Änderungsantrag: Verantwortung für Minderheiten übernehmen - in Niedersachsen und Europa

Verantwortlichkeiten für Minderheiten innerhalb der EU-Kommission verbindlich regeln

Antrag Verantwortlichkeiten für Minderheiten innerhalb der EU-Kommission verbindlich regeln - Drs. 18/3669

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung - Drs. 18/4603

Der Landtag wolle den Antrag in folgender Fassung beschließen:

Entschließung

Verantwortung für Minderheiten übernehmen - in Niedersachsen und Europa

Der Landtag begrüßt den Erfolg der europäischen Bürgerinitiative „Minority Safepack“, die den Minderheitenschutz und die Minderheitenrechte auf EU-Ebene zum Inhalt und Ziel hat.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • im Landeshaushalt die Gelder für Sinti und Roma wieder auf das Niveau des Haushalts von 2018 aufzustocken und insbesondere deren Teilhabe an Bildung in Kindertagesstätten und Schulen zu fördern
  • Strategien gegen Antiziganismus zu entwickeln und diese Entwicklung zu unterstützen
  • mit den Landesverbänden der Sinti und Roma in vertragliche Verhandlungen zur Sicherung ihrer Minderheitenrechte, wie in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg, einzutreten
  • sich auf Bundesebene und gegenüber der EU dafür einzusetzen, dass bei der Europäischen Kommission verbindliche Verantwortlichkeiten für Minderheitenangelegenheiten geschaffen werden und alle Fragen, die den Schutz und die Rechte der Minderheiten in der EU betreffen, innerhalb des Zuständigkeitsbereichs einer EU-Kommissarin bzw. eines EU-Kommissars inhaltlich und organisatorisch gebündelt werden. Die Kommissarin bzw. der Kommissar soll für die Durchsetzung der im Rahmen der Grundrechtecharta zugesagten Minderheitenrechte und der verabredeten Standards für den Umgang mit Minderheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten sorgen.
  • sich für den Schutz und die Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt auf allen politischen Ebenen einzusetzen
  • Förderprogramme für kleine Sprachgemeinschaften, insbesondere auch das Saterfriesische, Niederdeutsche und Romanes aufzulegen und deren Auflegung auch auf europäischer Ebene zu unterstützen
  • die Einrichtung eines europäischen Zentrums für Sprachenvielfalt zu unterstützen
  • die Aufnahme des Schutzes nationaler Minderheiten und der Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt in die Ziele des EU-Fonds für regionale Entwicklung zu fördern und zu unterstützen
  • in Niedersachsen und Europa die Forschung über den Mehrwert von Minderheiten in unserer Gesellschaft und Europa zu fördern
  • die Gleichheit für staatenlose Minderheiten zu fördern
  • ein übergreifendes europäisches Urheberrechtsgesetz zu fördern, damit Medien und Dienstleistungen in der Muttersprache wahrgenommen werden können
  • die Schaffung der Freiheit der Leistung und Inanspruchnahme audiovisueller Inhalte in den Minderheitenregionen zu unterstützen
  • die bedingungslose Einbeziehung der Minderheiten in regionale und staatliche Förderprogramme zur Erhaltung von Kultur, Medien und Kulturerbe zu fördern.

Begründung

Die europäische Bürgerinitiative „Minority Safepack“ ist auf den Minderheitenschutz und die Minderheitenrechte auf EU-Ebene gerichtet. 1,2 Millionen Menschen haben der Initiative ihre Unterschrift gegeben, das erforderliche Quorum erfüllt und so eine Befassung mit diesem Thema bei der EU-Kommission erwirkt.

Laut Schätzungen existieren in Europa rund 340 autochthone Minderheiten mit mehr als 100 Millionen Menschen. Allein in der Europäischen Union gibt es neben den 23 Amtssprachen über 60 Regional- oder Minderheitensprachen, die von rund 40 Millionen Menschen gesprochen werden. Jede siebte EU-Bürgerin bzw. jeder siebte EU-Bürger ist Teil einer Minderheit oder autochthonen Volksgruppe. In Deutschland dürfen sich Minderheiten auf verfassungsrechtlich verbrieften Gleichheitsgrundsatz und Diskriminierungsverbot verlassen. Auch in Niedersachsen soll Minderheitenpolitik einen besonderen Stellenwert einnehmen. Minderheiten tragen in besonderer Weise zum friedlichen Miteinander unserer Gesellschaft und zur kulturellen und sprachlichen Vielfalt in Niedersachsen bei.

Insbesondere Sinti und Roma werden als Minderheit immer noch und immer wieder ausgegrenzt. In der Schule, am Arbeitsplatz oder bei der Wohnungssuche erleben sie häufig Diskriminierung und Anfeindungen. Umso wichtiger ist es, dass sie Ansprechpartner*innen bekommen, die sie unterstützen. Es müssen tragfähige Strukturen unter Einbeziehung der Verbände aufgebaut werden.

Im Haushalt 2019 wurden Fördergelder, die unter der rot-grünen Koalition im Haushalt 2018 für die Förderung der sozialen Teilhabe von Sinti und Roma bereitgestellt hatte, nicht wiedereingestellt. Mindestens 100.000 EUR fehlen deshalb den Sinti- und Roma-Verbänden. So leiden auch Projekte zur Qualifizierung von Sinti und Roma zu zertifizierten pädagogischen Kräften (Bildungsbegleiter*innen) unter Finanzierungsengpässen.

Im März 2019 hat der Bundestag eine Expertenkommission für Strategien gegen Antiziganismus eingesetzt. Auch Niedersachsen sollte sich an der Entwicklung derartiger Strategien beteiligen.

Die Länder Bayern, Hessen und Baden-Württemberg haben jeweils Staatsverträge mit den Sinti und Roma geschlossen. In Niedersachsen wurde so ein Staatsvertrag in der 17. Wahlperiode parlamentarisch thematisiert. Damals verwies die Landesregierung auf Klärungsbedarf und organisatorische Defizite bei den Landesverbänden. Inzwischen sind vier Jahre vergangen. Es ist Zeit für eine neue Initiative.

Wir wollen die Anliegen der europäischen Bürgerinitiative „Minority Safepack“ unterstützen, die Minderheitenverbände wie die Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) mit ihrer Europäischen Bürgerinitiative verfolgen, und im Hinblick auf den Konstituierungsprozess der EU-Kommission nach der diesjährigen Europawahl über Landes- und Bundesregierung darauf hinwirken, dass es auf EU-Ebene institutionalisierte Verantwortlichkeiten für Minderheitenpolitik gibt.

Minority Safepack hat neun Forderungen aufgestellt, die wir mit diesem Antrag aufgreifen. Sie sind auf die europäische Ebene gerichtet, können aber zum Teil auch auf Landesebene umgesetzt oder zumindest unterstützt werden. So sollte sich Niedersachsen für den Schutz und die Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt auf allen politischen Ebenen einsetzen. Deutschland hat bereits in den 1990er Jahren die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen unterzeichnet, ratifiziert und in Kraft gesetzt. Entsprechend sind die darin formulierten Ziele, Regional- oder Minderheitensprachen als einzigartigen Bestandteil des kulturellen Erbes Europas anzuerkennen, die Zusammengehörigkeit von regionalen Sprachminderheiten nicht durch politische Grenzen zu behindern und die grenzübergreifende Zusammenarbeit von Anhängern einer Sprachgruppe zu stärken, zu verfolgen.

Förderprogramme für kleine Sprachgemeinschaften können auch auf Landesebene aufgelegt werden. Hier kommen insbesondere auch das Saterfriesische, Niederdeutsche und die Oberharzer Mundart in Betracht. Auch die Forschung über den Mehrwert von Minderheiten in unserer Gesellschaft kann in Niedersachsen stattfinden, so wie auch die Gleichheit für staatenlose Minderheiten hier auf Landesebene gefördert werden kann. Hier ist auch auf die Einbeziehung der Minderheiten in Förderprogramme zur Erhaltung von Kultur, Medien und Kulturerbe in Betracht zu ziehen.

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