Antrag: Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern – Akutmaßnahmen während der COVID-19-Krise sofort umsetzen, allgemeinverbindlichen Branchentarifvertrag und grundlegende Reform der Pflegeversicherung jetzt vorantreiben!

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der dringende Handlungsbedarf in der professionellen, stationären und ambulanten Pflege ist seit vielen Jahren bekannt. Die Arbeitsbedingungen sind prekär und es herrscht ein akuter Fachkräftemangel. Viele ausgebildete Fachkräfte haben sich beruflich neu orientiert, weil die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung nicht adäquat sind. Die Optionen zur beruflichen Weiterbildung und Qualifizierung sind im europäischen Vergleich nicht ausreichend. Immer wieder wurde diese Problemlage unter dem Stichwort „Pflegenotstand“ diskutiert. Die Struktur unseres Gesundheitswesens ist Teil der kritischen Infrastruktur. Die hohe Systemrelevanz und die hohe gesellschaftliche Bedeutung der Pflege-Tätigkeit sowie der starke Handlungsbedarf in diesem Bereich, zeigen sich in der aktuellen COVID-19-Krise einmal mehr und werden durch sie besonders sichtbar.

Wenn Arbeitskräfte in der Pflege durch eigene Erkrankungen, Überlastungen und Quarantäne ausfallen, ergeben sich zusätzliche Engpässe, die wiederum zulasten der zu Pflegenden und der Kolleg*innen gehen. Die Arbeitsbedingungen und die Vergütung in der Pflege muss daher kurz-, mittel- und langfristig verbessert werden, um junge Menschen für den Bereich der Pflege zu gewinnen und ältere, ausgestiegene Fachkräfte zurückzugewinnen.

Der Landtag fordert die Landesregierung daher auf,

1.  folgende kurzfristige Akutmaßnahmen umgehend umzusetzen:

  • a.      Zahlung einer steuerfreien, monatlichen, auf 6 Monate befristeten, steuerfinanzierten Landeszulage in Höhe von 500 € an alle Pflegekräfte in Krankenhäusern und ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen.
  • b.      Weitere Ausweitung der Testkapazitäten und aktive Nutzung der Kapazitäten für pflegerisches und medizinisches Personal in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen KVN.
  • c.      Finanzierung der Grundausstattung an pflegerischen Hilfsmitteln in ambulanten Pflegediensten, wie im Rahmenvertrag vorgeschrieben, über die Kranken- und Pflegekassen.
  • d.      Unterstützung bei der Einrichtung von Taskforce in Pflegeeinrichtungen, in denen COVID-19 festgestellt wurde.
  • e.      Personelle und finanzielle Stärkung der Gesundheitsämter des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD).
  • f.       Einrichtung von fünf universitären Pflegeprofessuren an niedersächsischen Hochschulen.
  • g.      Feste Verankerung der Pflege in den Teams der Krankenhausleitungen.
  • h.      Bereitstellung von Fördermitteln für Weiter- und Fortbildungen für Pflegekräfte sowie für deren psychologische Betreuung und Supervision.
  • i.       Bereitstellung von Fördermitteln für eine flächendeckende Digitalisierung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.
  • j.       Bereitstellung von Fördermitteln für regionale Unternehmen, die medizinisches Schutzmaterial herstellen.
  • k.      Dauerhaftes Bleiberecht für Geflüchtete und alle Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, die sich in einer pflegerischen Ausbildung befinden.
  • l.       Bleiberecht für alle in der Pflege tätigen Geflüchteten und Arbeitnehmer*innen aus Osteuropa und anderen Teilen der Welt.

2.      sich zusammen mit den Tarifparteien und anderen Vertragspartnern, wie den Kranken- und Pflegekassen, für einen zügigen Abschluss eines allgemeinverbindlichen Branchentarifvertrages einzusetzen,

3.      sich dafür einzusetzen, dass durch Zulagen und / oder Lohnerhöhungen keine Zuzahlungen für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen erfolgen,

4.      sich bei der Bundesregierung für eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung einzusetzen, indem die Pflegeversicherung einen Steuerzuschuss erhält und die Pflegeversicherung in eine Pflege-Bürger*innenversicherung umgewandelt wird.

Begründung

Gute Arbeit ist ein Menschenrecht. Auch Pflegekräfte haben ein Recht auf „Gute Arbeit“. Dieses Recht ist ihnen seit Jahrzehnten verwehrt worden. Die Arbeitsbedingungen sind prekär und es herrscht ein akuter Fachkräftemangel. Immer wieder wurde diese Problemlage unter dem Stichwort „Pflegenotstand“ diskutiert. Die Systemrelevanz und die hohe gesellschaftliche Bedeutung der Pflege-Tätigkeit sowie der starke Handlungsbedarf in diesem Bereich, zeigen sich in der aktuellen COVID-19-Krise einmal mehr und werden durch sie besonders sichtbar.

Es müssen jetzt kurzfristig Akutmaßnahmen zur Verbesserung der Situation und zum Schutz der Pflegekräfte umgesetzt werden. Eine Landeszulage ist ein probates Mittel um unbürokratisch und schnell die besonderen Leistungen und Belastungen der Pflegekräfte in der Krise zumindest minimal anzuerkennen. Zum Schutz der Pflegekräfte ist ausreichende Schutzausrüstung unverzichtbar. Neben den Anstrengungen, die die Landesregierung bei der Beschaffung von Schutzausrüstung bereits unternimmt, braucht es deshalb eine Bereitstellung von Fördermitteln für regionale Unternehmen, die medizinisches Schutzmaterial herstellen (möchten). Durch den erheblichen Ausbau der regionalen Produktion können Versorgungsengpässe vermieden werden. Das ist auch langfristig wichtig. Weiterhin unerlässlich für den Schutz der Pflegekräfte ist die Ausweitung der Testkapazitäten. Gerade auch, weil in der Pflegetätigkeit stets ein enger Patient*innenkontakt besteht. Pflegeeinrichtungen, in denen COVID-19 ausgebrochen ist, brauchen zudem schnelle Unterstützung um die Notsituation adäquat bewältigen zu können und um das Personal zu entlasten. Dazu sollte eine Taskforce aus verschiedenen Akteur*innen und Expert*innen, wie etwa dem örtlichen Gesundheitsamt, eingerichtet werden. Deshalb und grundsätzlich müssen die Gesundheitsämter finanziell und personell gestärkt werden. Weiterbildungen und psychologische Betreuung für Pflegekräfte sind wichtig, um mit der aktuellen, besonders schwierigen Lage, umgehen zu können. Eine flächendeckende Digitalisierung ist relevant, weil sie dazu beiträgt die hohen Dokumentationspflichten zu beschleunigen. Somit sorgt sie für Entlastung des Personals.

Außerdem braucht es einen Richtungswechsel in der Pflegepolitik. Die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte müssen langfristig verbessert werden. Dazu braucht es einen allgemeinverbindlichen Branchentarifvertrag. In einem solchen Tarifvertrag sollten hohe Löhne festgelegt werden, die im Gegensatz zum Mindestlohn kein Mindestmaß beschreiben, sondern die systemrelevante, außerordentlich wichtige und herausfordernde Pflegetätigkeit in adäquater Weise anerkennen. Ein solcher Tarifvertrag hat zudem den großen Vorteil, dass auch weitere relevante und verbindliche Arbeitsbedingungen festgehalten werden können und müssen, z.B. mit Blick auf Arbeitszeit, Urlaubszeit oder Urlaubsentgelt. Es steht zu erwarten, dass sich der Fachkräftemangel mit den Verbesserungen der Arbeitsbedingungen beseitigen lässt.

Gleichzeitig dürfen höhere Löhne nicht zu Lasten der Pflegebedürftigen gehen. Schon jetzt können sich etwa in der Altenpflege viele Senior*innen keinen Platz mehr in einer Pflegeeinrichtung leisten. Sie sind auf Sozialhilfe angewiesen. Das betrifft vor allem Frauen, die besonders von Altersarmut bedroht sind. Auf Sozialhilfe angewiesen zu sein ist für viele Menschen ein entwürdigendes Gefühl. Höhere Löhne müssen daher über einen anderen Weg, nämlich die Pflegeversicherung, finanziert werden. Dafür braucht es eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung. Die Pflegeversicherung muss einen Steuerzuschuss erhalten und sie muss in eine Pflege-Bürger*innenversicherung umgewandelt werden. Eine Bürger*innenversicherung bezieht alle Bürger*innen und Einkommensarten ein und ist damit ein sinnvolles Instrument für mehr soziale Gerechtigkeit.

 

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