Rede Stefan Wenzel beim Empfang „50 Jahre Oesterlen Plenarsaal im Niedersächsischen Landtag“

"Vor allem möchte ich mich bei den hannoverschen BürgerInnen und Bürgern und bei den vielen Aktivistinnen und Aktivisten bedanken, die sich beharrlich dafür eingesetzt haben, dass eine bauhistorisch bedeutende Leistung nicht leichtfertig der Abrissbirne geopfert wurde", so Stefan Wenzel.

(Es gilt das gesprochene Wort)

Anrede,

die Berichterstattung einer großen hannoverschen Zeitung über den ersten Tag der offenen Tür im Landtag im September 1962 ist ein amüsantes auch sprachliches – in gewisser Weise auch kulturhistorisches  – Zeugnis.

Darin heißt es:

"Begeisterung zeigte vor allem die Jugend. "Mensch, toff", sagte ein männlicher Teenager, der mit seiner Berufsschulklasse erschienen war, beim Anblick der Steuerpulte für die zentrale Pressetribüne. Dazwischen klangen hausfrauliche Sorgen: "Hoffentlich ist der schöne Fußboden versiegelt, " raunte eine Dame, als sie das Parkett des Repräsentationssaales betrachtete”¦Missmut herrschte freilich darüber, dass das Landtagsrestaurant noch geschlossen war".

Heute ist das Restaurant geöffnet und ich heiße Sie ganz herzlich hier willkommen. Aber: Zur Ironie der Geschichte gehört es, dass die Irrungen und Wirren der letzten 10 Jahre beim Thema Landtagsumbau auch den Restaurantbetrieb wieder in eine eher prekäre Lage gebracht haben.

Aber am Anfang meiner kurzen Ansprache möchte ich noch einen anderen Satz aus der Berichterstattung von vor 50 Jahren zitieren. "Dieser Bau soll doch für mehrere Generationen da sein!", sagt da ein Bürger.

Meine Damen und Herren, wir Grünen teilen diesen Bürgerwunsch.

Wir haben uns in den letzten 10 Jahren immer wieder vehement gegen die Geschichtsvergessenheit großer Teile der anderen Fraktionen hier im Landtag gestellt.

Ich möchte es nicht versäumen, bei dieser Gelegenheit auch namentlich unseren hannoverschen Abgeordneten Enno Hagenah zu nennen, der sich in der Frage des Erhalts des Oesterlen-Baus maßgeblich orientierend und organisierend verdient gemacht hat.

 

Vor allem aber möchte ich mich bei den hannoverschen BürgerInnen und Bürgern und bei den vielen Aktivistinnen und Aktivisten bedanken, die sich beharrlich dafür eingesetzt haben, dass eine bauhistorisch bedeutende Leistung nicht leichtfertig der Abrissbirne geopfert wurde.

Schon im Jahr 2002 schrieb die Fachzeitung "Bauwelt" über den damaligen Architektenwettbewerb für den geplanten Umbau:

"Weil die dortigen Arbeitsbedingungen – besonders im Plenarsaal – seit 1962 aber überwiegend unverändert geblieben und nach heutiger Auffassung kaum länger vertretbar sind, hat man sich zu einer Modernisierung entschlossen. Akustik, KIima- und Kommunikationstechnik sollen auf den heutigen Stand gebracht werden. Das Hauptgewicht jedoch – und deswegen wurde ein Wettbewerb ausgelobt – legen die Parlamentarier auf die architektonische Lösung der Forderungen nach natürlicher Belichtung des Plenarsaals und vor allem nach "größerer Transparenz zum Plenum und vom Plenum nach außen".

Anrede,

10 Jahre sind seit dem vergangen.

Das müssen sich die anderen Fraktionen und auch der Landtagspräsident sagen lassen: es waren 10 verlorene Jahre, in denen ein bedeutendes Architekturdenkmal auf der Kippe stand und in denen im politischen Raum wir als Grüne häufig fast allein gegen alle für die Umsetzung der mit dem Denkmalschutz eng abgestimmten damaligen behutsamen Modernisierungspläne gestritten haben.

Alle hier wissen, dass der gute Entwurf von 2002 zunächst aus politisch-taktischen Erwägungen und dann wegen der laufenden Haushaltskonsolidierung nicht verwirklicht wurde. Heute ist er wegen der späteren erneuten Planungsbemühungen bei zu vielen Landespolitikern zu sehr in Ungnade gefallen, um dafür noch Mehrheiten zu bekommen.

Wir haben auf unseren Stellwänden einige Aspekte dokumentiert, die den Bogen schlagen von der feierlichen Eröffnung des Gebäudes vor heute genau 50 Jahren und dem jetzt möglichen Neuanfang einer Umbauplanung im Bestand. Wir meinen übrigens: ganz in der Art und Weise wie es sich der ursprüngliche Planer dieses Niedersächsischen Landtages gedacht hat.

Zwischen 1957 und 1962 konnte Dieter Oesterlen seine Vorstellung einer Verbindung von zeitgemäßem Parlamentsneubau mit den übrig gebliebenen Mauern des altehrwürdigen Schlosses verwirklichen.

Und er schrieb darüber:

"Jeder historische Bau ist ein Stück unserer Geschichte. Zumal wenn es sich wie hier beim Leineschloss um ein Gebäude von baugeschichtlichem Rang, also um ein "Baudenkmal", handelt. Der Krieg hat unsere Städte fast bis zur Geschichtslosigkeit zertrümmert. Umso wertvoller sind die wenigen baulichen Reste unserer Vergangenheit. Diese zu retten und zu respektieren, war ein wichtiger Teil meiner Planungsabsicht.

Auf der anderen Seite stand aber die Forderung des Bauprogramms, die ähnlich einem funktionell bedingten Verwaltungsgebäude nur mit einem im Geiste unserer Zeit zu erstellenden Neubau befriedigt werden konnte.

Beide sich entgegenstehenden Möglichkeiten, das Baudenkmal zu erhalten oder einen Neubau zu erstellen, waren richtig."

Anrede,

wir Grünen meinen, dass bei sich verändernden Nutzungsansprüchen ganz im Oesterlenschen Sinne auch in einer historischen Bausubstanz ein Weiterbauen im und am Landtag zu verantworten ist, wenn dabei sensibel mit dem Bestand umgegangen wird.

In den vergangenen 10 Jahren hat es Fehlentscheidungen gegeben und es kann auch nicht darauf verzichtet werden, auf Missmanagement hinzuweisen. Der Einmischung der engagierten Öffentlichkeit ist es zu verdanken, dass die Fehlentwicklungen teilweise gestoppt werden konnten. Dafür wollen wir uns hier und heute ausdrücklich bei Ihnen bedanken.

Die wichtigste Lehre aus diesen Abläufen muss es deshalb sein, dass die Öffentlichkeit endlich auch institutionell in den Planungsprozess einbezogen wird. Wir unterstützen das Anliegen der Freunde des Baudenkmals zur Einrichtung eines Beirates. Wir werden uns bei den anderen Fraktionen und beim Landtagspräsidenten dafür einsetzen und Vorschläge für eine entsprechende formale Regelung machen.

Obwohl die Baukommission des Landtages sicher jede demokratische und fachliche Legitimation hat, eigenständig zu entscheiden, ist beim ersten und bedeutendsten Gebäude der Demokratie in unserem Bundesland ein wenig mehr Transparenz und Beteiligung als sonst üblich sicher gerechtfertigt.

Ich möchte jetzt mit Ihnen auf den heutigen Geburtstag des wichtigsten Gebäudes der Nachkriegsmoderne in unserem Land anstoßen und wünsche noch gute und anregende Gespräche.  

 

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