Antrag: Abschiebungen in die Republik Syrien dauerhaft einstellen

Abschiebungen in die Republik Syrien dauerhaft einstellen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

Trotz bekannter Menschenrechtsverletzungen hat Deutschland ein Rückführungsabkommen mit der Republik Syrien geschlossen, auf dessen Grundlage Abschiebungen tatsächlich stattgefunden haben. Nur kurzzeitig wurden diese zwischenzeitig ausgesetzt, dann fortgeführt und anschließend wieder – viel zu spät – ausgesetzt, ohne dass allerdings ein verbindlicher förmlicher Abschiebungsstopp erlassen worden wäre. Niedersachsen ist dabei immer der Linie der Bundesregierung gefolgt und hat im Jahr 2009 139 Personen und im Jahr 2010 210 Personen für die Abschiebung in die Republik Syrien angemeldet. Gegen die deutsche Politik gegenüber der Republik Syrien und die Abschiebungen dorthin protestieren seit Monaten verschiedene Nichtregierungsorganisationen. Auch vor dem Niedersächsischen Landtag machen seit Wochen syrische AktivistInnen durch eine Mahnwache auf das Unrecht in der Republik Syrien aufmerksam.

Die Landesregierung wird aufgefordert,

aus den aktuellen Geschehnissen in der Republik Syrien wie der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten und Demonstrationen sowie willkürlichen Inhaftierungen, Folterungen mit Todesfolge folgende Konsequenzen zu ziehen:

  • Die Landesregierung wird einen förmlichen Abschiebungsstopp in die Republik Syrien gemäß § 60a bzw. § 23 I AufenthG erlassen.
  • Die Landesregierung wird sich für die Kündigung des Rückübernahmeabkommens mit der Republik Syrien einsetzen.
  • Die Landesregierung wird eine unabhängige Kommission aus VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen wie dem Flüchtlingsrat Niedersachsen, amnesty international und Mitgliedern des Landtags einsetzen, die die Schicksale der bisher aus Niedersachsen in die Republik Syrien abgeschobenen und dort inhaftierten Menschen unverzüglich aufklären und den Landtag darüber unterrichten soll.
  • Die Landesregierung wird sich für die Berücksichtigung der Erkenntnisse über den Umgang mit in die Republik Syrien Abgeschobenen bei der Prüfung von inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen, Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen und Asylanträgen durch die niedersächsischen Ausländerbehörden bzw. das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einsetzen.
  • Die Landesregierung wird keine wirtschaftlichen oder politischen Delegationen in die Republik Syrien begleiten, organisieren oder unterstützen.

Begründung

Die Republik Syrien ist ein Land, dem das Deutsche Auswärtige Amt schwerste Menschenrechtsverletzungen attestiert. Mehrere Geheimdienste bespitzeln die Bevölkerung. Folter wird als gängi

ges Mittel gegen GegnerInnen des herrschenden Assad-Regimes eingesetzt. Die Menschenrechtslage in Syrien ist dramatisch. Nach Informationen von Amnesty International starben mehr als 80 Menschen in syrischer Haft, die im Zeitraum zwischen April und Mitte August 2011 wegen angeblicher Teilnahme an Demonstrationen festgenommen worden waren – viele von ihnen wurden vor ihrem Tod offenbar misshandelt und gefoltert. Insgesamt starben nach Un-Schätzungen seit Beginn der Aufstände gegen die autoritäre Regierung von Präsident Baschar el Assad mehr als 3000 Menschen.

Das Regime geht mit äußerster Brutalität gegen friedliche Demonstrierende, Menschenrechtsaktivisten und Künstler vor. Schon 2009 informierte das Bundesinnenministerium die Länder in einem Schreiben zum Rückübernahmeabkommen über Inhaftierungen von aus Deutschland Abgeschobenen und anschließende Prozesse vor Militärgerichten jenseits anerkannter juristischer Standards. Das Auswärtige Amt beklagte, dass das Regime keine Auskünfte über den Verbleib der Gefangenen gegeben habe. Auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen haben immer wieder über Verstöße gegen Menschenrechte in der Republik Syrien berichtet.

In ein solches Land darf nicht abgeschoben werden. Am 31.12.2010 waren für Niedersachsen 1382 syrische Staatsangehörige erfasst, deren Aufenthalt geduldet war. Die Zahl der Personen, die angeben, staatenlos und aus Syrien kommend eingereist zu sein, wird nicht statistisch erfasst und ist deshalb nicht bekannt.

Um den Betroffenen einen verlässlichen Rechtsrahmen zu gewähren, muss ein förmlicher Abschiebungsstopp nach § 60a AufenthG ausgesprochen werden, der für sechs Monate gilt. Für einen längeren Zeitraum sind gemäß § 23 I AufenthG Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen. Dieses Verfahren ist das in solchen Fällen gesetzlich vorgesehene. Der aktuelle vom Bundesinnenministerium den Ländern empfohlene Verzicht auf Abschiebungen in die Republik Syrien bietet keinen verlässlichen Rechtsrahmen und dient lediglich der Umgehung der in § 23 I AufenthG vorgesehenen Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen.

Dementsprechend ist auch das Rückübernahmeabkommen mit der Republik Syrien, das Abschiebungen dorthin erleichtert zu kündigen. Vertragsparteien sind die Bundesregierung und die Regierung der Republik Syrien.

Denn noch im Februar 2011 wurden der 16-jährige Anuar und sein 63-jähriger Vater Bedir Naso in die Republik Syrien abgeschoben. Sie wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft inhaftiert. Bedir Naso saß 13 Tage lang in syrischer Haft. Bereits im Jahr 2000 wurde der Kurde Hussein Daoud in die Republik Syrien abgeschoben. Auch er wurde gleich nach seiner Ankunft dort festgenommen. Danach wurde er verhört, in das berüchtigte Gefängnis "Palästina" eingewiesen und dort schwer gefoltert. Erst im April 2010 gelang ihm die Flucht aus der Republik Syrien. Im August 2011 wurde er endlich in Deutschland als Flüchtling anerkannt.

Politische Konsequenzen wurden aus seinem Fall in Deutschland jedoch nicht gezogen. Stattdessen erklärte ihn das Auswärtige Amt zum Ausnahmefall und die kurzzeitig ausgesetzten Abschiebungen wurden auch in Niedersachsen wieder fortgesetzt, ohne dass die Gründe oder näheren Umstände der Verfolgung von Hussein Daoud ermittelt worden wären. Niedersachsen trägt für Personen, die von hier in eine menschenrechtswidrige Lage abgeschoben werden, eine direkte Verantwortung. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden und Wiedergutmachung zu ermöglichen, muss die Landesregierung eine unabhängige Kommission einsetzen, um die Schicksale der Abgeschobenen aufzuklären. Der Landtag ist über die diesbezüglichen Bemühungen, Erfolge und Konsequenzen zu unterrichten.

Um zukünftige Fehlentscheidungen in Verfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Fehlinformationen durch dieses gegenüber den Landesregierungen zu verhindern, soll die Landesregierung, die bei ihren Aufklärungsbemühungen um die Schicksale der Abgeschobenen gewonnenen Erkenntnisse dem Auswärtigen Amt, aber auch dem BAMF mitteilen. Selbige Erkenntnisse sollte Berücksichtigung bei Entscheidungen der Ausländerbehörden finden.

Darüber hinaus ist es dringend geboten, von politischen und wirtschaftlichen Delegationen in die Republik Syrien in dieser Situation abzusehen. Eine im Februar erfolgte Wirtschaftsdelegation maßgeblich organisiert durch NGlobal und in Begleitung des Staatssekretärs vom niedersächsischen Wirtschaftsministerium und dreier Landtagsabgeordneter hat aufgezeigt, dass menschenrechtliche Aspekte bei Planung und Durchführung von Delegationen keine Rolle spielen.

Stefan Wenzel

Fraktionsvorsitzender

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