Änderungsantrag: Europas Zukunft sozial gestalten

Änderungsantrag

(zu Drs. 16/701, 16/808, 16/1014 und 16/1049)

Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN

Hannover, den 23.03.09

Für ein soziales Europa - verbindliche Regelungen für soziale Grundrechte

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/701

Europas Zukunft sozial gestalten - Für eine solidarische Erneuerung Europas

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/808

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien Drs. 16/1014

Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP Drs. 16/1049

Europas Zukunft sozial gestalten

Der Landtag wolle die Anträge in folgender Fassung beschließen:

Entschließung

Sozialstaatlichkeit hat in Europa Tradition. Früher als anderswo wurde in Europa Wirtschaften mit sozialen Regeln und Formen der organisierten Solidarität zusammengebracht. Dieses Modell einer sozialen Wirtschaftsordnung bewährt sich seit dem Jahr 1949 auch in Niedersachsen. Nachdem sich heute der von konservativen und marktradikalen Kräften dominierte Kurs des Neoliberalismus immer deutlicher als Irrweg erweist, erlebt die soziale Marktwirtschaft gerade in den Zeiten von Finanz- und Wirtschaftskrise eine europaweite Renaissance. Diese Wiedergeburt beruht auf der Überzeugung, dass wirtschaftliches Wachstum und soziale Gerechtigkeit keine Gegensätze sind, sondern sich wechselseitig stärken. Nun geht es darum, daraus die Lehren zu ziehen und gleichberechtigt mit der Wirtschafts- und Währungsunion eine europäische Sozialunion zu schaffen. Gerade das Rüffert-Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Nichtigkeit von Tariftreueklauseln des Niedersächsischen Vergabegesetzes belegt, dass Niedersachsen ein vitales Interesse daran haben muss, das bisherige Übergewicht wirtschaftlicher Grundfreiheiten des Binnenmarktes zugunsten verbindlicher sozialer Standards und Rechte zu korrigieren. Dienstleistungsfreiheit muss unter fairen Bedingungen stattfinden. Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte sowie sozialer Schutz müssen den gleichen Stellenwert genießen wie die Dienstleistungsfreiheit und der Binnenmarkt. Wettbewerbsvorteile für Personen oder Unternehmen aus anderen Mitgliedsstaaten dürfen nicht über Lohndumping erreicht werden. Es muss das Prinzip gelten: Gleicher Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort.

Am 17. März hat die erste Sitzung des Vermittlungsausschusses zwischen Vertreterinnen und Vertretern des Europäischen Parlamentes und dem Rat der Europäischen Union zur europäischen Arbeitszeitrichtlinie stattgefunden. Das Vermittlungsverfahren wurde notwendig, weil sich das Europäische Parlament mit großer Mehrheit gegen einen Freibrief für überlange und ungesunde Arbeitszeiten ausgesprochen hat. Die Bundesregierung will auf europäischer Ebene durchsetzen, dass Bereitschaftszeiten nicht als Arbeitszeiten angerechnet werden und durchschnittliche Wochenarbeitszeiten von 60 Stunden und mehr erlaubt werden.

Der Landtag stellt dazu fest, dass vernünftige Höchstarbeitszeiten dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten dienen und Arbeitszufriedenheit und Engagement fördern. Überarbeitete und übermüdete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können Fehler mit weitreichenden Auswirkungen machen. Darüber hinaus können reduzierte und flexible Konzepte der Arbeitszeitgestaltung die Erwerbsarbeitslosigkeit bekämpfen und einen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisten.

Der Landtag begrüßt den Beschluss des Europäischen Parlaments vom 22. Oktober 2008 "Herausforderungen für Tarifverträge in der EU" (Andersson-Bericht), in dem es in § 35 heißt:

"Das Europäische Parlament bekräftigt, dass die grundlegenden sozialen Rechte nicht in einer Hierarchie der Grundfreiheiten unterhalb der wirtschaftlichen Rechte anzusiedeln sind; fordert deshalb, dass im Primärrecht das Gleichgewicht zwischen den Grundrechten und den wirtschaftlichen Freiheiten erneut festgestellt wird, um so ein Wettrennen um niedrigere Sozialstandards zu verhindern;"

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. sich für die Verankerung einer sozialen Fortschrittsklausel im EU-Primärrecht einzusetzen. Mit der sozialen Fortschrittklausel wird sichergestellt, dass soziale Schutz- und Arbeitnehmerrechte den gleichen Stellenwert haben wie die Dienstleistungsfreiheit und der Binnenmarkt.
  2. sich für eine Verbesserung und Erweiterung der EU-Entsenderichtlinie zu engagieren und für eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte einzutreten. Gleicher Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort muss dabei das Ziel der ergänzten Entsenderichtlinie sein - und damit über den Schutz bloßer Mindeststandards hinausgehen. So muss es möglich sein, dass die Mitgliedstaaten in Gesetzen oder Tarifverträgen auf "ortsübliche Löhne" und nicht nur auf "Mindestlöhne" verweisen.
  3. bei der Bundesregierung und der Europäischen Union dafür einzutreten, dass in die Arbeitszeitrichtlinie keine Schlupflöcher, kein "opting-out",  für unmenschlich lange Arbeitszeiten aufgenommen werden und eine Höchstarbeitszeit von 48 Stunden durchschnittlicher wöchentlicher Arbeitszeit festgelegt wird.

Fraktionsvorsitzender

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