Antrag: 10-Punkte-Sofortplan für mehr Tierschutz in der Nutztierhaltung in Niedersachsen

 

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest, dass die derzeitigen Zustände in der Nutztierhaltung nicht mit den Tierschutzzielen vereinbar sind und dringend einer Änderung bedürfen.

Der Landtag fordert die Landesregierung zur unverzüglichen Umsetzung folgender Punkte auf:

  1. Vollständiges Verbot der Käfighaltung von Legehennen (so genannte "Kleingruppenhaltung") durch Zustimmung zum Bundesratsantrag von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.
  2. Mehr Platz für Masthühner. Die Vorgaben in der Tierschutznutztierhaltungsverordnung zur Haltung von Masthühnern sollen von 39 kg pro m² (ca. 23-25 Hühnern pro m²) auf maximal 21 kg pro m² ( 8 bis 10 Tiere pro m²) abgesenkt und die Stallstrukturierung sowie das Stallmanagement grundlegend verbessert werden.
  3. Unverzügliche Einstellung des Schnabelkürzens bei Legehennen durch Umsetzung der Regeln und Maßnahmen nach dem Vorbild Österreichs.
  4. Wasserzugang für Enten in der Mast. Durch Änderung der Vereinbarungen über Mindestanforderungen an die Haltung von Pekingenten müssen den Tieren in der Mast  ausreichend Zugang und Möglichkeiten zum Wasserbaden eingeräumt werden.
  5. Schlachtviehtransporte dürfen innerhalb Deutschlands nicht  länger als 4 Stunden dauern und die Subventionen für Tiertransporte und Großschlachthöfe müssen gestrichen werden.
  6. Um das Verstümmeln von Schweinen durch das Kupieren von Schwänzen überflüssig zu machen soll mehr als die Hälfte der Stallfläche nicht aus Spalten- oder Gitterböden sondern aus einem mit Stroh eingestreuten Ruhe- und Liegebereich bestehen.
  7. Verbot der betäubungslosen Kastration von Ferkeln.
  8. Für eine tiergerechte Kuh- und Bullenhaltung ist eine strohlose Haltung auf Vollspaltenböden, eine zu hohe Besatzdichte und das Schwanzspitzenkürzen durch Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung zu vermeiden. Für eine aus Sicht des Klima-, Natur- und Tierschutzes vorteilhafte Weidehaltung im Grünland ist eine Änderung der Förderprogramme umzusetzen.
  9. Einstellung der Brandkennzeichnung von Pferden nach Einführung der Chippung.
  10. Vollständige Information und Kennzeichnung aller tierischen Produkte und Einzelbestandteile nach ihrer Haltungsform bzw. tier- und umweltbezogenen Erzeugung und Einführung von Tierschutzsiegeln. Verbrauchertäuschung etwa durch nicht der Erzeugung entsprechende Abbildung von freilaufenden Hühnern oder Kühen auf grünen Wiesen soll untersagt werden.

Begründung

Angesichts grausamer Quälereien und Zustände in der Nutztierhaltung hat Minister Lindemann einen 38 Punkte-Plan für mehr Tierschutz angekündigt. Viele der Punkte sind jedoch lediglich Prüfaufträge und Appelle und ihre Umsetzung geht bis ins Jahr 2018. Schnelle Verbesserungen für mehr Tierschutz sind dadurch nicht zu erwarten. So fehlen in dem Tierschutzplan für Niedersachsen schnelle Gesetzesinitiativen, Bundesratsanträge oder Erlasse noch für diese Legislaturperiode.

Dabei liegen viele Vorschläge für mehr Tierschutz in der Nutztierhaltung seit langem auf dem Tisch, warten auf das Ende der Blockade Niedersachsens im Bundesrat (Käfigverbot oder Beendigung der Brandkennzeichnung von Pferden) oder werden in anderen Ländern z.B. Österreich (Verbot der Käfighaltung, Einstellung der Schnabelkürzung bei Legehennen) bereits umgesetzt.

Im Sinne des gesellschaftlichen Willens und Auftrags des Artikels 6b der Niedersächsischen Verfassung ("Tiere werden als Lebewesen geachtet und geschützt") ist deshalb eine umgehende Verbesserung des Tierschutzes insbesondere in der Nutztierhaltung seit langem überfällig.

  1. Die seit 1. Januar 2010 geltende Regelung der Käfighaltung von Legehennen in der so genannten "Kleingruppenhaltung" ist laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2.12.2010 wegen Missachtung des Tierschutzes formell nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. In den Käfigen werden die Hühner auf einer Fläche von 900 cm² gehalten. Ein artgerechtes Verhalten ist dort nicht möglich. Eine Neuregelung muss bis zum 31. März 2012 erfolgen. Die Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz haben daher im Februar 2011 mit einem gemeinsamen Antrag im Bundesrat das vollständige Verbot der Käfighaltung bei Legehennen gefordert, wie es von einer rot-grünen Bundesregierung schon einmal beschlossen war. Niedersachsen hat im März 2011 im Bundesrat für eine Vertagung des Käfigverbots gestimmt. Im so genannten Tierschutzplan von Minister Lindemann wird sogar eine "Bestandsgarantie" für diese besonders tierquälerische Haltung von Legehennen in engen Käfigen gefordert. Dabei lehnt die große Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher diese Haltungsform ab. Wirtschaftlich dürfte diese Form der Eierproduktion ebenfalls keine Zukunft haben, müssen sie doch als Käfigeier mit einer "3" gekennzeichnet sein. Nur noch knapp 20 Prozent der Legehennen in Niedersachsen werden in Käfighaltung gehalten.
  2. Die jetzigen Bedingungen in den Mastfabriken Niedersachsens gelten als besonders grausam. Die Studie der TiHo Hannover von Prof. Hartung im Auftrag des Agrarministeriums zeigt eindrücklich die Missstände in der Hühnermast. Nach der Studie kommt es zu schweren Verletzungen und Erkrankungen insbesondere der Fußballen der Tiere. Auch wird neben anderen Faktoren durch den Vergleich mehrerer Besatzdichten ein klarer Zusammenhang zwischen Platzangebot für die Tiere und der Schwere der Tierquälereien und Todesfälle aufgezeigt. Auch eine umfassende Studie des wissenschaftlichen Komitees für Tierschutz der Europäischen Kommission "The Welfare of Chickens - Kept for Meat Production (Broilers)" kommt zu dem Schluss, dass eine Verringerung der Besatzdichten auf etwa 20 kg pro m³ wenigstens die gröbsten Tierverletzungen vermeiden könnte. Die EU-ÖkoVO und die Neuland-Richtlinien schreiben maximal 21kg Lebendgewicht pro m² vor. Neben der unverzüglichen Senkung der Besatzdichten sind auch für die Strukturierung der Ställe und für das Management als wichtige Faktoren für den Tierschutz und die Tiergesundheit  neue und bessere Vorgaben zu machen.  Die Einhaltung der Managementvorgaben, wie z.B. die Herstellung der für die Tiergesundheit sehr wichtigen, guten Einstreuqualität, sind durch die Kontrolle der Indikatoren Fußballenveränderungen (Fußballenentzündungen) pro Schlachtpartie am Schlachthof  zu erfassen. Über den Tiergesundheitsindikator Fußballenveränderungen können Betriebe mit unzureichendem Management identifiziert und zu anderem Handeln angeleitet bzw. gezwungen werden. Gleiches gilt für Putenhaltungen, wobei es sich in dem Fall  um die Indikatoren Fußballen- und Brusthautveränderungen handelt. (vgl. BLE Forschungsprojekt "Indikatoren einer Tiergerechten Mastputenhaltung", Universität Leipzig (2007 – 2009) ).
  3. In Österreich wird das Amputieren der Schnabelspitzen bei Legehennen seit 2005 kaum noch praktiziert. Wie sich der Tierschutzdienst des LAVES auf einer Reise nach Österreich informierte, zeigen die dortigen Erfahrungen, dass der Verzicht auf den schmerzhaften Eingriff des Schnabelkürzens funktioniert, wenn gleichzeitig  eine intensive Schulung und Beratung der Tierhalter und eine Optimierung der Haltung und des Managements vorgenommen wird.
    Nach Angaben des LAVES hat der "Verzicht auf Schnabelkürzen insgesamt zu einer deutlichen Verbesserung des Managements und damit der Prozessqualität (profitablere Legehennenhaltung) und des Tierschutzes geführt (...) Eine Überprüfung von insgesamt 44 Bodenhaltungsherden mit Volieren, die in den Jahren 2007 bis 2008 durchgeführt wurde, hat bis zum Alter von 50 Wochen eine durchschnittliche Mortalität von 3,1 % ergeben. Die Fortschritte in der Legehennenhaltung in Österreich zeigen, dass der Eingriff "Schnabelkürzen" im Hinblick auf die vorgesehene Nutzung zum Schutz der Tiere bei Hennen nicht mehr generell als unerlässlich angesehen werden kann. Angesichts der Entwicklung in unserem Nachbarland sollte auch in Deutschland ein "Einstieg in den Ausstieg" verabredet werden, der schrittweise und nachvollziehbar zu einem Verzicht auf Schnabelkürzen bei Legehennen führt."
    www.laves.niedersachsen.de/live/live.php
    Warum Minister Lindemann nun mit einem (!) ausgewählten Betrieb im Landkreis Osnabrück das Auslaufen des Schnabelkürzens auf die lange Bank schiebt und neu erproben will, statt die nach Angaben seines eigenen Tierschutzdienstes erfolgreichen und bewährten Erfahrungen hunderter Betriebe aus Österreich zu übernehmen, erschließt sich nicht.
    In Österreich konnte mit diesen Maßnahmen kurzfristig eine deutliche Reduzierung der schnabelgekürzten Herden von 45 % auf heute nur noch 1,5 % erreicht werden.
  4.  Pekingenten haben in der heutigen Qualaufzucht und -mast oft keinen ausreichenden Zugang zu Wasser. Die Pekingentenvereinbarung muss daher umgehend um die artgemäße Gefiederpflege und die Möglichkeiten zum Badeverhalten in Wasser ergänzt werden d.h.  die Wasservorrichtungen müssen so ausgelegt sein, dass das Wasser den Kopf bedeckt und mit dem Schnabel aufgenommen werden kann , so dass sich die Tiere problemlos Wasser über den Körper schütten können.
  5. Immer noch werden die Tiertransporte durch die EU subventioniert. Das Land Niedersachsen fördert einen umstrittenen Großschlachthof im Kreis Celle mit 6,5 Millionen Euro. Durch das Fehlen von Mindestlöhnen im Schlachtgewerbe wird Niedersachsen zum Billigschlachthof Europas. Immer mehr Lebendtiertransporte aus Dänemark und Benelux werden nach Niedersachsen gebracht und dann zurückgefahren. Die lange Transportdauer ist für die Tiere oft mit großem Leiden verbunden. Neben ausreichender Tränkung und Pausen ist eine Begrenzung der Tiertransporte innerhalb Deutschlands auf 4 Stunden und innerhalb der EU auf maximal 8 Stunden umzusetzen. Niedersachsen sollte daher einem in diese Richtung weisenden Bundesratsantrag Nordrhein-Westfalens nicht länger seine Zustimmung verweigern. Niedersachsen sollte einen solchen Mindeststandard insbesondere als Großschlachthof Europas unbedingt unterstützen. Subventionen für Tiertransporte sollten genauso wie Exportsubventionen für Fleisch und Megaschlachthöfe insbesondere als Wettbewerbsverzerrung endlich entfallen.
  6. Eine artgerechte Schweinehaltung ist grundsätzlich nur mit Auslauf und Haltung auf Stroh möglich. Schweine sind sehr intelligente Tiere und benötigen Stroh zur Beschäftigung, Wühlen und Nestbau. Die Langeweile ruft Verhaltensstörungen hervor wie "Stangenbeißen", "Trauern" (das Tier sitzt auf seinen Hinterläufen und lässt den Kopf hängen) oder "Schwanzbeißen" bis hin zum Kannibalismus.
    Fast allen Ferkeln, die nicht in Bio- oder Neuland-Betrieben gehalten werden, kupiert man routinemäßig die Schwänze. Diese Amputation soll verhindern, dass die Schweine sich gegenseitig die Schwänze anfressen. Solch eine Verhaltensstörung entsteht jedoch erst durch die Bedingungen in der industriellen Schweinemast. Die intelligenten Tiere leben dort in einem monotonen Stall auf Vollspaltenböden, haben keinerlei Beschäftigung und beginnen deshalb aus Langeweile die Schwänze der anderen Tiere abzubeißen.
    Ein Verbot des Schwanzkupierens muss daher einhergehen mit der Abschaffung der Vollspaltenböden. Angelehnt an die EU-Ökoverordnung sollte daher mindestens die Hälfte der vergrößerten Stallfläche pro Tier aus einem eingestreuten Ruhe- und Liegebereich bestehen. Durch die Einstreu mit einem geeigneten organischen Material erhalten die Tiere Beschäftigungsmaterial.
    Darüber hinaus bindet Stroh auch unangenehme Gerüche und mindert die Belästigungen von Anwohnern durch die Schweinehaltung.
  7.  20 bis 25 Millionen männliche Ferkel werden in Deutschland jährlich ohne Betäubung und ohne Schmerzbehandlung während des Heilungsprozesses chirurgisch kastriert. Dieser Eingriff ist sehr grausam. Die Tierärztin Susanne Zöls von der Ludwig-Maximilians-Universität München wies in einer Untersuchung den Schmerz auch im Blut der Tiere nach. Werden sie ohne Betäubung kastriert, steigt der Spiegel des Stresshormons Cortisol signifikant an und bleibt noch Stunden nach dem Eingriff erhöht. Ferkel, denen ein Schmerzmittel gespritzt worden war, hatten dagegen ähnlich niedrige Cortisol-Mengen im Blut wie eine nicht kastrierte  Kontrollgruppe.
    Bereits jetzt gibt es verschiedene Methoden auf Ferkelkastrationen zu verzichten oder diese mit Betäubung zu praktizieren. Warum Minister Lindemann in seinem Tierschutzplan erst im Jahre 2015 eine Erprobung, aber kein Verbot durchführen will erschließt sich nicht. In der Neuland- und Biohaltung ist bereits ein Verzicht auf betäubungslose Ferkelaufzucht Standard.
  8.  Der Tierschutzplan des Ministeriums kritisiert zu Recht die strohlose Haltung auf Vollspaltenböden, die hohe Besatzdichte, das schlechte Stallklima und das Schwanzspitzenkürzen als großes Tierschutzproblem.
    Warum konkrete Änderungen und Tierschutzleitlinien für die Bullenhaltung und Förderprogramme für tiergerechte Haltung allerdings erst 2018 nach der übernächsten Landtagswahl umgesetzt werden sollen, erschließt sich nicht und wirkt wie eine Verschiebung des Ministeriumshandelns auf den St. Nimmerleinstag. Eine Initiative Niedersachsens zur Änderung der Tierschutzregeln sollte umgehend erfolgen. Um artgerechte Weidehaltung von Kühen und Rindern zu fördern sind Förderprogramme auch auf Landesebene entsprechend umzustellen.
  9. Seit dem 1. Juli 2009 ist eine neue Vorschrift in Kraft, nach der alle Fohlen EU-weit grundsätzlich mit einem Transponderchip gekennzeichnet werden. Dieser unter die Haut implantierbare Chip in Reiskorngröße ist nach Ansicht der Mehrheit der Bundesländer für die Tiere wesentlich unschädlicher als die Brandkennzeichnung. Trotzdem wollen CDU/FDP im Bundestag an den schweren Brandverletzungen von Fohlen mit glühendem Eisen zu reinen Prestigezwecken festhalten. Dabei bereitet diese Methode den Tieren erhebliche Schmerzen und Leiden, die nicht erforderlich sind. Die Landesregierung im Pferdeland Niedersachsen ist daher aufgefordert sich für ein Verbot dieser grausamen und überflüssigen Statussymbol-Methode einzusetzen.
  1. Verbraucherinnen und Verbraucher können sich nur dann für mehr Tierschutz bei Produkten einsetzen, wenn sie die unterschiedlichen Haltungs- und Produktionsmethoden positiv wie negativ deutlich erkennen können. Durch die von Renate Künast (GRÜNE) eingeführte Pflichtkennzeichnung von Eiern nach der Haltungsform (Käfig-, Boden-, Freiland- und Ökohaltung) haben wir einen massiven Umstieg der VerbraucherInnen  weg von den Käfigeiern (heute unter 20 Prozent der gekennzeichneten Eier) erlebt. Bei  verarbeiteten Eiprodukten in Nudeln, Kuchen oder Majonäse können weder Unternehmen noch VerbraucherInnen die Haltungsform der Tiere und die damit verbundenen Vor- und Nachteile erkennen. Hier werden ohne Wissen der VerbraucherInnen, überwiegend Käfigeier verwendet und alternative Produktionsformen haben kaum Chancen. Daher ist eine umfassende Produktkennzeichnung aller tierischen Produkte nach ihren Herstellungsmethoden, Haltungsbedingungen, Medikamenteneinsatz, Amputationen und verfügbarer Fläche pro Tier  überfällig und ein wichtiger Beitrag zu echtem Verbraucherschutz. Denn nur wenn man weiß, wie die Tiere gehalten werden, haben die Verbraucher die Wahl und tiergerechte Produktionsmethoden über den gesetzlichen Standard hinaus  können sich durchsetzen.
    Irreführende Werbung mit freilaufenden Hühnern und Kühen auf Grünen Wiesen ist bei Produkten aus der ganzjährigen Massentierhaltung im Stall zu verbieten. Ebenso Kühe mit Hörnern oder Schweine mit Ringelschwänzen, wenn genau diese Körperteile in der entsprechenden Haltungsform entfernt worden sind.
    Ein leicht erkennbares niedersächsisches Tierschutzsiegel würde tiergerecht erzeugten Produkten aus Niedersachsen einen besseren Marktvorteil verschaffen.

(Fraktionsvorsitzender)

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