Änderungsantrag: Das Bundesteilhabegesetz überarbeiten und volle Teilhabe ermöglichen

Änderungsantrag
(zu Drs. 17/6406)

Fraktion der CDU
Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Fraktion der FDP

Das Bundesteilhabegesetz überarbeiten und volle Teilhabe ermöglichen

Antrag der Fraktion der CDU – Drs. 17/6406

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Migration - Drs. 17/6862

Der Landtag wolle den Antrag in folgender Fassung beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

Am 26. März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Deutschland in Kraft getreten, deren zentrales Prinzip neben dem Schutz vor Diskriminierung insbesondere die „volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“ (Artikel 3 UN-BRK) ist.

Zur Umsetzung der UN-BRK möchte die Bundesregierung das derzeit geltende Teilhaberecht weiterentwickeln und die Eingliederungshilfe so reformieren, dass sich die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen verbessert. Sie möchte so einen weiteren wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft setzen. Mit dem neuen Bundesteilhabegesetz sollen Menschen mit Behinderung aus der Sozialhilfe herausgeführt und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht umgestaltet werden. Strukturen für eine inklusive Gesellschaft sollen ausgebaut und Menschen mit Behinderungen durch eine jeweils individuell zugeschnittene Unterstützung die vollständige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden. Um diesem Ziel des Gesetzentwurfes gerecht zu werden, bedarf es aber weiterer Verbesserungen.

Der Landtag begrüßt in diesem Zusammenhang folgende Regelungen des Bundesteilhabegesetzes:

  • ein vereinfachtes Antragsverfahren, das Reha-Leistungen wie aus einer Hand und entsprechend des individuellen Bedarfs gewährleisten soll,
  • neue, von Trägern und Leistungserbringern unabhängige Beratungsstellen, in denen zudem vor allem ebenfalls behinderte Menschen andere Menschen mit Behinderungen beraten,
  • die flächendeckende Einführung des Budgets für Arbeit als Alternative zum Werkstattplatz, durch das dauerhaft Lohnkostenzuschüsse und Begleitung am Arbeitsplatz finanziert werden,
  • die verbesserten Regelungen für die Anrechnung von eigenem Einkommen und Vermögen auf Leistungen der Eingliederungshilfe sowie den völligen Wegfall der Anrechnung des Einkommens und Vermögens einer Partnerin oder eines Partners.

Dennoch besteht bei dem Gesetzentwurf zurzeit noch Veränderungsbedarf. Der Landtag fordert deshalb die Landesregierung auf, sich gegenüber der Bundesregierung und über den Bundesrat insbesondere für nachstehende Verbesserungen am vorliegenden Entwurf des Bundesteilhabegesetzes einzusetzen:

  1. Alle Menschen, die heute leistungsberechtigt sind, sollen auch in Zukunft Leistungen erhalten. Das neue Gesetz muss Leistungen für Betroffene im Sinne der UN-BRK verbessern und darf faktisch nicht zu Leistungskürzungen führen.
  2. Der Zugang zur Eingliederungshilfe darf künftig nicht auf die Voraussetzung beschränkt werden, dass in mindestens fünf bzw. drei von neun Lebensbereichen erhebliche Teilhabeeinschränkungen vorliegen müssen (§ 99 SGB IX RegE).       Für Menschen mit nicht erheblicher einfacher Teilhabeeinschränkung darf nicht nur eine Ermessensregelung eingeführt werden (§ 99 SGB IX RegE), sondern muss ein Anspruch auf Eingliederungshilfe formuliert werden.
  3. Das „Mindestmaß verwertbarer Arbeit“ als Voraussetzung für den Zugang zu einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) gemäß § 219 SGB IX RegE ist ersatzlos zu streichen, damit Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf künftig Zugang zur WfbM haben.
  4. Das Wunsch- und Wahlrecht in Bezug auf die Leistungserbringung darf nicht eingeschränkt werden. Menschen mit Behinderungen müssen selbstbestimmt entscheiden können, ob sie ambulante oder stationäre Leistungen, Einzel- oder Gemeinschaftsleistungen in Anspruch nehmen.
  5. Das Gleichrangverhältnis zwischen der Eingliederungshilfe nach SGB IX RegE und den Pflegeversicherungsleistungen nach SGB XI ist beizubehalten. Die Eingliederungshilfeleistungen gemäß SGB IX RegE müssen Vorrang gegenüber der Hilfe zur Pflege gemäß § 63 b SGB XII RegE haben.
  6. Die Privilegierung gemäß § 103 Abs. 2 SGB IX RegE von leistungsberechtigten Personen, die sich gleichzeitig im Erwerbsleben befinden, mit umfassenden Leistungen der Eingliederungshilfe einschließlich Hilfe zur Pflege ist aufzuheben.
  7. „Andere Leistungsanbieter“ müssen gesetzlich verpflichtet werden, die gleichen Qualitätsanforderungen wie die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM) bei der Rehabilitation der Werkstattbeschäftigten mit Behinderung zu erfüllen.
  8. Auf die Anrechnung von Einkommen und Vermögen soll mittelfristig mit der zweiten Stufe im Jahr 2020 vollständig verzichtet werden.
  9. Anstelle von Regelungen auf Landesebene bedarf es bundesgesetzlicher Vorgaben für ein einheitliches Bedarfsermittlungsverfahren.
  10. Menschen mit Behinderungen müssen gleichberechtigten Zugang zu Bildung haben. Dies gilt auch für den zweiten Bildungsweg, eine berufliche Neuorientierung oder Praktika.
  11. Die Ausgleichsabgabe für Unternehmen die die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderungen nicht erfüllen, muss deutlich über die im Durchschnitt 320,00 Euro pro Monat erhöht werden.
  12. Mit der Reform der Eingliederungshilfe muss eine dauerhafte Kostenbeteiligung des Bundes einhergehen, damit Besitzstandswahrung und Leistungsverbesserungen für alle Menschen mit Behinderungen möglich sind.
  13. Es soll ein Bundesteilhabegeld eingeführt werden, in dem auch die unterschiedlich hohen Landesblindengelder aufgehen.
  14. Mit dem lange geforderten und jetzt eingeführten Merkzeichen TBL, für Taubblinde als Behinderung eigener Art, müssen nunmehr die damit verbundenen Mehrbedarfe endlich angepasst und umgesetzt werden.

Begründung

Dem Entwurf des Bundesteilhabegesetzes ist ein umfassender Beteiligungsprozess vorangegangen, in dem Menschen mit Behinderungen und ihre Verbände ihre Interessen einbringen konnten. Eine Überarbeitung des Gesetzentwurfes mit dem Ziel, Leistungseinschnitte zu verhindern, das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen vollumfänglich zu achten und echte Teilhabe zu ermöglichen, hält der Landtag daher für geboten.

Alle Menschen, die heute leistungsberechtigt sind, sollen auch in Zukunft Leistungen erhalten. Das neue Gesetz muss Leistungen für Betroffene im Sinne der UN-BRK verbessern und darf nicht zu Leistungskürzungen führen. Der Gesetzentwurf sieht einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nur dann vor, wenn Einschränkungen in mindestens 3 bzw. 5 von 9 Lebensbereichen vorliegen. Mit dieser Regelung werden Menschen mit Behinderung, die nur geringe Einschränkungen, aber dennoch Unterstützungsbedarf haben, vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Jeder Mensch, der auf Teilhabeleistungen, egal in welchem Umfang angewiesen ist, sollte diese jedoch auch bekommen. Für Menschen mit einfacher Teilhabeeinschränkung muss daher ein Anspruch auf Eingliederungshilfe anstelle der Ermessensregelung des Gesetzesentwurfs (§ 99 SGB IX des RegE) formuliert werden.

Probleme bei der Abgrenzung von Leistungen der Pflegeversicherung, Hilfen zur Pflege und Leistungen der Eingliederungshilfe werden von Verbänden und Betroffenen kritisiert. Mit dem BTHG erfolgt keine trennscharfe Abgrenzung, die Schnittstellenprobleme verschärfen sich an manchen Stellen sogar. Das Bundesteilhabegesetz soll klare und eindeutige Abgrenzungsregelungen zwischen den Leistungen der Pflegeversicherung, den Hilfen zur Pflege und der Eingliederungshilfe regeln. Menschen mit Behinderungen, die in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe leben, erhalten nicht die vollen Leistungen der Pflegeversicherung, sondern nur eine Pauschale. Diese seit Mitte der Neunziger Jahre bestehende Benachteiligung sollte gestrichen werden.

Kern des BTHG ist es, die Eingliederungshilfe aus dem „Fürsorgesystem“ der Sozialhilfe auszugliedern. Die Eingliederungshilfe soll Menschen mit Behinderungen helfen, sich in die Gesellschaft einzugliedern. Ein weiteres Ziel ist es, die Erwerbsfähigkeit zu erhalten. §112 SGB IX RegE schränkt den Anspruch behinderungsbedingter Mehrbedarfe jedoch ein. Es sollte daher auf zeitliche und inhaltliche Vorgaben verzichtet werden, die den Anspruch diskriminierend einschränken.

Die nun eingebrachten Forderungen dieses Antrages sollen Verbesserungen im Gesetzesentwurfe bringen. Mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen ist ein zentrales Anliegen, welches im Gesetzesverfahren nun auch überzeugend zum Ausdruck kommen muss.

Darüber hinaus ist auch die Forderung nach einem Teilhabegeld für sehbehinderte bzw. blinde Menschen und die Anpassung der Mehrbedarfe von taubblinden Menschen geboten, um auch an diesen Stellen für eine Eingliederung in unsere Gesellschaft zu sorgen.

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