Änderungsantrag: Keine schmutzigen Deals bei Sustainable-Finance-Regeln - Atomkraft und fossiles Gas von EU-Nachhaltigkeitslabel ausschließen

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/9389

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz - Drs. 18/10686

Der Landtag wolle den Antrag in folgender Fassung beschließen:

Entschließung

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Ende Februar 2022 den endgültigen Vorschlag für die Erweiterung der EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen vorgelegt. Demnach sollen Atomkraft und fossiles Erdgas künftig als nachhaltige Energieformen gelabelt werden - ungeachtet der breiten Kritik, die zuvor u.a. vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, von Umweltverbänden und Wissenschaft geäußert wurde. Auch die ‚Plattform für nachhaltige Finanzen‘ warnte, die Aufnahme von Atomkraft und Erdgas würde „eine nachhaltige Taxonomie untergraben“. Das Beratungsgremium weltweit führender Nachhaltigkeitsexperten aus Finanzwirtschaft, Industrie und Umweltverbänden wurde eigens eingerichtet, um die Kommission bei der Entwicklung der Taxonomie-Kriterien zu beraten.

Die Sustainable-Finance-Strategie ist ein Baustein des Europäischen Green Deals mit dem Ziel, die EU weltweit zum ersten treibhausgasneutralen Kontinent zu machen. Nachhaltige Investitionen sollen erleichtert werden, um ökologische Innovationen und eine nachhaltige Transformation von Wertschöpfungsketten zu unterstützen. Das Rückgrat der Sustainable-Finance-Strategie ist ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Investments. Die sogenannte „EU-Taxonomie“ regelt, welche wirtschaftlichen Aktivitäten zukünftig als nachhaltige Finanzprodukte beworben werden dürfen. Als ökologisch nachhaltig gelten Wirtschaftsaktivitäten, die einerseits einen positiven Beitrag zum Klimaschutz leisten, ohne gleichzeitig in anderen Bereichen der Umwelt zu schaden (Do-No-Harm-Prinzip). Die Taxonomie-Verordnung wurde 2019 zwischen Europäischem Parlament und dem Rat der Mitgliedstaaten verhandelt und abschließend beschlossen. Die konkrete Ausgestaltung wurde der Kommission übertragen.

Kohle ist ausdrücklich kein nachhaltiges Finanzprodukt, dies geht aus dem Delegierten Rechtsakt der EU-Kommission vom 21. April 2021 hervor. Die Bereiche Atomkraft und fossiles Gas wurden auf Druck der EU-Mitgliedsstaaten zunächst ausgeklammert. Die Kommission wurde aufgefordert, hier Regelungen auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse vorzulegen. Nun zeichnet sich ein schmutziger Deal zur EU-Taxonomie ab. Insbesondere Frankreich drängt auf eine Aufnahme der Atomkraft als „kohlenstoffarme“ Technologie, andere Länder lehnen dies ausdrücklich ab. Die alte, schwarz-rote Bundesregierung setzte sich dafür ein, fossile Erdgasprojekte als „nachhaltig“ einzustufen.

Die Ampel-Koalition hat sich in ihrer Stellungnahme nun klar positioniert: „Aus Sicht der Bundesregierung ist Atomenergie nicht nachhaltig. Deshalb lehnen wir eine Aufnahme in den delegierten Rechtsakt unter der Taxonomie-VO ab. Schwere Unfälle mit großflächigen, grenzüberschreitenden und langfristigen Gefährdungen von Mensch und Umwelt können nicht ausgeschlossen werden (sog. Restrisiko). Atomenergie ist teuer und die Endlagerfrage ist nicht gelöst. Erneuerbare Energien benötigen ergänzend flexible Anlagen, die schnell hoch- bzw. heruntergefahren werden können, was Kernkraft nicht leisten kann.“ Die Bundesregierung verweist zudem auf rechtliche Bedenken, ob der delegierte Rechtsakt mit den Vorgaben der Taxonomieverordnung vereinbar ist.

Damit die EU-Taxonomie tatsächlich zukunftsfähige Investitionen fördert und nachhaltige Wirtschaftsbereiche beflügelt, muss ein Deal auf Kosten von Klima, Umwelt und Gesundheit verhindert werden. Atomkraft ist unvereinbar mit dem Do-No-Harm-Prinzip. Erdgas ist für einen Übergangszeitraum als Ergänzung zu erneuern Energien notwendig, dies rechtfertigt jedoch nicht die Einordnung dieser fossilen Energieform als nachhaltig oder klimaverträglich.

Der Landtag begrüßt das Ziel der EU-Kommission, die Europäische Union zum Leitmarkt für Sustainable Finance zu entwickeln und Transparenz und Anreize für Investitionen in nachhaltige Wirtschaftsbereiche zu schaffen.

Der Landtag fordert die Bundesregierung auf,

  • Sich für ein glaubwürdiges und wissenschaftsbasiertes EU-Nachhaltigkeitslabel mit ambitionierten Leitlinien für zukunftsfähige Investitionen zu schaffen, ausgerichtet an den Pariser Klimazielen,
  • Ein Greenwashing von klima- und umweltschädlichen Wirtschaftsaktivitäten zu verhindern: Atomkraft und fossiles Gas dürfen ebenso wenig wie Wasserstoff, der auf Grundlage von Atomkraft oder fossilen Energieträgern hergestellt wurde, als nachhaltige Finanzprodukte eingestuft werden,
  • der Aufnahme von Atomkraft und Erdgas in die EU-Taxonomie zu widersprechen und nötigenfalls den Klageweg zu beschreiten,
  • Wirksame Anreize für Investitionen in genuin grüne Wirtschaftsbereiche zu schaffen,
  • Den Ausstieg aus der Nutzung und Förderung von Erdgas schnellstmöglich umzusetzen, um die internationalen und europäischen Klimaziele zu erreichen.

Begründung

Nach der Vorlage des delegierten Rechtsakt durch die EU-Kommission läuft nun eine viermonatige Frist, in der der Europäische Rat und das EU-Parlament Einspruch gegen den Delegierten Rechtsakt einlegen und ihn damit zurückzuweisen können. Ein von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) in Auftrag gegebene Gutachten zeigt rechtliche Mängel des Vorgehens der Kommission auf. Sollte der delegierte Rechtsakt ungeachtet der breiten Kritik in Kraft treten, scheint eine Klage wegen nicht ausreichender Zuständigkeit der Kommission für Regelungen dieser Reichweite erfolgversprechend.

Das Ziel der Sustainable-Finance-Strategie sind Transparenz und Transformation. Keine klimaschädliche Technologie wird dadurch verboten, kein EU-Mitgliedsstaat daran gehindert, in klimaschädliche Bereiche wie den Bau neuer Gaskraft- oder Atomkraftwerke zu investieren. Indes ist das Sustainable Finance mehr als Marketing. Das EU-Nachhaltigkeitslabel wird den Zugang zu staatlichen und privaten Finanzmitteln erleichtern und somit indirekt die Kosten und Realisierbarkeit von Projekten beeinflussen. Werden aber Atomkraft und fossiles Gas als nachhaltig ausgezeichnet, wird das EU-Label für das Greenwashing fossiler Branchen missbraucht und noch vor dem Start diskreditiert.

Alle Finanzunternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen müssen in Zukunft bei ihren Investitionen oder Finanzprodukten angeben, welcher Anteil jeweils als ökologisch nachhaltig einzustufen ist. Das betrifft rund 6000 Unternehmen in der EU. Damit werden die meisten Banken, Versicherungen und auch Pensionskassen und Rentenfonds in die Taxonomie einbezogen.

Nachhaltige Sektoren im Sinne der Taxonomie sind Bereiche wie nachhaltige Energieerzeugung und Speicherung, Energieeffizienz und nachhaltige Mobilität. Im Rahmen des Ausbaus der Wasserstoff-Nutzung wird von entscheidender Frage für die Nachhaltigkeit sein, wie dieser Wasserstoff produziert wurde. Nur Investitionen in wirklich grünen Wasserstoff dürfen als nachhaltig eingestuft werden.  Atomkraft und fossiles Gas sind unvereinbar mit den Umweltschutzstandards der Sustainable-Finance-Architektur. Die Atomenergie verstößt gegen das „Do-No-Harm-Prinzip“, denn Atomunfälle und Terroranschläge können nicht restlos ausgeschlossen werden.  Außerdem ist der strahlende Atommüll über Jahrtausende gesundheitsgefährdend und muss aufwendig verwahrt werden. Bislang gibt es in keinem EU-Mitgliedsstaat ein sicheres Endlager. Die Verbrennung von fossilem Gas verursacht erhebliche CO2-Emissionen und die Förderung von Erdgas ist untrennbar mit Risiken für Umwelt und Gesundheit verbunden. Daher müssen Atomkraft und fossile Erdgas-Infrastrukturen aus der Taxonomie für nachhaltige Finanzprodukte ausgeschlossen werden.

Um gemäß der EU-Taxonomie als ökologisch nachhaltig zu gelten, muss eine Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zu einem der folgenden sechs Umweltziele leisten:

  1. Klimaschutz,
  2. Anpassung an den Klimawandel,
  3. nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen,
  4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft,
  5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und
  6. Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

Gleichzeitig darf die Tätigkeit keines dieser Ziele wesentlich beeinträchtigen (sogenanntes “do no significant harm principle”). Die Details, wie genau man den Einfluss von Tätigkeiten aus den verschiedensten Wirtschaftsbereichen bestimmt, regelt die Europäische Kommission mit Verordnungen.

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