Antrag: Alle allgemeinbildenden Schulen des Sekundarbereichs müssen Verantwortung übernehmen für die Berufsorientierung und für den Übergang der Schülerinnen und Schüler in Berufsausbildung und Studiu

 

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

An den allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen werden die Schülerinnen und Schüler nur unzureichend auf den Übergang in die berufliche Ausbildung bzw. das Studium und die Berufswelt vorbereitet.

Mit den geplanten neuen Erlassen für die Arbeit in den Haupt- und Realschulen wird nicht dafür gesorgt, dass die Jugendlichen stärker dabei unterstützt werden, ihre eigenen Stärken und Schwächen zu klären, orientierende Einblicke in die Arbeitswelt zu erlangen und eigene Ziele beim Übergang in die Berufswelt zu bestimmen. Stattdessen werden in den Hauptschulen und Realschulen Anteile der beruflichen Ausbildung in die allgemein bildenden Schulen vorverlegt und die Jugendlichen sollen sich noch früher, bereits in der 8. Klasse, auf die Fachrichtung ihrer beruflichen Ausbildung festlegen.

An den Gymnasien bleibt die Berufs- und Studienorientierung unterentwickelt und beschränkt sich in der Regel auf ein einmaliges Betriebspraktikum.

Obwohl der Übergang von der Schule in Ausbildung, Beruf oder Studium durch eine Vielzahl von Berufsorientierungsmaßnahmen, Bildungsgängen und Beratungsinstanzen geprägt ist, gelingt es Schülerinnen und Schülern häufig nicht, auf dem direkten Weg diesen Übergang in die berufliche Ausbildung oder ein erfolgreiches Studium zu finden. Die Vielzahl von vorhandenen Unterstützungsmaßnahmen ist in den meisten Orten unzureichend abgestimmt und für die Jugendlichen viel zu unübersichtlich. In der Folge kommt es zu Brüchen in der Ausbildung oder Umwegen bei der Teilnahme an Bildungsmaßnahmen.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

Alle allgemeinbildenden Schulen des Sekundarbereichs erhalten den verbindlichen Auftrag, ein Berufs- und Studienorientierungskonzept zu entwickeln, mit dem die Schülerinnen und Schüler bei ihrer Berufsorientierung und beim Übergang ins Studium und in die Berufswelt unterstützt werden. Es soll folgende Elemente enthalten:

  1.  Alle allgemein bildenden Schulen des Sekundarbereichs vermitteln ihren Schülerinnen und Schülern mehr Einblicke in die Berufs- und Arbeitswelt.
  • Gemeinsam mit Betrieben, sozialen und kulturellen Einrichtungen und Projekten bauen alle allgemeinbildenden Schulen des Sekundarbereichs ein Netz an außerschulischen Lernorten auf, an denen die Schülerinnen und Schüler Einblicke in die Arbeitswelt gewinnen und Eindrücke von den Anforderungen an verschiedene Berufe erhalten können.
  • In allen allgemeinbildenden Schulformen des Sekundarbereichs wird die Arbeit in Schülerfirmen gefördert.
  • In allen allgemeinbildenden Schulformen des Sekundarbereichs – auch in den Gymnasien – werden mehrere Berufspraktika angeboten.
  1. Alle allgemeinbildenden Schulen des Sekundarbereichs unterstützen ihre Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Berufsorientierung dabei, Klarheit über ihre individuellen Stärken und Schwächen und ihre beruflichen Wünsche zu gewinnen und ihre Chancen auf dem Ausbildungsmarkt realistisch einzuschätzen.
    Die Schulen bieten allen Schülerinnen und Schülern rechtzeitig vor dem Schulabgang Diagnoseverfahren zur Feststellung der fachlichen und überfachlichen Kompetenzen an. Sie können dabei mit außerschulischen Anbietern und der Agentur für Arbeit zusammenarbeiten.
  2. Alle allgemeinbildenden Schulen des Sekundarbereichs unterstützen und begleiten ihre Schülerinnen und Schüler individuell beim Übergang in eine Ausbildung bzw. ein Studium.
    Sie benennen für jede Schülerin und jeden Schüler zu Beginn des 8. Schuljahrgangs eine Ansprechpartnerin oder einen Ansprechpartner, die die Schülerinnen und Schüler bis zum gelungenen Übergang in eine Berufsausbildung oder ein Studium individuell begleiten und ihnen zur Beratung und Unterstützung zur Verfügung stehen.

Zur Qualitätssicherung sind die Schulen verpflichtet, die Maßnahmen ihres Berufs- und Studienorientierungskonzeptes zu evaluieren und weiterzuentwickeln.

Begründung

Die allgemein bildenden Schulen in Niedersachen werden der Aufgabe, ihre Schülerinnen und Schüler beim Übergang in eine Berufsausbildung oder ein Studium zu unterstützen, nur unzureichend gerecht. Einzelne Schulen haben sehr gute Konzepte zur Berufsorientierung entwickelt, aber die Berufsorientierung ist nicht in ausreichendem Maße eine verpflichtende Aufgabe für alle allgemeinbildenden Schulen des Sekundarbereichs.

Die unzureichende Berufsorientierung ist mitverantwortlich für die hohen Abbrecherquoten in der Berufsausbildung und im Studium. So wird in einer Studie im Auftrag der IHK Osnabrück-Emsland zum Abbruch von Ausbildungsverträgen vom März 2010 auf die Notwendigkeit hingewiesen, den Übergang in die Berufsausbildung besser zu organisieren. Viele Jugendliche seien mit der Berufswahl offenbar überfordert. Auch in der kürzlich vom Institut für Demoskopie Allensbach vorgelegten Befragung zur Schulpolitik forderten 47% der Eltern, dass die Schulen besser auf das Berufsleben vorbereiten sollten.

Berufsorientierung und Berufswegeplanung sind ein längerfristiger Prozess, der von den Jugendlichen selbst aktiv mitgestaltet werden muss. Die allgemein bildenden Schulen haben dabei vor allem die Aufgabe, die Schülerinnen und Schüler darin zu unterstützen, ihre eigenen Stärken und Schwächen zu klären, eigene Ziele zu formulieren, ihre persönlichen und sozialen Kompetenzen zu stärken und ihre Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt realistisch einzuschätzen. Durch die Einbeziehung außerschulischer Lernorte sollen die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit erhalten, konkrete Erfahrungen in der Arbeitswelt zu machen und dabei ihre eigenen Vorstellungen zu überprüfen und weiterzuentwickeln.

Statt die Schülerinnen und Schüler in diesem Lern- und Entscheidungsprozess stärker zu unterstützen, setzt die Landesregierung mit ihren neuen Erlassen für die Arbeit in der Hauptschule und in der Realschule vor allem darauf, Teile der beruflichen Ausbildung bereits in einen Teil der  allgemeinbildenden Schulen vorzuziehen. Dadurch müssen die Schülerinnen und Schüler wichtige Entscheidungen über ihre berufliche Ausbildung noch früher und damit auf einer noch schwächeren Grundlage treffen.

An den Gymnasien beschränkt sich die Berufsorientierung vor allem auf die Schülerbetriebspraktika. Hierfür steht jedoch bei weitem zu wenig Zeit zur Verfügung. Die Organisation von Schülerfirmen und die Teilnahme am Zukunftstag für Jungen und Mädchen und an Lehrerbetriebspraktika sind unverbindlich und abhängig vom Engagement der einzelnen Schulen.

Die Klärung der Stärken, Schwächen und beruflichen Wünsche der Schülerinnen und Schüler und der Möglichkeiten und Chancen auf dem Arbeitsmarkt wird weitgehend außerschulischen Institutionen, vor allem der Berufsberatung übertragen. Auch hier ist die Zusammenarbeit der Schulen mit der Berufsberatung unverbindlich und dem Engagement der einzelnen Schulen überlassen. An den Kompetenzfeststellungsverfahren im Rahmen des Projekts "Aktive Berufswahlvorbereitung" konnten in der Zeit vom 01.11.2007 bis zum 30.11.2009 nur knapp 5% der Schülerinnen und Schüler der einbezogenen Schülerjahrgänge teilnehmen.

Eine verbindliche individuelle Beratung und Begleitung der Jugendlichen beim Übergang von der allgemeinbildenden Schule in die berufliche Ausbildung gibt es in Niedersachsen nicht.

Damit allen Jugendlichen der schwierige Übergang von der Schule in die Berufswelt gelingt, ist es erforderlich, die Schulen aller Schulformen mit der Entwicklung und Umsetzung von Konzepten zur Berufsorientierung verbindlich zu beauftragen.

Lernangebote, mit denen die Schülerinnen und Schüler dabei unterstützt werden, ihre eigenen Interessen und Kompetenzen realistisch einzuschätzen und weiterzuentwickeln und mit denen sie vielfältige Kenntnisse über und Einblicke in die Arbeitswelt erhalten, müssen zum verbindlichen Bestandteil der Curricula aller Schulen werden.

In die Arbeit aller Schulen müssen auch verstärkt außerschulische Lernorte einbezogen werden. Dies können Betriebe, soziale und kulturelle Einrichtungen oder Projekte sein. Damit die Einbeziehung außerschulischer Lernorte nicht zur Beliebigkeit verkommt, entwickeln alle Schulen im Rahmen ihrer schuleigenen Curricula hierfür pädagogische Standards.

In allen Schulformen sollen im Verlauf der Schulzeit mehrere Praktika durchgeführt werden. Die Arbeit in Schülerfirmen soll in allen Schulformen gefördert werden.

Eine so gestärkte Berufsorientierung geht – anders als das von der Landesregierung beabsichtigte Vorziehen der beruflichen Ausbildung in die allgemein bildenden Schulen – nicht auf Kosten der Allgemeinbildung, sondern stärkt sie, indem sie einen zusätzlichen lebensweltlichen Bezug herstellt.

Die Förderung des Übergangs von der Schule in den Beruf ist eine gemeinsame Aufgabe der Schule und der Eltern (Sorgeberechtigten), die zusammen mit den berufsbildenden Schulen und außerschulischen Institutionen zu bewältigen ist. Hierfür müssen die Schulen in ihrem Berufsorientierungskonzept verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit erarbeiten. Gute Ansätze, die es im Rahmen der Regionen des Lernens bereits gibt, müssen ausgebaut und weiterentwickelt werden. Noch fehlen flächendeckende Mindeststandards für die Arbeit der Regionen des Lernens und es sind nicht systematisch alle Schulformen einbezogen.

Um die Schülerinnen und Schüler beim Übergang in den Beruf individuell frühzeitig und kontinuierlich zu unterstützen, sollen die Schulen feste Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner benennen, die die Jugendlichen vom 8. Schuljahrgang bis über den Schulabschluss hinaus beraten und bei der Erstellung und Weiterentwicklung individueller Berufs- und Studienwegepläne nach dem Prinzip einer abnehmenden Assistenz unterstützen. Die Schule sollte über diese Ansprechperson Kontakt zu ihren Schülerinnen und Schülern behalten, bis diesen der Übergang in eine Ausbildung bzw. ein Studium gelungen ist.

Fraktionsvorsitzender

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