40 Jahre sind seit der Benennung Gorlebens als Endlagerstandort vergangen. Nun soll eine neue Endlagersuche die bestmögliche Sicherheit für die Atommüllentsorgung gewährleisten. Doch hält die neue Endlagersuche, was sie verspricht? Über 70 Interessierte folgten der Einladung der Grünen-Fraktion in den niedersächsischen Landtag, um einen Tag nach der Standortbenennung vor 40 Jahren diese Frage zu erörtern. Eine Ausstellung mit Dokumenten und Plakaten aus dem Gorleben-Archiv flankierte die Veranstaltung.
Die grüne Fraktionsvorsitzende Anja Piel eröffnete die Veranstaltung mit einem Rückblick auf vier Jahrzehnte gesellschaftliche Konflikte: Gorleben wurde wegen der Lage im Zonenrandgebiet gewählt, in der ländlich geprägten Region wurde kein Widerstand erwartet. Die niedersächsische Erfahrung zeige jedoch, dass sich die Atommüllentsorgung nicht gegen den Widerstand der Bevölkerung durchsetzen lasse. Die Einrichtung der Endlager-Kommission war eine Bedingung Niedersachsens, um das geplante Endlager-Suchverfahren vor Beginn auf den Prüfstand zu stellen.
Auf dem Podium diskutierten Umweltminister Stefan Wenzel, Jochen Stay (ausgestrahlt), Asta von Oppen (Rechtshilfe Gorleben), die Bundestagsabgeordnete Dr.Julia Verlinden und Prof. Lambrecht (Nationales Begleitgremium) und stellten sich den Fragen und Statements aus dem Publikum. Die grüne Landtagsabgeordneten Miriam Staudte, die die Diskussion initiiert hatte, moderierte die Veranstaltung. Sie rückte dabei Fragen zur Anpassung der Suchkriterien und zu fehlenden Kontrollmöglichkeiten des Nationalen Begleitgremiums in den Mittelpunkt.
Der Bundestag berät derzeit, wie die Empfehlungen der Kommission umgesetzt werden, dazu berichtete die grüne Bundestagsabgeordnete Julia Verlinden. Noch im März solle eine Neufassung des Standortauswahlgesetzes beschlossen werden. Verlinden kritisierte die vom Bundesumweltministerium geplante Verlängerung der Veränderungssperre Gorleben als klaren Wortbruch und forderte stattdessen, bundesweit alle potentiell geeigneten Standorte zu sichern.
Bei den Planungen für ein nukleares Entsorgungszentrum in Gorleben sollte die kritische Öffentlichkeit möglichst außenvorgehalten werden, so Asta von Oppen von der Rechtshilfe Gorleben. Der Widerstand fand deshalb auf der Straße statt, aber auch vor Gericht konnten Erfolge errungen werden. Für die neue Endlagersuche sei nun eine sogenannte Legalplanung vorgesehen, die Standortauswahl im Suchverfahren treffe der Bundestag per Mehrheitsentscheid. Klagemöglichkeiten würden damit eingeschränkt. Dies sei besonders kritisch, weil das Verfahren nicht transparent aufgebaut sei. Den Regionalkonferenzen werden lediglich ein Nachprüfrecht zugestanden, das Nationale Begleitgremium könne keinen direkten Einfluss nehmen und das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung soll als neue Superbehörde nicht nur die Öffentlichkeitsbeteiligung verantworten sondern auch die Evaluation des Suchverfahrens übernehmen.
Der grüne Umweltminister Stefan Wenzel stellte fest, dass die Empfehlungen der Endlagerkommission nicht eins zu eins umgesetzt werden. Entscheidend sei aber, dass die wesentlichen Prinzipien der Empfehlungen Eingang in das Standortauswahlgesetz finden. Insbesondere die Sicherheitsanforderungen an ein Endlager müssten rechtsverbindlich geregelt werden. Erstaunlich sei, dass noch immer nicht geregelt sei, für welche Arten von Atomabfällen ein Endlager gesucht werden solle. Wenzel stellte fest, dass hier etwas fast Unmögliches versucht würde: Sicherheit über eine Million Jahre zu schaffen. Unsere Generation und die Vorgänger-Generationen haben diese Abfälle produziert, deshalb müssen wir uns der Aufgabe nun stellen. Die Erfahrungen der letzten 40 Jahre zeigten, dass es nie einen absoluten Schutz vor Missbrauch gebe. Deshalb könne das Suchverfahren nur funktionieren, wenn alle Beteiligten höchst aufmerksam bleiben und immer wieder den Finger in die Wunde legten.
Auch parteipolitischer Konsens schütze nicht vor Fehlentscheidungen. Die Bevölkerung sei in der Lage, sich auch gegen vermeintlich übermächtige Gegner durchzusetzen. Diese Lehren aus 40 Jahren Diskussion im Wendland zog Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Initiative .ausgestrahlt. Stay kritisierte, dass das Gesetz kein Veto-Recht für die Bevölkerung vorsehe. Wenn die Menschen nicht genug Einfluss nehmen könnten, würde der Streit auf der Straße ausgetragen. Eine politische Mehrheit gegen Gorleben sehe er nicht, denn gerade in der Politik gelte das Prinzip „Not in my backyard“. Stay kritisierte, dass die Atommüllkommission eine Mitbestimmung potentieller Standortregionen gescheut habe. Derzeit werden zahlreiche Festlegungen für eine Standortsuche getroffen, doch vielen Menschen sei gar nicht bewusst, dass sie davon potentiell betroffen sind. Sie erfahren es erst, wenn schon vieles festgelegt ist, auf das sie keinen Einfluss mehr nehmen können. Das provoziert Protest.
Das neu eingerichtete Nationale Begleitgremium soll die Endlagersuche unabhängig und gemeinwohlorientiert begleiten. Prof. Dr. Hendrik Lambrecht berichtete, wie er als sogenannter Zufallsbürger Mitglied des neunköpfigen Gremiums wurde. Im Laufe der Diskussion wurde Prof. Lambrecht ermutigt, vehement für Einflussmöglichkeiten des NBG einzutreten. Auch gegen Widerstände habe das Gremium schon eine öffentliche Beteiligungsveranstaltung organisiert und im Februar zu einem Bürgerdialog in Berlin eingeladen.
Im Fokus der anschließenden Diskussion standen u.a. unterschiedliche Erwartungen an das Nationale Begleitgremium. Dabei wurden Befürchtungen geäußert, dass das Begleitgremium keine ausreichenden Befugnisse habe, um Auskünfte einzuholen und Veränderungen einzufordern. Es wurde aber auch die Hoffnung geäußert, dass sich das Gremium als Kontrollinstanz etabliert und eine wirksame Einbindung der Öffentlichkeit einfordert. Diskutiert wurde auch, wie eine Diskussion über die Endlagerung in der Öffentlichkeit hergestellt werden kann.
Martin Donat von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg stellte fest, dass die notwendige Auseinandersetzung mit den Konfliktparteien nicht durch die Benennung eines Begleitgremiums ersetzt werden könne. Auch die Sicherheitskriterien für die Standortauswahl dürften einer Öffentlichkeitsbeteiligung nicht entzogen werden. Wolf-Rüdiger Marunde von der Bäuerlichen Notgemeinschaft Lüchow-Dannenberg kritisierte, dass der Geist des Standortauswahlgesetzes darauf angelegt sei, Beteiligung möglichst knapp zu halten. Auch die Kritik der atomkritischen Bewegung, die in den Jahrzehnten ihres Widerstands einiges an Expertise erworben habe, müsse in einem lernenden Verfahren berücksichtigt werden. Das Nationale Begleitgremium könne aber nicht als Ansprechpartner und Verbindungsglied dienen, wenn es die dafür nötigen Rechte und Befugnisse nicht bekomme.
Mit der Endlagersuche sollen Antworten für den Umgang mit dem Atommüll im 22. Jahrhundert gefunden werden. Bis ein Endlager in Betrieb gehe, müssen die Atomabfälle jedoch noch über viele Jahrzehnte zwischengelagert werden. Völlig unklar sei, wie es mit der Zwischenlagerung im 21. Jahrhundert weitergehe. Wie die Sicherheit der Zwischenlager und der Abfallbehälter über diese Zeiträume gesichert werden solle, müsse endlich politisch bearbeitet werden – rechtzeitig bevor die ersten Genehmigungen von Zwischenlagern auslaufen. Diese Forderung wurde sowohl auf dem Podium als auch aus dem Publikum geäußert.