Änderungsantrag: Für eine zukunftsorientierte Meerespolitik

...

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Hannover, den 23. Januar 2006
Für eine zukunftsorientierte Meerespolitik
Antrag Fraktion der CDU/Fraktion der FDP - Drs. 15/2012
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Drs. 15/2412
Der Landtag wolle den Antrag in folgender Fassung beschließen:

Der Landtag stellt fest:

Nordsee und Wattenmeer sind von herausragender ökologischer und ökonomischer Bedeutung:

 Die maritime Verbundwirtschaft zählt heute zu den wichtigsten und innovativsten Wirtschaftszweigen in Deutschland. Rund 240 000 Menschen sind hier beschäftigt und tragen jährlich zu einer Gesamtwertschöpfung von ca. 15 Milliarden Euro bei. Meere besitzen ein beträchtliches Potential für wirtschaftliches Wachstum vor allem in den Bereichen Transport, maritime Forschung und Entwicklung, innovative Technologie und Meeresschutz.
 Mit jährlich 2,5 Mio. Tonnen stammen 4% der Weltfischereierträge aus der Nordsee. Rund 50 Mio. Menschen besuchen jährlich die Wattenmeer-Region. Gleichzeitig ist die Nordsee Heimat für zahlreiche Fisch- und Vogelarten, für Robben und Schweinswal. Das Wattenmeer ist mit 10.000 qkm Europas größtes Feuchtgebiet. Bis zu 10 Mio. Vögel halten sich hier gleichzeitig auf, Tausende Seehunde bevölkern die Sandbänke, viele Fischarten haben hier ihre Kinderstube.
Trotz vielfältiger internationaler Schutzabkommen sind wesentliche Probleme des Meeresschutzes weiterhin ungelöst oder haben sich erheblich verschärft. Vorrangig gilt dies für die Fischerei und die Verschmutzung von Nordsee und Wattenmeer durch Nährstoffe und schwer abbaubare Schadstoffe über die Flüsse oder aus dem Betrieb von Schiffen und Off-Shore-Einrichtungen.
Örtliche Eingriffe wie ökologisch unangepasste Hafenzufahrten, mariner Bergbau, Aquakulturen, Pipelines und Kabeltrassen stellen zusätzliche Belastungen dar. Der beabsichtigte Ausbau der Windenergie an Off-Shore-Standorten muss planmäßig und an dafür geeigneten Standorten erfolgen, um die Belastung so gering wie möglich zu halten.
Auf internationaler Ebene ist der Meeresschutz häufig nur ein Randthema, das nur sektoral (Fischerei-, Agrar-, Chemikalien-, Gewässerschutzpolitik usw.) diskutiert wird. Es fehlt ein einheitliches, auf den Schutz der Meere ausgerichtetes Vorgehen. Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission im März 2005 die Erarbeitung eines Grünbuchs zur Europäischen Meerespolitik beschlossen. Diese Entscheidung für diesen integrierten Politikansatz begrüßt der Niedersächsische Landtag ausdrücklich.
Eine einheitliche Meeresschutzstrategie der Europäischen Union ist für Niedersachsen von besonderer Bedeutung, weil nur so dauerhaft Schutz und Erhalt der maritimen Ökosysteme Nordsee und Wattenmeer sicherzustellen sind und zugleich Chancen und Potentiale der Häfen, der Verkehrswege, der Fischerei, des Tourismus, der Energiegewinnung und des Küstenschutzes weiterentwickelt werden können. Für die Nordsee sind die notwendigen Maßnahmen zudem durch rechtsverbindliche Vereinbarungen in einer Nordseeschutzstrategie der Anliegerstaaten zu konkretisieren, wobei Erfordernisse der Sicherheit und des vorbeugenden Katastrophenschutzes besonders zu berücksichtigen sind.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf, die Interessen Niedersachsens in den weiteren Diskussionsprozess auf nationaler und europäischer Ebene einzubringen.
Eine Meeresschutzstrategie für die Nordsee soll insbesondere die nachfolgenden Punkte umfassen:

1. Maritime Wirtschaft weiter entwickeln
Die maritime Wirtschaft ist auf Grund ihrer engen Verflechtungen mit der übrigen Wirtschaft von zentralem Interesse nicht nur für Niedersachsen, sondern für Deutschland und Europa. Seeschifffahrt und maritime Wirtschaft haben sich in den vergangenen Jahren konjunktureller Stagnation als Jobmotor erwiesen. Die Potentiale des maritimen Bereichs sind weiter entwicklungsfähig. Dazu muss nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa die Kooperation zwischen den einzelnen Gliedern der maritimen Wertschöpfungskette intensiviert werde, um eine sozial- und umweltgerechte ökonomische Weiterentwicklung sicherzustellen. Besonders Unternehmen und Forschungseinrichtungen im maritimen Sektor sind hier zusammen mit Sozialpartnern und Verbänden gefordert, Netzwerke zu knüpfen und Synergiepotentiale zu nutzen. Der Staat und die Europäische Union müssen ihre vielfältigen Möglichkeiten der Unterstützung im politischen und administrativen Bereich nutzen.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass
 unproduktive Konkurrenzen zwischen europäischen Seehäfen durch gemeinsam entwickelte europäische Rahmenbedingungen und Planungen, wie die z. B. die Umsetzung transeuropäischer Netze für den Schiffsverkehr vermieden werden. Europaweit ausgerichtete optimierte seegestützte Transportketten und die Vermeidung unnötiger Doppelstrukturen können die Umweltbelastungen vermindern und einen wichtigen Beitrag zum Meeresschutz leisten;
 Europaweit koordinierte Forschungsprogramme und der Austausch von Forschungsergebnissen in der Meerestechnik (Off-Shore-Technik, maritime Umwelttechnik, Polartechnik, naturschonende Aquakultur) und Schiffsbau unter Gesichtspunkten der Schaffung von Arbeitsplätzen und eines verbesserten Meeresschutzes vorangebracht werden;
 zur Herstellung von Wettbewerbsgleichheit in Europa die Lohn- und Sozialkostenförderung zugunsten der Beschäftigung von Seeleuten aus Deutschland und der übrigen Europäischen Union entsprechend der maßgeblichen EU-Beihilferichtlinien angepasst werden.

2. Schiffsbetrieb umweltfreundlich gestalten
Der Schiffsverkehr in der Deutschen Bucht wächst: Von 154.000 Schiffsbewegungen Ende der 90er Jahre wird ein Anstieg auf jährlich 200.000 für das Jahr 2010 erwartet. Regelmäßige Verölungen von Stränden und Meeresvögeln zeigen, dass trotz Verbots noch immer erhebliche Ölmengen illegal auf See beseitigt werden. Schiffsunfälle bergen die latente Gefahr einer Ölpest mit katastrophalen Folgen für das hochsensible Wattenmeer, für Tourismus und Fischerei. Aufgrund des Einsatzes von Bunker- und Schwerölen als Schiffstreibstoff, verursacht die Schifffahrt ca. 1/3 der EU-weiten Gesamtemissionen von Schwefel- und Stickoxiden.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass
 die EU-Zuständigkeiten bei Kontrolle und Überwachung des Schiffsverkehrs ausgebaut und als ein wichtiger Schritt dahin die nationalen (deutschen) Vollzugszuständigkeiten auf See in einer einheitlichen Küstenwache gebündelt werden;
 die Notfallvorsorge (Notschleppkapazitäten, Ölbekämpfungsschiffe) europaweit optimiert und regional (z.B. Nordseeregion) koordiniert werden. Dazu gehören auch die umgehende Einrichtung von Notliegeplätze und Nothäfen mit den entsprechenden Sicherheitseinrichtungen;
 europaweit, über die Grenzen der EU hinaus, umfassende Hafenstaatenkontrollen durchgesetzt werden;
 die Unfallvorsorge durch entsprechende technische Standartsetzungen bei den Schiffen verbessert wird, etwa durch doppelte Maschinen- und Ruderanlage bei Gefahrgutschiffen oder die Verpflichtung Notschleppgeschirre mitzuführen;
 eine weitere Absenkung der Emissionswerte bei Schiffsabgasen durch EU-Vorgaben und Gebührenanreize für schadstoffarme Schiffe erreicht wird;
 eine inhaltliche Ausgestaltung für "Besonders empfindliche Meeresgebiete", wie dem Wattenmeer, erfolgt, die etwa Einlaufverbote für Schiffe vorsieht, die definierte Standards nicht erfüllen, das Befahren mit Schnellfähren regelt und auch die Verlagerung von Verkehrsgebieten einschließt.

3. Schadstoffeintrag minimieren
Trotz EU-weiten Verbotes verschiedener Schwermetalle und organischer Schadstoffe (z.B. DDT), sind noch immer hohe Konzentrationen in Meerestieren nachweisbar, da sie sich nicht oder nur sehr langsam abbauen. Für andere langlebige und giftige Stoffe wie z.B. Moschusverbindungen oder bromierte Flammschutzmittel ist das Vorsorgeprinzip bisher nicht hinreichend verankert.
Radioaktive Abwässer gelangen von den Wiederaufbereitungsanlagen La Haque und Sellafield in die Nordsee.
Der Eintrag von Stickstoff über die Flüsse ist weiterhin erheblich.
Ursächlich sind in erster Linie Düngereinträge aus der Landwirtschaft, 20% der Stickstoffeinträge in die Nordsee stammen aus der Luft (Ammoniak, Stickoxide und Reaktionsprodukte aus Verbrennungsprozessen). Folgen der Überdüngung sind Verschiebungen im Artenspektrum, unnatürliche Algenvermehrungen ("Algenblüte") mit nachfolgenden Sauerstoffzehrungen insbesondere am Boden ("Schwarze Flecken" im Wattenmeer).
Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass
 die Umsetzung des sog. "Generationenziels" der Nordseeschutzkonferenz und der Oslo-Paris-Konvention (bis 2020: Reduzierung von Schwermetallen auf die natürlichen Hintergrundwerte und Absenkung der Konzentration langlebiger Gifte und Schadstoffe auf ein Niveau nahe Null) durch Verankerung in allen entsprechenden EU-Normen und nationalen Regelungen (z.B. REACH-Zulassungsverfahren der EU, Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie) vorangebracht wird;
 radioaktive Einleitungen in die Meeresumwelt vollständig beendet werden;
 die Landwirtschaftspolitik der EU ist stärker auf den Gewässer- und Meeresschutz ausrichtet wird; dazu gehört z.B. die Sicherung einer ganzjährigen Pflanzendecke unter Berücksichtigung der Nährstoffsituation von Nordsee und Wattenmeer bei Aufstellung der nationalen Maßnahmenprogramme zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie;
 die Zahlung der Agrarbeihilfen konsequent an umweltbezogene Leistungen gebunden werden und der Grünlandanteil erhalten und vergrößert wird. Das schließt den Verzicht auf Ackernutzung in Überschwemmungsgebieten ein;
 darüber hinaus auch bei der Weiterentwicklung des Verkehrsbereichs auch aus Gründen des Meeresschutzes die Schiene als Verkehrsträger vor der Straße oder dem Flugverkehr zu bevorzugen ist, um insbesondere die Stickoxydeinträge aus dem Landverkehr zu verringern.

4. Meeresschutzgebiete sichern und Raumnutzungen abstimmen
Die Nutzungsansprüche an die Nordsee sind vielfältig: Wirtschaftliche Nutzungen wie Schifffahrt, Fischerei, Tourismus, Rohstoff- und Energiegewinnung (fossile Brennstoffe und Windkraftnutzung) konkurrieren zunehmend mit den Belangen des Naturschutzes.
Große Teile der Niederländischen und Deutschen Watten sind als Natura 2000-Gebiete anerkannt. Darüber hinaus hat Deutschland in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) weitere Flächen als Natura 2000 - Gebiete vorgeschlagen.


Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass

 das Wattengebiet gemeinsam mit den Niederlanden und Dänemark als Weltnaturerbe angemeldet wird;
 eine verbindliche Steuerung unterschiedlicher Raumnutzungen durch eine marine Raumplanung in der Nordsee analog zur Raumplanung an Land erfolgt, um sensible Lebensräume wirksam zu schützen und Nutzungskonflikte zu minimieren;
 eine Unterschutzstellung sensibler Meeresgebiete auch über die Natura 2000-Gebietskulisse hinaus nach Maßgabe der Oslo-Paris-Konvention (OSLO-PARIS-Konvention 2003)erfolgt; dabei sind Flussmündungen einzubeziehen;
 für Meeresschutzgebiete in der Nordsee einheitliche Kriterien für den Ausschluss unverträglicher Nutzungen unter Beachtung des Vorsorgeprinzips festgelegt werden. Für Bauvorhaben auf See ist durch Planfeststellung unter Beachtung ökosystemarer Auswirkungen zu entscheiden; Eingriffe in die Meeresumwelt sind zu kompensieren;
 die Erdgasförderung im Wattenmeer beendet wird.

5. Nachhaltige Fischereipolitik fördern
Kabeljau, Seezunge, Schellfisch und zahlreiche weitere Nutzfischarten der Nordsee sind überfischt. Neben 1 Mio. Tonnen Konsumfische werden in der Nordsee ca. 1,2 Mio. Tonnen Fisch durch die Industriefischerei zu Fischmehl verarbeitet, weitere 550.000 Tonnen gehen als unerwünschter Beifang in die Netze.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf sich dafür einzusetzen, dass

 Gesamtfangquoten bzw. Fangverboten an der nachhaltigen Nutzungskapazität und nach wissenschaftlichen Vorgaben des internationalen Rates für Meeresschutz (ICES) festgesetzt werden;
 dauerhaft oder zeitweise fischereifreier Zonen in Abhängigkeit der regionalen Bedeutung der Gebiete für den Bestandserhalt und die Meeresumwelt eingeführt werden. Dazu gehört auch der Verzicht der Befischung lagestabiler Miesmuschelbänke im Wattenmeer;
 eine generelle Reduzierung der Industriefischerei erreicht wird und die Entwicklung und Einführung selektiverer Fangmethoden zur Reduzierung des Beifangs vorangebracht werden;
 ein Gütesiegel für Bestands erhaltende und ökosystemverträgliche Meeresfischerei in der EU (z.B. MSC) eingeführt wird;
 eine EU-Fischereiaufsichtsbehörde errichtet wird, die die nationalen Fischereikontrollinstanzen im Bereich der Nordsee zusammenfasst und die Kontroll- und Einsatzplanung koordiniert, um einen Eu-einheitlichen Vollzug der Fischereiauflagen sicherzustellen;
 eine regional differenzierte Reduzierung von Fangkapazitäten erfolgt, angepasst an die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen und mit finanzieller Förderung des Umbaus fischereiabhängiger Wirtschaftsstrukturen;
 die Befischung im Bestand gefährdeter Muschelarten eingestellt wird.

Zurück zum Pressearchiv