Anja Piel: Erwiderung auf die Regierungserklärung zu einem Jahr Groko in Niedersachsen

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

es gibt so Tage, da geht alles schief. Da wachen Sie schweißgebadet auf an irgendeinem Montag im November, und plötzlich fällt Ihnen ein: Oh meine Güte, morgen ist Hochzeitstag!

Dass die Beziehung sich schon jetzt eher wie eine Vernunftehe anfühlt, spielt jetzt keine Rolle. Sie wetzen los, kaufen Geschenke und Blumen, haben alles vorbereitet, die Inszenierung ist passabel.

Alles noch mal gut gegangen, denken Sie.

Und dann stehen Sie da widerwillig mit den Blumen, und dann lacht der Partner und sagt: „Schatz, du hast dich im Datum geirrt! Das verflixte erste Jahr haben wir doch erst nächste Woche rum.“

Herr Ministerpräsident,

wozu jetzt so kurzfristig, diese Regierungserklärung?

Was ist Ihnen gestern Morgen eingefallen, dass Sie uns über Nacht eine solch zweifelhafte Freude machen?

Ich rede ja gern über die Versäumnisse der Groko des letzten Jahres. Allein, ich verstehe nicht, warum Sie das ausgerechnet heute tun wollen.

Denn zumindest das haben Sie ja auch in Ihrer Rede schon eingeräumt – nicht einmal das Datum passt! Die Koalition hat erst nächste Woche ihr Einjähriges.

Anrede,

aber, ja doch, das Verfahren passt zum Regierungsstil.

Man weiß bei Ihnen selten, warum Sie was machen.

Steckt hinter den Entscheidungen irgendein Knatsch? Irgendeine Panik? Ein uneingelöstes Versprechen oder eine verkorkste Strategie, die dann nach hinten losgeht?

Ganz im Ernst – die Ankündigung dieser Regierungserklärung vom einen Tag auf den anderen steht auch sinnbildlich für ihren Umgang mit dem Parlament. Wahrlich kein guter Stil.

Herr Ministerpräsident,

Sie verpassen ja kaum eine Gelegenheit, die Koalition in Niedersachsen als die „gute Große“ neben der „schlechten Großen“ im Bund in Szene zu setzen. Aber mal ehrlich, was machen Sie denn eigentlich besser?

Erstes Beispiel Kita

Nehmen wir mal das Beispiel die frühkindliche Bildung.

Jahrelang haben Sie Verdi, den Erzieherinnen und Erziehern und auch den Familien erzählt, für Qualitätsverbesserungen, die dritte Kraft, da braucht es verbindliche Zusagen aus Berlin.

Mehr Zeit für individuelle Förderung, oder einfach mal dafür, einen Elternabend anständig vorzubereiten? Gab es nie.

Und nun kommt endlich das Geld des Bundes, und was machen Sie damit?

Tja. Sie hatten es ja schon verplant. Auf Ihren Wahlplakaten!

Sie mussten auf Biegen und Brechen die Beitragsfreiheit durchdrücken.

Für Qualitätsverbesserungen sind die Leute damals auf die Straße gegangen. Aber dafür ist nun kein Geld mehr da.

Wen schert es, dass die Kommunen ihre liebe Not mit der Umsetzung haben? Wen schert es, dass überall die zusätzlichen Kita-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlen?

Sie offenbar nicht!

Es war eine Fehlentscheidung, jetzt nicht ordentlich in die Qualität unserer Kitas zu investieren. Und was sie auf lange Sicht verursachen wird, das ist noch gar nicht abzusehen.

Aber das kümmert Sie halt auch offensichtlich nicht. Sie haben ja den Spruch auf Ihrem Plakat umgesetzt. Über die handwerklichen Fehler stolpern die anderen

Zweites Beispiel Polizeigesetz

Wenn die Genossinnen und Genossen in Niedersachsen mal wieder mit geschwellter Brust behaupten, hier stünde die Sozialdemokratie noch in voller Blüte, dann kann ich nur sagen: Es geht hier nicht anders zu als im Bund.

Wenn es drauf ankommt, lässt sich die SPD von Teilen der CDU über den Tisch ziehen und wird so schlapp wie eine Nelke, die man vergessen hat zu gießen.

Man sieht’s doch am Polizeigesetz.

Herr Pistorius, dass Sie sich neuerdings an der Innenpolitik der Großen Koalition im Bund orientieren – ist das echt Ihr ernst? Der Innenminister dort ist der Schlimmste, den wir seit Langem hatten! Es ist Horst Seehofer –(noch!) und ist von der CSU? IHR Vorbild?

Was reitet eigentlich einen einstmals besonnenen Innenminister Pistorius, völlig unverhältnismäßige und zudem verfassungswidrige Mittel durchzuwinken?

Bis zu 74 Tage Präventivhaft, Fußfesseln und Telefonüberwachung, allein aufgrund eines Verdachtes?

Dieses Gesetz verhöhnt alle, die daran glauben, dass das Recht dazu da ist, die Freiheit des Einzelnen zu wahren. Sie sind doch SPD-Mitglied!

Die SPD stand 150 stolze Jahre für die Verteidigung von Bürgerrechten und Rechtsstaat. Jetzt lassen Sie sich ihr Gesetz von Schattenminister Schünemann in die Feder diktieren.

Haben Sie gedacht, dass das keiner merkt? 15.000 Menschen sind gegen dieses Polizeigesetz auf die Straße gegangen. Und am 8. Dezember werden erneute Tausende hier in Hannover gegen dieses Gesetz demonstrieren.

Juristen zweifeln, Journalisten empören sich – wie können Sie da behaupten, dass Sie es besser machen als im Bund?!

Drittes Beispiel Dieselskandal

Was tun sie eigentlich wenn es um die Folgen des Dieselskandals geht?

Man muss sich mal vorstellen, welche Frechheiten wir ertragen mussten:

Autokonzerne betrügen bei Abgasmessungen. Sie fliegen auf: Hundertausende bereits verkaufter Wagen entsprechen nicht den Angaben.

Plötzlich ist klar, warum die Luft in den Städten so schlecht ist. Was tun Sie in so einem Fall? Klare Sache: Die Konzerne nehmen den schlechten Wagen zurück, und verkaufen den geprellten Verbraucherinnen und Verbrauchern einen jetzt aber wirklich einwandfreien Neuwagen. Wenn sich die Verbraucher darauf nicht einlassen, dann drohen Fahrverbote.

Die Konsequenz:

Die Konzerne verdienen doppelt. Die Verbraucher zahlen doppelt.

Und das alles unter dem Segen der Großen Koalitionen in Bund und Land. Das ist zum Schämen!

Das einzige Bundesland, in dem zwei Spitzenpolitiker im Aufsichtsrat eines Autobauers sitzen, was wäre das für eine Chance gewesen, mit wegweisenden Forderungen das Vertrauen der Menschen in die Unternehmen UND in die Politik wieder herzustellen? Verspielt!

Ja, bisher gibt es in Niedersachsen noch keine Fahrverbote. Aber jubeln Sie nicht zu früh. Nach Hamburg, Stuttgart, Berlin, Köln und Bonn wird es früher oder später auch hier so sein: Dieselfahrzeuge werden aus den Innenstädten verbannt.

Wir haben es schon oft gesagt: Es ist nicht Ihre Aufgabe, gegen Fahrverbote zu sein.

Es wäre Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie nicht nötig sind.

Und da versagen Sie seit einem Jahr gemeinsam mit ihrer Schwesterkoalition im Bund mit einer ehrfurchterregenden Konsequenz.

Hardwarenachrüstungen für dreckige Diesel auf Kosten der Konzerne sind möglich! Und vor allem: Sie sind gerecht!

Es muss sich nur jemand finden, der das auch fordert, und der den Mumm hat, das durchzusetzen. Sie haben diesen Mumm nicht.

Herr Ministerpräsident Weil, Herr Althusmann,

Die Stärke einer Koalition entsteht ganz sicher nicht durch gemeinsames Aussitzen von Problemen. Für die Öffentlichkeit, für die ganz normalen Menschen, und für uns, ergibt sich aber ein Bild, das ist nicht viel besser als das im Bund.

Große gemeinsame Pläne? Fehlanzeige! Halbherziger Murks, und am Ende verkünden Sie hinter verschlossenen Türen errungene Kompromisse.

Wir haben es ja beim Feiertag gesehen, den sie eben in ihrer Regierungserklärung hervorgehoben haben.

Eine wirklich ergebnisoffene Debatte darüber haben Sie nicht zugelassen. Sie haben diesen Feiertag gegen alle Widerstände und Bedenken durchgedrückt – quasi mit der Brechstange.

Wir hoffen nur, dass Ihnen das nicht irgendwann auf die Füße fällt.

Absurd an dieser Regierungserklärung ist auch ihr Titel. Stabilität und Fortschritt.

Klingt ein bisschen wie der angestaubte Slogan von Versicherungsvertretern.

Auf Stabilität können Sie sich in Ihrer Koalition ja verlassen, da brauchen Sie nicht mal was für zu tun. Sie haben eine satte Mehrheit im Parlament und dank sprudelnder Steuereinnahmen und niedriger Zinsen bisher auch jede Menge Geld zur Verfügung. Und da Sie ohnehin keine großen Projekte gemeinsam angehen wollen, wird das Geld vermutlich auch reichen.

Mag sein, dass aus Berlin die schrägeren Töne kommen. Sie scheitern nicht so krachend, wie Ihre Berliner Kollegen. Kann sein, dass diese Groko tatsächlich länger hält.

Ob man dem Land das wünschen soll, ist fraglich, denn: Mit Qualität, gelebter Demokratie oder tatsächlichem Fortschritt hat das alles wenig zu tun.

Mir fällt zu einem Jahr Niedersachsen-Groko vielmehr ein: Stillstand und Mutlosigkeit.

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