Anja Piel: Rede zum Einwanderungsgesetz (Aktuelle Stunde GRÜNE)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

Migrationspolitik entzweit offenbar die Großen Koalitionen im Bund und in Niedersachsen.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther fordert, abgelehnten, aber gut integrierten Asylsuchenden einen sog. Spurwechsel und damit die Möglichkeit eines Aufenthaltstitels über das Einwanderungsrecht zu ermöglichen. Sehr vernünftig!    

Die Unionsspitze auf Bundesebene aber lehnt das mit der gewohnten Vehemenz ab.

Die Bundes-SPD hingegen begrüßt den Spurwechsel ausdrücklich.

Das gleiche Bild zeichnet sich hier bei uns in Niedersachsen ab: Ministerpräsident Weil wirbt für mehr Pragmatismus und gesunden Menschenverstand. Völlig zu Recht! Wirtschaftsminister Althusmann dagegen, dessen ureigenstes Interesse die Fachkräftesicherung doch eigentlich sein müsste, macht sich die Position der Bundes-CDU zu Eigen und verweist auf die Gefahren des Spurwechsels. Wie enttäuschend!

Anrede,

Der Spurwechsel ist keine neue Idee und auch über ein Einwanderungsgesetz reden wir seit Jahrzehnten. Aus Niedersachsen haben wir haben in der rot-grünen Regierungszeit über den Bundesrat ein Einwanderungsgesetz von der Bundesregierung eingefordert (2016). Unser Ziel war es damals wie heute, Menschen legale Zuwanderungswege nach Deutschland zu ermöglichen und gleichzeitig dem Fachkräftemangel zu begegnen.

Asylsuchende, die hier eine Ausbildung absolvieren oder arbeiten, haben heute die Möglichkeit, über die sog. 3+2-Regelung eine Ausbildungsduldung zu erhalten.

Sie können damit ihre Ausbildung beenden und anschließend bis zu zwei Jahren hier arbeiten. Sollte ihr Asylantrag zwischenzeitlich abgelehnt werden, droht ihnen im Anschluss jedoch die Abschiebung. Was, wie man sich vorstellen kann, auch keine schöne Situation während der Ausbildung ist. Immer wieder werden folglich auch hier in Niedersachsen Menschen abgeschoben, die einen sicheren Arbeitsplatz haben, die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, die Kolleginnen und Kollegen haben, mit denen sie nach der Arbeit noch gemeinsam etwas unternehmen, die Mitglied im Sportverein sind, die hervorragend deutsch sprechen und deren Kinder hier zur Schule gehen.
Menschen, die von ihren Arbeitgebern gebraucht und geschätzt werden.

Nach der Vorstellung von CDU und CSU könnten diese Menschen erst nach der Abschiebung erneut eine Einreisegenehmigung über das geplante Zuwanderungsgesetz beantragen.

Dieses Vorgehen, meine Damen und Herren, ist an Zynismus und Bürokratie kaum zu überbieten – und hat mit christlichem Umgang wenig zu tun.

Sehr geehrter Herr Minister Althusmann,

das Thema Fachkräftesicherung fällt doch in Ihren Zuständigkeitsbereich als Wirtschaftsminister.

Wie erklären Sie denn der kleinen Tischlerei, dass die junge Gesellin, die sie gerade fertig ausgebildet hat, abgeschoben wird und sie zusehen muss, wie sie die vollen Auftragsbücher nun mit einer Mitarbeiterin weniger abarbeitet?

Wie erklären Sie den alten Menschen in einem Pflegheim, dass ihr Bezugspfleger, der sie seit Jahren betreut, abgeschoben wird und stattdessen ab morgen jemand von der Zeitarbeitsfirma kommt?

Und wie erklären Sie ihren eigenen Leuten, dass sie ideologische Parolen sachlichen Lösungen vorziehen? Dass Sie sich immer wieder hinter einen CSU-Heimatminister stellen und Niedersachsen damit in Sippenhaft für den bayerischen Landtagswahlkampf nehmen?

Ganz ehrlich: Da wundert es mich nicht, dass langjährige Parteimitglieder und sehr geschätzte Kommunalpolitiker aus der CDU austreten.

Anrede,

Es gab hier in Niedersachsen mal ein Bündnis namens „Niedersachsen packt an“. Ein Bündnis aus Politik und Zivilgesellschaft, das die Herausforderungen der Zuwanderung gestalten wollte und in dem alle Akteure ihre Aufgabe hatten. Heute muss ich jedoch mit Bedauern feststellen, dass eine große Koalition im Land ihrer Aufgabe nicht gerecht wird, wenn sie den Fokus der Debatte zunehmend von Chancen zu Gefahren und von Ankommen zu Rückführung verschiebt. Wenn sie Sprachkurse streicht, wie Minister Thümler es plant. Oder wenn sie die Mittel für die Migrationsberatung kürzt. Und wenn sie dadurch Integration erschwert.

Ich appelliere daher an Sie, lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD,

lassen Sie sich das Einwanderungsgesetz nicht wieder von der Union abkaufen!

Bestehen Sie auf den Spurwechsel und ein Punktesystem, wie es andere Einwanderungsländer seit Jahren erfolgreich praktizieren! Unsere Unterstützung für eine moderne Migrationspolitik haben Sie.

Und überlassen Sie das Thema nicht der Union.

Ihre Parteichefin Andrea Nahles hat bereits angekündigt, den Spurwechsel in der Koalition durchzusetzen. Das wäre nicht nur ein Sieg der Vernunft, sondern auch ein Akt der Humanität. Für beides ist es höchste Zeit.

Vielen Dank.

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