Volker Bajus: Rede zur Enquetekommission ehrenamtliches Engagement (Antrag SPD/CDU)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

Die Pandemie-Einschränkungen haben noch mal allen vor Augen geführt, wie schwer ein Leben ohne soziale Kontakte ist. Menschen brauchen Menschen. Es ist das Miteinander, die Solidarität, das Füreinander-Dasein, das Gesellschaft konstituiert.

Erst der Einsatz Vieler für das Gemeinwesen macht sozialen Zusammenhalt und Demokratie möglich.

Deswegen können wir eigentlich nicht genug dafür danken, dass etwa 40 Prozent der Menschen in Niedersachsen in ihrer Freizeit für andere einsetzen.

Da ist die pensionierte Lehrerin, die ehrenamtlich Deutsch unterrichtet, um Geflüchteten das Ankommen in diesem Land zu erleichtern. Der Student, der spontan warme Kleidung sammelt. Die Bankkauffrau, die sich als Schatzmeisterin im Hospizverein engagiert. Oder die Jugendliche, die mit ihrer Theatergruppe im Altersheim auftritt.

Ehrenamt und Freiwilligenarbeit sind der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Wie stark dieser Kitt ist, das sehen wir besonders in Krisenzeiten.

Zum Beispiel bei der großen Flüchtlingswelle 2015/16. Oder während der Pandemie, da haben sich viele neue Freiwillige gemeldet, haben für Nachbarn eingekauft, sind bei den Tafeln viele Jüngere für gefährdetere Ältere eingesprungen. Auch bei der Katastrophe im Ahrtal 2021 und gerade jetzt bei der Flüchtlingshilfe für die Ukrainer*innen, ist die Hilfsbereitschaft überwältigend!

Doch wir müssen leider auch feststellen: Das Land lobt diesen Einsatz stets gerne, leistet aber noch zu wenig Unterstützung, damit dieser bürgerschaftliche Einsatz auch seine volle Kraft entfalten kann.

So verpasste die Große Koalition im Herbst 2020 vielen Freiwilligen einen echten Schlag ins Gesicht. Der bis dato mustergültig unbürokratisch zur Verfügung gestellte Topf für „Bürgerschaftliches Engagement in der Flüchtlingshilfe“ von knapp 2 Mio. Euro wurde mal eben gestrichen. Ehrenamtliche Sprachkurse oder Freizeitangebote für Flüchtlingskinder damit ins Abseits gestellt – ein Fehler, der jetzt umgehend korrigiert werden sollte.

Anrede,

in einer Gesellschaft die sich dynamisch ändert braucht es solche einfach zugänglichen Töpfe. Familienleben, Beruf und Freizeit wandeln sich: wir erleben die Auflösung traditioneller Bindungen, Individualisierung, höhere Mobilität und Arbeitsverdichtung. All das verändert auch die Rahmenbedingungen für das freiwillige Engagement. So wird es in vielen Vereinen immer schwieriger, Menschen für Verwaltungsaufgaben oder klassische Posten zu finden.

Zugleich wächst die Bereitschaft sich temporär, spontan und projektorientiert einzusetzen. Was erfreulich ist, aber auch aufwändiger, denn das sogenannte „fluide“ Engagements muss koordiniert werden. Deutlich wurde das beispielsweise letzten Sommer im Ahrtal, als engagierte Hilfswillige die Zufahrtswege ins Katastrophengebiet verstopften. Oder aktuell, wenn Massen von Stofftieren Flüchtlingskinder beglücken sollen, tatsächlich aber Babynahrung und Hygieneartikel fehlen. Gut gemeinte, aber fehl geleitete Hilfe kann durch gezielte Steuerung vermieden und in die richtige Richtung gelenkt werden.

Hier braucht es gezielte hauptamtliche Unterstützung. Genauso wie wir zur Pflege und Erhalt des bewährten Vereinslebens mehr Entlastung bei Verwaltungsaufgaben, zum Beispiel durch die Entbürokratisierung der Mittelverwaltung, oder der Registrierung oder auch beim Datenschutz benötigen.

Auch jenseits der Krisen ist das Management von Engagement eine wichtige politische Aufgabe. Wer Dörfer lebenswert erhalten und Stadtquartiere liebenswert machen will, muss auch im Alltag für gute unterstützende freiwillige Gemeinwesenarbeit sorgen und diese ausbauen. Damit Dörfer lebendig bleiben und Nachbarschaften in Quartieren ein „Wir-Gefühl“ entwickeln. Um z. B. der Vereinsamung entgegen zu wirken, die gerade auch ältere Menschen häufig spüren. Oder Alleinerziehende zu entlasten, die einfach mal eine helfende Hand brauchen.

Doch dieser überwiegend ehrenamtliche Einsatz braucht eben auch gute Rahmenbedingungen: Da braucht es „Kümmerer“ wie die rund 100 Freiwilligenagenturen und Koordinierungsstellen im Land. Ein Erfolgsmodell, das wir ausbauen und gemeinsam mit den Kommunen stabilisieren müssen. Das könnte auch für das neue „Bündnis gute Nachbarschaft“ gelten, das ja ausdrücklich an das lokale, nachbarschaftliche Engagement anknüpft.

Anrede,

Engagement-Förderung wird künftig mehr als nur Gegenstand von Sonntagsreden des Ministerpräsidenten sein müssen. Sie muss zur strategischen Daueraufgabe der Landesregierung werden, um die sich bestenfalls eine zentrale Koordinierungsstelle, die die verschiedenen Bereiche und Zuständigkeiten bündelt, kümmert. Mit der parallelen Verstetigung des „Niedersachsenrings“ sollte die bereichsübergreifende Zusammenarbeit der Verbände und Vereine eine feste landesweite Arbeitsstruktur bekommen.

Anrede,

ein Aspekt, der mir besonders wichtig ist, ist das Engagement von Kindern und Jugendlichen. Je eher Kinder sich engagieren, je früher sie Selbstwirksamkeit erfahren und erleben, dass sie ihre Umwelt aktiv beeinflussen und gestalten können, umso wahrscheinlicher ist es, dass sie sich auch später für Gemeinwesen und Demokratie einsetzen. Das darf dann gerne schon in der Kita anfangen. Aber, dafür muss auch in Schule, Ausbildung und Studium überhaupt Zeit und Raum sein. Hier kann Deutschland noch viel von der Ehrenamtskultur anderer Länder lernen, z.B. den USA, wo Corporate Volunteering weit verbreitet ist.

Spannend, dass durch die Bank alle Jugendvertreter*innen in der Kommission die Bedeutung von Mobilitätszugängen betonten und kostenlose ÖPNV-Tickets für engagierte junge Menschen fordern. Hier muss die Groko deutlich mehr liefern.

In der Kommission trafen Verbandsvertreter*innen auf Wissenschaft, Innenexpert*innen auf Sozialpolitik und Kulturaktivist*innen. Die Kommission hat sich allerdings parteipolitischer Spielchen verweigert und sich am Ende zu einem einstimmigen Votum durchgerungen. Uns eint die Erkenntnis: Das ehrenamtliche Engagement ist für unsere Gesellschaft überlebenswichtig. Wenn wir es erhalten wollen, müssen wir dafür mehr tun – davon konnten wir schließlich sogar die anfangs - mit Verlaub - eher zugeknöpfte Haushaltspolitiker*innen überzeugen.

Einige Vorschläge haben wir dazu aufgeschrieben, manches Weitere nur angedeutet. Wir wissen auch, das ist nur Papier, die Arbeit für die Verbesserung der Rahmenbedingungen beginnt jetzt. Packen wir es an. Die über 3 Millionen Niedersachsen im ehrenamtlichen Einsatz haben es verdient.

Vielen Dank.

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