion werden auch Abfälle von Dritten aus dem In- und Ausland angenommen.

Die Unternehmen verfügen über weitreichende Umgangsgenehmigungen für radioaktive Stoffe. Die zulässigen Abgabewerte über Ableitungen radioaktiver Stoffe mit der Luft liegen sehr hoch. In der Genehmigung ist eine Aufenthaltsdauer von 2 000 Stunden pro Jahr zugrunde gelegt. Damit liegt die zulässige Direktstrahlung an der Außengrenze des Betriebsgeländes um den Faktor 4,38 höher als bei allen anderen Atomstandorten in der Bundesrepublik, bei denen ein Daueraufenthalt von 8 760 Stunden pro Jahr angenommen wird. Da die weitreichenden Umgangsgenehmigungen bis­lang nur zu einem kleinen Teil genutzt werden, ist eine Ausweitung des Produktionsumfangs zu be­fürchten.

Im Jahr 2011 hat das Unternehmen Eckert & Ziegler eine Baugenehmigung für ein neues Gebäude zur Messung und Konditionierung von schwach radioaktiven Abfällen beantragt.

Das Firmengelände grenzt unmittelbar an ein Wohngebiet. Unter anderem wegen der geplanten Erweiterung des Betriebes hat sich im Jahr 2011 eine Bürgerinitiative gebildet, welche sich aus Sorge vor einer zu hohen Strahlenbelastung gegen den Betrieb und die Erweiterung wendet.

Die Stadt Braunschweig hat eine Neufassung des Bebauungsplans in Kraft gesetzt, die den Ge­werbestandort räumlich begrenzt. Die Genehmigungen zum Umgang mit radioaktiven Stoffen ob­liegen jedoch der Strahlenschutzaufsicht des Landes.

Der Landtag begrüßt

  • die Übertragung der Atomaufsicht für den Produktionsstandort Braunschweig-Thune an das Mi­nisterium für Umwelt, Energie und Klimaschutz,
  • die Verstärkung der Umgebungsüberwachung sowie die ergänzende Kontrolle der Messungen durch den Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz,
  • die Tatsache, dass die Ergebnisse der Umgebungsüberwachung des Betreibers und des NLWKN für das Jahr 2014 erstmals im Internet veröffentlicht wurden,
  • die Tatsache, dass die Landesregierung eine Überprüfung der bestehenden Genehmigungen durchführt.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. die Vorgaben des Strahlenschutzes strikt umzusetzen, um den Schutz der Anwohnerinnen und Anwohner zu gewährleisten,
  2. alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um eine Ausweitung der Atommüllkonditionie­rung am Produktionsstandort Braunschweig zu verhindern,
  3. auf eine Aufhebung der 2 000-Stunden-Regelung hinzuwirken,die laufende Überprüfung der bestehenden Umgangsgenehmigungen schnellstmöglichabzuschließen,
  4. die Einführung einer maximalen Verweildauer für die Lagerung von betrieblichen Abfällen zur Behandlung auf dem Betriebsstandort zu prüfen,
  5. die Lagerungsmenge von radioaktiven Abfällen zur Konditionierung auf dem Außengelände zu beschränken,
  6. den Schutz vor Störmaßnahmen oder sonstigen Einwirkungen Dritter zu verstärken,
  7. die Umgebungsüberwachung zu erweitern, um auch kurzfristige Belastungsspitzen erfassen zu können,
  8. zu prüfen, ob die Höhe der Deckungsvorsorge ausreicht, um die potenziellen Folgekosten eines nuklearen Schadensfalls abzudecken,
  9. mit dem Betreiber Perspektiven zur Verlagerung der Unternehmensteile, die den Umgang mit radioaktiven Stoffen erfordern, an einen im Bundesgebiet weniger problematischen Standort, bei dem die Kommune ihr Einvernehmen erklärt hat, zu erörtern.

Begründung

Die 2 000-Stunden-Regelung basiert auf der Annahme, dass sich Personen nicht dauerhaft an der Grenze des Betriebsgeländes aufhalten. Entsprechend den bestehenden Genehmigungen wird für die Berechnung der Personendosis eine Aufenthaltsdauer von 2 000 Stunden zugrunde gelegt. Die Strahlenschutzverordnung sieht einen Grenzwert von 1 Millisievert (mSv) vor. Am Standort Thune ist jedoch eine Strahlenbelastung zulässig, die um ein Vielfaches höher liegt. Eine solche Regelung ist in der Bundesrepublik einzigartig und nicht zu rechtfertigen. Für den Grenzwert für die Strahlen­exposition muss Daueraufenthalt und gemäß Strahlenschutzverordnung die Summe aus Direkt­strahlung, Abluft und Abwasser angenommen werden.

Die Umgangsgenehmigung für radioaktive Stoffe ist überdimensioniert und wird mit dem derzeiti­gen Produktionsumfang nur zu rund 10 % in Anspruch genommen. Somit besteht der Verdacht, dass es sich hier um eine Vorratsgenehmigung handelt, die rechtlich unzulässig ist.

Im NaPro (Nationalen Entsorgungsprogramm) wird der Standort Braunschweig ausdrücklich als Konditionierungsstandort aufgeführt. Es lagern erhebliche Mengen radioaktiver Stoffe auf dem Ge­lände, größtenteils in Containern unter freiem Himmel. Bislang gibt es keine zeitliche Befristung für die Lagerung von unkonditionierten Abfällen.

Kerntechnische Anlagen, wie eine Konditionierungsanlage, müssen vor Störmaßnahmen oder sonstigen Einwirkungen Dritter (SEWD) geschützt sein, um auszuschließen, dass radioaktive Stoffe entwendet oder mutwillig freigesetzt werden. Das Schutzkonzept muss dabei den aktuellen Bedro­hungsszenarien entsprechen.

Die niedersächsische Strahlenschutzaufsicht hat die Umgebungsüberwachung am Standort Braun­schweig-Thune verstärkt. Die Zahl der Messpunkte für die Überwachung der Neutronenortsdosis sowie der Gammastrahlung wurde erhöht. Die Messungen des Betreibers werden durch zusätzli­che Messpunkte des Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz ergänzt und überprüft. Bislang werden jedoch nur akkumulierte Werte erfasst, um die Einhaltung der jährlichen Strahlungsgrenzen zu überprüfen. Nicht erfasst werden kurzfristige Belastungsspitzen, die bei­spielsweise durch T ransporte oder Störfälle verursacht werden können.

Die Betreiber von Anlagen, in denen mit radioaktiven Stoffen umgegangen wird, müssen für den Fall eines Schadens durch radioaktive Freisetzungen eine Haftpflichtversicherung abschließen bzw. andere Formen der finanziellen Vorsorge treffen. Für das Unternehmen Eckert & Ziegler wur­de im Jahr 2004 eine „Deckungsvorsorge“ in Höhe von 12,5 Millionen Euro festgesetzt. Die Höhe der Deckungsvorsorge wurde seither nicht angepasst.

Der Standort Braunschweig ist seit 1998 Jahren hinsichtlich der Umgangsgenehmigungen und der 2 000-Stunden-Regel erheblich „erweitert“ worden. Der Standort mitten in einem Wohngebiet, ne­ben Schulen, Kindergärten und Jugendzentrum, wäre laut Aussage des MU heute nicht mehr ge­nehmigungsfähig.

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