Anne Kura: Erwiderung zur Regierungserklärung zum Thema Migration „Humanität und Ordnung“
TOP 3: Regierungserklärung zum Thema Migration „Humanität und Ordnung“ - Erwiderung
- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleg*innen,
der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht, dass diese Koalition sich auch in der Migrationspolitik von zwei Prinzipien leiten lässt: Menschlichkeit und Vernunft. Ich möchte mich ausdrücklich bei Stephan Weil für seinen Einsatz in den letzten Monaten bedanken, in denen er immer wieder die Interessen der Kommunen gegenüber dem Bund energisch vertreten hat – und insbesondere auch dafür, dass es gelungen ist, unter widrigen Umständen eine Einigung zu erzielen.
Die Debatte darum, wie wir Menschlichkeit und Vernunft umsetzen, müssen wir sachlich führen. Umso komplexer eine Situation ist, umso wichtiger ist ein realistischer Blick – und zwar auf das ganze Bild. Deshalb vorab:
- Einwanderung ist in Niedersachsen eine Erfolgsgeschichte. Seit der Gründung unseres Landes haben Migrant*innen unser Land erfolgreicher, lebenswerter und reicher gemacht. Vieles in unserem Land funktioniert nur durch den Beitrag von Menschen, die eingewandert sind.
- Wir stehen uneingeschränkt zum Recht auf Asyl im Grundgesetz und zur Genfer Flüchtlingskonvention und werden unserer humanitären Verantwortung gerecht.
Wer auf die Zahlen der Asylbewerber*innen in diesem Jahr schaut, der sieht: die übergroße Mehrheit kommt aus der Ukraine, Syrien, Afghanistan. Diese Menschen fliehen vor Krieg, Terror und Verfolgung. Jeder Mensch, der bei uns Schutz sucht, hat das Recht auf ein rechtstaatliches Verfahren mit individueller Prüfung.
- Kommunen und die Bürger*innen vor Ort kümmern sich um Aufnahme, Versorgung und Integration Geflüchteter. Mit ihrer Menschlichkeit leisten sie einen großen Beitrag für unser Gemeinwesen und für die Zukunft unseres Landes. Ihnen allen gilt unser Dank – und vor allem unsere Unterstützung.
- Klar ist auch: um Menschlichkeit umzusetzen, müssen die Kapazitäten ausreichen – und hier stoßen viele Kommunen derzeit an Grenzen.
Alle Vorschläge müssen wir deshalb an den Kriterien von Menschlichkeit und Vernunft messen – und daran, ob sie die Kommunen spürbar entlasten. Vernünftig sind Maßnahmen, die wirken, die Kommunen und Geflüchteten gerecht werden. Nicht solche, die wuchtig klingen aber nicht helfen.
Es ist gut, dass in unserem Land Kompromisse auch bei komplexen Themen möglich sind. Kompromisse sind das Wesen der Demokratie – und ein Beleg für die Handlungsfähigkeit der staatlichen Ebenen und den Willen zur Zusammenarbeit.
Einige Vereinbarungen der Bund-Länder Gespräche sind in diesem Sinne wichtige Schritte in die richtige Richtung. Wie das bei Kompromissen so ist, sehen wir Teile kritisch.
Was entscheidend ist: Wir erwarten, dass jetzt sachlich diskutiert wird, wie die Vorschläge menschlich und vernünftig im Einklang mit der Flüchtlingskonvention umgesetzt werden können – und nicht direkt im nächsten Atemzug weitere Verschärfungen gefordert werden. Selbstverständlich muss sich die Umsetzung innerhalb des vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Rahmens bewegen.
Kurzfristig helfen den Kommunen vor allem verlässlich mehr Geld, Planungssicherheit und schnellere, einfachere Verfahren.
Die Kommunen brauchen eine verlässliche und auskömmliche Unterstützung bei der Finanzierung der Aufnahme, Versorgung und Integration, inklusive der Vorhaltekosten. Es ist ein wichtiger Schritt, dass der Bund hier jetzt mehr leistet und dass es den Einstieg in ein atmendes System gibt. Ich danke unserem Ministerpräsidenten Stephan Weil, dass er sich erfolgreich für die Kommunen stark gemacht hat.
Vernünftig und längst überfällig ist auch, Verfahren zu vereinfachen und zu digitalisieren, um zum Beispiel den Behörden vor Ort die Arbeit zu erleichtern. Das bringt echte Beschleunigungen und Entlastungen. Es ist wichtig, dass bei der Prüfung von Plänen zu einer Bezahlkarte darauf geachtet wird, dass hier keine zusätzliche Bürokratie geschaffen wird. Aus gutem Grund nehmen die Kommunen die Möglichkeit, auf Sachleistungen umzustellen, nicht wahr. Wie man den bürokratischen Aufwand verringern kann, erprobt Oberbürgermeister Belit Onay hier in der Landeshauptstadt mit der Socialcard. Das ist vernünftig.
Es ist dagegen nicht vernünftig, dass Menschen, die hier leben nicht arbeiten dürfen, obwohl sie arbeiten wollen und wir ihre Arbeit dringend gebrauchen können.
Es ist deshalb gut, dass die Bundesregierung neben dem Spurwechsel und dem Chancenaufenthaltsrecht jetzt Vereinfachungen zur Arbeitsaufnahme auf den Weg bringt. Da wäre noch mehr möglich: Mit einer Stichtagsregelung könnten hier ganz viele Menschen aus Sozialleistungen in sozialversicherungspflichtige Tätigkeit kommen. Das ist vernünftig und zielführend, im Gegenteil zur Kürzung von Sozialleistungen – denn dadurch würde die Zahl der Geflüchteten nicht sinken, aber es würden soziale Probleme verschärft.
Eine Integrationsoffensive hingegen wird eine Win-Win-Win-Situation: für die Geflüchteten, für die Behörden und für die Wirtschaft.
Schon heute behindert der Arbeitskräftemangel die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land und gefährdet unseren Wohlstand.
Von dem, was wir heute in Integration, Sprachförderung, Aus- und Weiterbildung sowie in die Erleichterung der Anerkennung von Abschlüssen investieren, werden schon in naher Zukunft alle im Land profitieren. Und: Arbeit leistet einen erheblichen Beitrag zu gelingender Integration.
Anrede,
das Asylrecht ist nicht für die Integration in den Arbeitsmarkt gedacht. In Anbetracht des akuten Arbeitskräftemangels und der zugleich hohen Zahlen an Geflüchteten werben wir auch hier für Pragmatismus und Vernunft nach dem einfachen Grundsatz: Arbeiten lassen, wer da ist.
Anrede,
für eine bessere Steuerung von Migration brauchen wir eine Reform des europäischen Asylsystems.
Auch hier gilt: Die Menschenrechtskonvention und die Flüchtlingskonvention müssen gewahrt bleiben. Bei Vorstößen zur Durchführung von Asylverfahren außerhalb der EU ist das schwer vorstellbar, es ist deshalb gut, dass es aus Niedersachsen dazu eine entsprechende Protokollerklärung gibt.
Denn es ist keine zivilisatorische Errungenschaft, dass Menschen ihr Leben auf Booten im Mittelmeer riskieren müssen, um die Chance zu haben, Asyl in Europa zu beantragen. Wir brauchen humanitäre Visa, Kontingente, Resettlementprogramme sowie faire Migrationsabkommen mit Herkunftsstaaten – auch über die Rücknahme von abgelehnten Asylbewerber*innen. Das wären humane und wirksame Maßnahmen für mehr Ordnung und gegen das Sterben im Mittelmeer.
Ich möchte deutlich sagen: Als Küstenland und in der Tradition der christlichen Seefahrt wissen wir: Seenotrettung ist Pflicht. Wer zu ertrinken droht, der muss gerettet werden. Es ist deshalb selbstverständlich richtig, die zivile Seenotrettung zu unterstützen, statt ihr mit Zynismus zu begegnen und sie zu kriminalisieren.
Selbstverständlich ist auch, dass wenn Asylverfahren als rechtsstaatliche Verfahren zu dem Ergebnis kommen, dass Menschen kein Recht auf Asyl haben und keine anderen Schutzgründe bestehen, sie das Land wieder verlassen müssen. Doch auch bei Ausreisen und Rückführungen gilt der Rechtsstaat.
Wer von 300.000 abgelehnten Asylbewerbern spricht, die abgeschoben werden müssten, der verschweigt, dass es (menschen-)rechtliche sprich rechtsstaatliche Gründe sind, die in vielen Fällen gegen eine Abschiebung sprechen. Diese zu ignorieren ist nicht redlich, vor allem ist es nicht rechtsstaatlich, liebe Kolleg*innen und Kollegen.
In Anbetracht aufgeheizter Debatten in unserem Land, machen sich viele Menschen Sorgen. Sie sorgen sich darum, dass Solidarität und Menschlichkeit auf der Strecke bleiben. Und sich stattdessen Ressentiments und Rassismus in unserer Gesellschaft Bahn brechen. Diese Sorgen, nehmen wir ernst. Aber: Wer dem Ministerpräsidenten zugehört hat, der weiß: Es bleibt dabei: für die Landesregierung ist Menschlichkeit oberstes Gebot.
Anrede,
mit den deutlich erhöhten Finanzzusagen des Bundes haben wir bessere Voraussetzungen, die Situation zu meistern: Geklärte Finanzierung. Eine engagierte Zivilgesellschaft. Erfahrung mit erfolgreicher Integration. Jede Menge offener Stellen. Jetzt geht es um die Umsetzung. So wie es das überparteiliche Bündnis „Niedersachsen packt an“ seit 2015 erfolgreich betreibt.
Fügen wir der Erfolgsgeschichte unseres Landes ein weiteres Kapitel hinzu: Packen wir weiter an. Mit Herz, mit Menschlichkeit und mit Vernunft.