Tanja Meyer: Rede zur Umsetzung der Istanbul Konvention

Rede TOP 23: Kein Platz für Gewalt an Frauen und Mädchen: Istanbul-Konvention strategisch und ressortübergreifend umsetzen – Koordinierungsstelle einrichten

- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe alle,

seit 2023 gilt auch in Deutschland endlich die Istanbul Konvention uneingeschränkt.

„Istanbul Konvention“ steht für das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung (Prävention!) und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“. Die Istanbul Konvention formuliert also das, was hier bei uns in Niedersachsen, genauso wie überall auf der Welt, gelten muss: Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen, Gewalt zu verhüten und die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen, patriarchale Strukturen beenden und eine echte Gleichstellung realisieren. Wichtig ist dabei: Die Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten zur Umsetzung dieser Ziele.

Aber leider sind wir davon auch bei uns noch weit entfernt.

Gucken wir auf das Thema häusliche Gewalt:

80 Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt sind Frauen (2021). Bei den Straftaten Bedrohung, Stalking und Nötigung in der Partnerschaft waren die Opfer sogar zu rund 86 Prozent weiblich. Erfasste Straftaten sind Mord und Totschlag, Körperverletzungen, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Bedrohung, Stalking, Nötigung, Freiheitsberaubung, Zuhälterei und Zwangsprostitution. Täter waren dabei überwiegend Ehemann, (Ex)Partner oder männliche Angehörige.

Ich möchte aber noch mal klarer darstellen, was diese Zahlen bedeuten: Alle 4,5 Minuten wird eine Frau in Deutschland Opfer partnerschaftlicher Gewalt - also während dieser Rede fast 2 Frauen, alle 45 Minuten Opfer schwerer körperlicher Gewalt (also um es deutlicher zu machen: jede Schulstunde eine), alle 2,5 Stunden wird eine Frau Opfer von „Vergewaltigung, sexueller Nötigung“ und „sexuellen Übergriffen“.

Insgesamt starb 2021 etwa jeden dritten Tag eine Frau durch partnerschaftliche Gewalt und bald an jedem Tag fand ein Tötungsversuch statt.
Häusliche Gewalt zieht sich durch alle sozialen Schichten und Milieus.

Alle diese Daten beruhen auf den polizeilich registrierten Fällen von Partnerschaftsgewalt. Es wird von einem hohen Dunkelfeld ausgegangen, da zahlreiche Frauen schweigen und sich nicht an eine Beratungsstelle oder die Polizei wenden.
Aber Gewalt findet nicht nur hinter verschlossenen Türen, im privaten Umfeld, statt, sondern auch im öffentlichen Raum, im digitalen Raum oder auch durch Institutionen.

Manche Frauen sind stärker betroffen. Das betrifft z.B. mehrfach marginalisierte Personen, beispielsweise arme Frauen mit prekären Arbeitsverhältnissen, Frauen mit unsicherem Aufenthaltsstatus oder Frauen mit einer Behinderung.
Aber auch Frauen, die trans sind, sind besonders gefährdet, weil sie weniger Zugang zu Schutzräumen haben und weniger Unterstützung bekommen.

Was zudem immer noch vielfach vergessen wird, die Istanbul Konvention dient auch dem Schutz unserer Kinder. So ist z.B. die Berücksichtigung von gewalttätigem Vorfällen bei Entscheidungen über das Besuchs- und Sorgerecht zu berücksichtigen. Erst jüngst (31.3.23) wurde in einer Zeitschrift der Bundeszentrale für politische Bildung wieder berichtet, dass dies noch nicht immer Beachtung findet, mit fatalen Folgen für die Kinder. Auch die Deutschen Kinderhilfe hat hierzu erst vor kurzem ein Statement veröffentlicht.

Wir sind mit der Ratifizierung der Istanbul Konvention eine Verpflichtung eingegangen: Alle staatlichen Organe – darunter Gesetzgeber, Gerichte und Strafverfolgungsbehörden – haben die Verpflichtungen, die Konvention umsetzen. Gewaltschutz muss also stets Beachtung finden.

Eigentlich wünsche ich mir, dass wir diese Verpflichtung gar nicht brauchen.

Denn es ist unsere Verantwortung als Gesellschaft, als (Mit) Menschen, so zu handeln. Und unsere Verantwortung als Politiker*innen, alles für ein gewalt- und angstfreies Leben, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Aussehen und sozialer Lage zu tun. Denn Gewalt ist niemals eine Privatsache.

Und deswegen beantragen wir mit der Hoffnung auf volle Unterstützung durch dieses Parlament:

  1. Die Einrichtung einer Koordinierungsstelle (gem. Art. 10 IK) als zentrales Element.
    Bisher gibt es zum Glück schon an vielen Stellen Anlaufstellen zur Beratung, es gibt Frauenhäuser und weitere Unterstützungsmaßnahmen, die alle Großartiges leisten. Meist unter unsicheren Finanzierungsbedingungen und mit unzureichender Vernetzung. Was fehlt ist eine Gesamtstrategie zur Umsetzung der Istanbul Konvention. Hier setzt die Koordinierungsstelle an. Sie koordiniert die ressortübergreifende Umsetzung. Sie wirkt als zentrale Vernetzungsstelle, die auch nichtstaatliche Stellen und die Zivilgesellschaft einbindet.
    Und damit komme ich direkt zu Punkt zwei unseres Antrags:
  2. Neben der wichtigen Präventionsarbeit ist das Unterstützungs- und Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen gemeinsam mit den Kommunen weiter auszubauen und der Blick dabei auch auf die Bedarfe von Frauen in besonderen Lebenslagen zu richten. Ein paar davon habe ich eben erwähnt. Und ich möchte noch ergänzen, wichtig ist die Erreichbarkeit des Hilfesystems überall im Flächenland!
    Ein wichtiger Punkt ist natürlich, dass wir mit dem Bund zusammenarbeiten und dessen Unterstützung erhalten. Deswegen bitten wir die Landesregierung
  3. sich weiter auf Bundesebene für einen einheitlichen Rechtsrahmen bei der Frauenhausfinanzierung und für eine stärkere Beteiligung des Bundes an der Finanzierung von Gewaltschutzeinrichtungen einzusetzen.
    Und all das wird nicht ohne eine Absicherung der Finanzierung funktionieren. Deswegen ist es erforderlich, dass diese dauerhaft in die Mittelplanung aufgenommen werden und deswegen bitten wir
  4. die zur Umsetzung der Istanbul Konvention in Niedersachsen erforderlichen Mittel dauerhaft bereit zu stellen.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen muss flächendeckend verhindert und bekämpft werden. Die Umsetzung der Istanbul-Konvention ist ein wichtiger Schritt zum Schutz von Frauen und Mädchen vor häuslicher und sexualisierter Gewalt. Gewaltschutz ist eine ressortübergreifende Aufgabe und erfordert eine Gesamtstrategie. Diese Gesamtstrategie gilt es voranzubringen.

Wir bitten Sie um Ihre Unterstützung.

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