Anja Piel: Rede zur Aktuelle Stunde „Es ist dasselbe Böse – Wehrhafte Demokratie verteidigen“

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

wir haben uns geschworen, es nie wieder so weit kommen zu lassen:

Nie wieder Antisemitismus, nie wieder Menschenfeindlichkeit, nie wieder Ausgrenzung, nie wieder Hass und Gewalt gegenüber unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Nie wieder Faschismus. 

Und so verstehen wir uns in den demokratischen Fraktionen hier im besten Sinne als Antifaschistinnen und Antifaschisten.

Lieber Professor Shaul Ladany, haben Sie vielen Dank dafür, dass Sie Ihre schmerzhaftesten Erinnerungen mit uns geteilt haben, gestern und heute. Und auch, wenn sie für uns im Einzelnen unfassbar bleiben, so ist uns doch klar:

Die Shoa mit der systematischen und industriellen Vernichtung vieler Millionen von Menschenleben ist ohne Zweifel beispiellos in der Geschichte.

Es ist ein Verbrechen, das für mich, für uns alle hier seinen Schrecken über das Ausmaß menschlicher Grausamkeit auch über die Jahrzehnte hinweg nicht verliert, aus der Perspektive eines verlassenen kleinen Jungen von Ihnen noch einmal in die Gegenwart geholt.

Doch Revisionismus, die Abwehr von Schuld und struktureller Antisemitismus sind leider nach wie vor Bestandteil dieser Gesellschaft. Warnungen von Betroffenen und Wissenschaftler*innen, aber auch von Politikerinnen und Politikern wurden jahrelang in den Wind geschlagen. Antisemitismus lange als ein Problem der Vergangenheit betrachet.

Neuerdings sind wir klüger. Und spätestens seit dem Attentat in Halle ist offenbar: Ja - wir haben ein massives Problem mit Antisemitismus in Deutschland. Wir haben ein massives Problem mit Rassismus, der nicht bei Parolen und Hetze Halt macht. Und wir müssen endlich unsere Verantwortung wahrnehmen und alles in unserer Macht Stehende tun, um von Diskriminierung betroffene und akut bedrohte Menschen besser zu schützen.

In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?

Ich will keine Gesellschaft, in der Nachbarn, in der Freunde von uns wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Religion oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden – so eine Gesellschaft ist nämlich nicht nur instabil, sondern für manche von uns lebensgefährlich.

Denn auch heute – über siebzig Jahre nach dem Holocaust - werden Menschen wieder aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Religion ausgegrenzt und zum Sündenbock gemacht. Das findet auch in Parlamenten – übrigens auch in diesem Parlament statt. Dem müssen wir als Demokratinnen und Demokraten uns entschlossen entgegenstellen. 

Wir kämpfen für eine Gesellschaft, die vom Grundsatz der Gleichwertigkeit ausgeht, in der Menschen respektvoll miteinander umgehen, sich gegenseitig helfen und gemeinschaftlich nach Lösungen suchen.

Wir streiten für eine Gesellschaft, in der ein Miteinander stattfinden kann. Und die sicher ist für jede und jeden von uns!

Es mangelt nicht an den geeigneten Instrumenten. Unsere Polizei und Justiz haben Werkzeuge zur Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus. Gleichwohl ist manchmal mehr Argwohn angebracht. Rassismus und Menschenfeindlichkeit müssen als Motivation klar benannt und verurteilt werden. Nachsicht ist hier fehl am Platz.

Ein wirksames Werkzeug ist für uns Prävention. Die müssen wir stärker als bisher vorantreiben. Gute und effiziente Organisationen gegen Antisemitismus und Rassismus dürfen nicht länger jedes Jahr ums finanzielle Überleben kämpfen müssen. Genauso wenig wie mobile Beratungsstellen. Die brauchen verlässliche Rahmenbedingungen! Eine wehrhafte Demokratie muss unterstützt werden!

Der Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus bedeutet, dass jede und jeder von uns täglich in die Verantwortung geht. Das heißt: Wir ergreifen Partei, wenn Menschen beleidigt und diskriminiert werden. Antisemitismus und Diskriminierung einzelner ist ein Angriff auf uns alle. Dagegen setzen wir uns gemeinsam zur Wehr!

Polizei, Justiz und eine Zivilgesellschaft mit Zivilcourage; WIR sind die Akteurinnen und Akteure einer wehrhaften Demokratie. Nur gemeinsam, nur im Schulterschluss können wir mit aller Unnachgiebigkeit Antisemitismus und Rassismus bekämpfen.  

Ich bin unserem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier für seine klaren Worte sehr dankbar: Es ist IMMER dasselbe Böse. Und JEDE Generation ist neu in der Pflicht, dagegen zu kämpfen. 

Deswegen gilt auch 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und Bergen-Belsen:

Nie wieder Rassismus, nie wieder Antisemitismus, nie wieder Faschismus.

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