Anja Piel: Rede zur Bekämpfung der sozialen Spaltung (Aktuelle Stunde GRÜNE)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

es wird kälter in diesem Land – insbesondere für diejenigen, die wenig haben.

1,2 Mio. Menschen in Niedersachsen sind arm – das ist jeder 6. Mensch. Viele von ihnen sind trotz Arbeit arm. Jede*r vierte Beschäftigte in Niedersachsen arbeitet im Niedriglohnsektor. Diese Menschen bekommen für ihre Arbeit gerade mal den Mindestlohn von 9,19 Euro oder etwas mehr. Für viele reicht das zum Leben nicht aus. Sie müssen ihr Einkommen mit Sozialleistungen aufstocken.

Die Einführung des Mindestlohns 2014 war zweifellos ein Meilenstein. Fünf Jahre später aber müssen wir feststellen: von einem Mindestlohn, der wirksam vor Armut schützt, sind wir noch mindestens 3 Euro entfernt.

Anrede,

Armut ist mehr als Statistik. Dahinter stehen Menschen: da sind zum Beispiel die vielen Kinder und Jugendlichen, die sich ausgeschlossen fühlen, weil das Geld für so viele Dinge nicht reicht, die für andere selbstverständlich sind. Oder die alleinerziehende Mutter, der Mitte des Monats schon das Geld ausgeht. Oder die ältere Dame, die lieber eine Jacke anzieht, anstatt die Heizung aufzudrehen, weil sonst das Geld für die Miete nicht reicht. Wir sehen: Armut ist oft weiblich.

Anrede,

ein anderes Wort für Armut ist Hartz IV. Der Begriff stigmatisiert nicht nur die Menschen, die auf soziale Absicherung angewiesen sind. Er steht auch für Gängelung durch den Staat und Auswegslosigkeit aus dieser Situation. Hartz IV ist ein Schreckgespenst geworden, das bis weit in die Mittelschicht hinein soziale Abstiegsängste schürt.

Dabei sollte der Staat doch mit dem Regelsatz das Existenzminimum garantieren und zumindest ein Mindestmaß an Sicherheit schaffen. Die Menschen sollten wissen, dass sie zumindest eine Wohnung, Geld für etwas zu essen und das Nötigste an Kleidung haben. Dass es nicht schlimmer werden kann, sondern für das Nötigste gesorgt ist.

Bis vor kurzem hat der Staat jedoch genau das Gegenteil getan. Obwohl man ein Minimum eigentlich nicht unterschreiten kann, war es möglich, die Regelsätze zu kürzen oder ganz zu streichen.

Anrede,

das Existenzminimum heißt nicht ohne Grund so. Es ist nur folgerichtig, dass das Bundesverfassungsgericht Sanktionen über 30 Prozent für verfassungswidrig erklärt hat. Deshalb fordern wir, dass auch die Sanktionen für junge Menschen auf den Prüfstand kommen. Das können wir auch von Niedersachsen aus tun.

Auch wenn die Bundesagentur für Arbeit bereits alle Sanktionen über 30 Prozent vorläufig gestoppt hat: Wir brauchen hier schnell Rechtsklarheit. Und wir sollten das Urteil zum Anlass nehmen, über sozialen Sicherung neu nachzudenken. Eine grundlegende Reform der sozialen Sicherung ist unumgänglich.

Anrede,

Zentral für ein Minimum an Sicherheit ist das Recht auf eine Wohnung. Ohne ein Dach über dem Kopf befinden sich die Menschen oft im freien Fall. Die, die ihre Wohnung verlieren, leben fast immer schon vorher am Existenzminimum. Und sie haben in der Regel keine Chance, eine neue Wohnung zu finden. Denn bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware.  Auch das wissen wir seit Jahren. Und die Situation wird derzeit nicht besser. Es gibt mehr und mehr Menschen, die keine Wohnung haben.

Die Landesarmutskonferenz hat vor kurzem für Niedersachsen Alarm geschlagen. Es fehlen 100.000 Sozialwohnungen. Die Landesregierung will aber nur 40.000 neue Wohnungen schaffen. Und das bis 2030! Wie erklären Sie das den Menschen, die Angst haben, morgen auf der Straße zu sitzen? Das können wir doch nicht hinnehmen, meine Damen und Herren!

Anrede,

aus unserer Sicht sind jetzt zwei Dinge entscheidend:

Erstens: Wir müssen Wohnungsverluste verhindern. In der HAZ wurde am Wochenende der Fall einer 81-jährigen Dame geschildert, die durch eine Verkettung unglücklicher Umstände ihre Wohnung verloren hat und seither in einem Auto lebt. Der Fall macht fassungslos. Aber er zeigt auch, dass wir kompetente Anlaufstellen brauchen, die den Menschen schnell und wirksam helfen müssen.

Zweitens: Eine Landeswohnungsbaugesellschaft, die das tut, was der Markt und alle Fördermaßnahmen bisher nicht in ausreichendem Maße vermocht haben: den Menschen bezahlbaren Wohnraum in Niedersachsen zu verschaffen.

Im Übrigen brauchen wir gerade für Menschen mit wenig Einkommen nicht nur bezahlbare Mieten, sondern auch bezahlbare Nebenkosten. Deshalb liegt unser Vorschlag für ein Erneuerbare Wärme-Gesetz dem Landtag bereits vor.

Anrede,

die soziale Spaltung zu bekämpfen ist nicht nur ein Thema für den Bund. Es geht uns alle an.

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