Antrag: Atomausstieg umsetzen – Atomkraftwerke zügig und transparent rückbauen

Fraktion der SPD 
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Mit dem Atomausstieg wurde in der Bundesrepublik ein gesetzliches Ausstiegsdatum definiert. Im Jahr 2022 soll mit dem Atomkraftwerk Lingen2/Emsland der letzte Reaktor in Niedersachsen vom Netz gehen. Um den Atomausstieg umzusetzen genügt es jedoch nicht, den Betrieb der alten Meiler einzustellen: Die Anlagen müssen zügig zurückgebaut werden.

Drei niedersächsische Atomkraftwerke (AKW) sind bereits abgeschaltet. Das AKW Stade befindet sich seit 2005 im Rückbau. Wegen unerwarteter Kontaminationen im Reaktorsockel verzögert sich der Abriss jedoch um drei bis vier Jahre. Der Rückbau des AKW Esenshamm/Unterweser wird derzeit vorbereitet. Der Betreiber will die Stilllegungsgenehmigung aber erst in Anspruch nehmen, wenn das Bundesverfassungsgericht über eine Verfassungsbeschwerde gegen den Atomausstieg entschieden hat. Das AKW Lingen 1/Emsland befindet sich seit über einem Vierteljahrhundert im sogenannten „sicheren Einschluss“. Ein Rückbauantrag wurde gestellt, der Rückbau hat jedoch noch nicht begonnen.

Das Atomrecht muss an die aktuellen Herausforderungen angepasst werden. Bislang entscheiden allein die Betreiber, ob ein Altmeiler nach der Stilllegung im sicheren Einschluss verwahrt oder direkt rückgebaut wird. Die Abwägungsgründe müssen nicht offengelegt werden, die Öffentlichkeit hat keine Möglichkeit, auf die Art der Stilllegung Einfluss zu nehmen. Zudem sieht das Atomgesetz für die Länder als Aufsichtsbehörden keine Möglichkeit vor, verbindliche Fristen für die Stilllegung zu setzen.

Auch in Bezug auf eine frühzeitige und umfassende Information und Beteiligung der Öffentlichkeit müssen neue Konzepte erarbeitet werden. Um eine transparente und belastbare Rückbauplanung zu ermöglichen, muss im Rahmen der Antragstellung ein umfassendes radiologisches Inventar der Anlage erstellt und eine Kostenkalkulation für die Stilllegung der Anlage und die Entsorgung der anfallenden Abfälle offengelegt werden.

Bei Stilllegung und Rückbau fallen große Mengen von Abfällen an, die im sogenannten Verfahren der „Freimessung“ für eine konventionelle Verwertung bzw. Entsorgung aus der strahlenrechtlichen Aufsicht entlassen werden. Da mit dem Atomausstieg eine große Zahl von Atomkraftwerken in einem engen Zeitraum rückgebaut wird, müssen große Abfallmengen entsorgt werden. Um die Belastungen der Bevölkerung so gering wie möglich zu halten, müssen die Freigabewerte der Strahlenschutzverordnung überprüft werden.

Der Landtag begrüßt, dass sich die Landesregierung

  • für die Sicherung der Rückstellungen der Betreiber für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung einsetzt.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • ein Gesamtinventar aller Atomabfälle zu erstellen bzw. offenzulegen, die in niedersächsischen Atomanlagen angefallen bzw. noch zu erwarten sind. Neben Abfallmengen und Konditionierungsgrad sind auch die stoffliche Abfallart, die erwartete Wärmeentwicklung, das radioaktive Inventar, die vorliegenden Leitnuklide mit Halbwertszeiten sowie die Besitzverhältnisse anzugeben.
  • Konzepte zu entwickeln zur frühzeitigen Information und umfassender Beteiligung der Bevölkerung bei der Stilllegung niedersächsischer Atomanlagen

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich auf Bundesebene für Änderungen des Atomrechts einzusetzen, um

  • feste Fristen für die Beantragung der Stilllegung von Atomkraftwerken zu definieren, sodass die Stilllegungsarbeiten unmittelbar nach Betriebseinstellung beginnen können
  • im Genehmigungsverfahren zur Stilllegung von Atomkraftwerken eine vergleichende Prüfung der Stilllegungsoptionen „direktem Rückbau“ und „sicherem Einschluss“ mit Öffentlichkeitsbeteiligung verbindlich zu machen
  • eine umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit und frühzeitige Informationspflichten gesetzlich zu verankern.
  • die Freigabewerte für Abfälle aus Atomanlagen zu überprüfen.

Begründung

Die EU-Richtlinie für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle (2011/70/EURATOM) verpflichtet die Bundesregierung, bis August 2015 ein Nationales Entsorgungsprogramm (NaPro) vorzulegen. Einen Entwurf hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) im Oktober 2014 vorgestellt. Darin ist eine Bestandsaufnahme und Prognose radioaktive Abfälle enthalten. In dem Abfallverzeichnis werden Abfallmengen und der Konditionierungsgrad beschrieben. Nachvollziehbare Aussagen zum radioaktiven Inventar und den vorliegenden Leitnukliden fehlen jedoch. Eine belastbare Kategorisierung des Atommülls ist notwendig, um Optionen für eine sichere Entsorgung entwickeln zu können. Da die Kosten der Entsorgung von den Abfallverursachern getragen werden, müssen auch die Besitzstrukturen der Abfälle transparent gemacht werden. Nur so kann überprüft werden, ob die Betreiber ausreichend finanzielle Vorsorge treffen.

Sobald der Leistungsbetreib eines Atomkraftwerks dauerhaft eingestellt wird, muss die Stilllegung der Anlage unverzüglich beginnen können. Da für die verbleibenden Meiler bereits Termine für die Abschaltung beschlossen sind, müssen die Betreiber verpflichtet werden, frühzeitig Vorbereitungen für die Stilllegung zu treffen. Im Atomgesetz sind dafür die nötigen Durchsetzungsmöglichkeiten für die Atomaufsicht des Landes vorzusehen.

Es gibt gute Gründe, die für einen direkten Rückbau der abgeschalteten Atomkraftwerke sprechen. So kann für den Rückbau Personal eingebunden werden, das mit der Anlage bereits vertraut ist. Zudem verringert der direkte Rückbau die Gefahr, dass sich der Betreiber der Verantwortung für die Altlasten entziehen kann. Bei einem „sicheren Einschluss“ kann hingegen die Strahlenbelastung der Anlage reduziert werden, bevor die Abbauarbeiten beginnen. Daher ist jeweils im Einzelfall abzuwägen, welche Rückbauoption die höchste Sicherheit für Mensch und Umwelt bietet.

Für die betroffenen Kommunen, Bürgerinnen und Bürger sowie Umweltverbände und Bürgerinitiativen müssen umfassende Möglichkeiten der Information und der Beteiligung vorgesehen werden. Um die Teilnahme von ehrenamtliche Mitglieder von Umweltverbänden oder Bürgerinitiativen zu ermöglichen müssen anfallende Kosten übernommen und ein Budget zur Verfügung gestellt werden, um in eigener Verantwortung externen Sachverstand zuziehen zu können. Alle Unterlagen des Gremiums müssen der Öffentlichkeit online zur Verfügung gestellt werden.

Da bislang nicht absehbar ist, wann in der Bundesrepublik ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll in Betrieb gehen kann, ist nicht auszuschließen dass an einigen Standorten auch nach Abschluss des Rückbaus radioaktive Abfälle in Zwischenlagern verbleiben. Solange die Standorte diese Belastungen tragen müssen, müssen Kommunikationswege zwischen Atomaufsicht, Betreiber und Bevölkerung bestehen bleiben.

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