Swantje Schendel: Rede zur Änderung des Kammergesetzes für die Heilberufe (Gesetzentwurf CDU)
Rede TOP 11: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kammergesetzes für die Heilberufe (GE CDU)
- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleg*innen,
Wir leben in einer Welt voller Herausforderungen und Veränderungen, doch eines sollte konstant bleiben: das Recht eines jeden Kindes auf eine sichere und geborgene Kindheit. Da dieses Recht noch nicht für alle Kinder verwirklicht ist, ist es nur folgerichtig, dass wir uns im Landtag auch weiterhin mit Fragen des Kinderschutzes befassen.
Unsere Landesregierung ist dabei – anders als von der CDU dargestellt – entschlossen, den Kinderschutz zu stärken und effektiver zu gestalten. Im April 2023 wurde die Einrichtung eines Interministeriellen Arbeitskreises "Kinderschutz" (IMAK) beschlossen, dem das Ministerium für Inneres und Sport, das Justiz- und Kultusministerium, das Sozial- und das Wissenschaftsministerium sowie das Landesjugendamt (LJA) angehören. Dieser Arbeitskreis wird ein Konzept für eine Kinderschutzstrategie entwerfen und ist damit ein wichtiger Schritt in Richtung eines umfassenden Kinderschutzes.
Die Empfehlungen der "Lügde-Kommission" und der "Enquetekommission zur Verbesserung des Kinderschutzes und zur Verhinderung von Missbrauch und sexueller Gewalt an Kindern" aus der letzten Legislatur bilden dabei eine umfangreiche Grundlage, auf der die Arbeit des IMAK aufbaut. Unser Ziel muss es sein, Gefährdungen von Kindern und Jugendlichen konsequent entgegenzuwirken und Lücken im Kinderschutz noch besser zu schließen. Daher ist die Entwicklung einer Gesamtstrategie richtig und wichtig!
Ich verstehe aber auch, dass viele Menschen im Land sich auch kurzfristige Maßnahmen zur Verbesserung des Kinderschutzes wünschen. Der vorgeschlagene Gesetzesentwurf der CDU-Fraktion knüpft daran an und konzentriert sich auf einen kleinen Baustein im Bereich des Kinderschutzes – der Möglichkeit des interkollegialen Austauschs von Ärzt*innen.
Neben dem familiären und häuslichen Umfeld müssen auch Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen und Lehrkräfte sowie eben auch Ärzt*innen bei der Erkennung, Prävention und Reaktion auf Gewalt gegen Kinder einen Beitrag leisten.
In Bezug auf eine allgemeine Prävention durch Dritte ist ein wichtiger Beitrag das Früherkennungsuntersuchungssystem für Kinder, die so genannten U-Untersuchungen. Diese Untersuchungen sind nicht nur wichtig, damit Kinder gesund aufwachsen, Krankheiten früh erkannt und behandelt werden können, sondern auch, um Vernachlässigung und Kindeswohlgefährdung zu erkennen und entgegenwirken zu können. Hierbei wird deutlich, dass Ärzt*innen eine wichtige Rolle bei der Erkennung und Verhütung von Kindeswohlgefährdung einnehmen.
Dabei stehen Ärzt*innen jedoch generell vor der Herausforderung, Anzeichen für Kindesmisshandlung zu erkennen – weil sie Kinder eben selten nach direkter Gewalteinwirkung zu Gesicht bekommen. Des Weiteren stellt das "Ärztehopping" ein besonderes Problem dar.
Dieses Phänomen bezieht sich auf das Verhalten von Erziehungspersonen, die bei befürchteter oder tatsächlicher Entdeckung von Anzeichen von Missbrauch oder Vernachlässigung die laufende medizinische Behandlung beenden und anderswo wieder aufnehmen, manchmal sogar mit einer Veränderung des Lebensmittelpunkts der Familie, um sich dem Einfluss von Beobachtern oder örtlichen Jugendämtern zu entziehen.
Dementsprechend konzentriert sich der vorliegende Gesetzesentwurf auf die Änderung der Schweigepflichtsregelungen, mit dem Ziel, Ärzt*innen die Befugnis zu geben, im Falle des Bekanntwerdens gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen einen fallbezogenen interkollegialen Austausch durchzuführen.
Diese Änderung soll sicherstellen, dass Informationen effektiv zwischen medizinischen Fachkräften ausgetauscht werden können, wenn Anzeichen für Kindesmisshandlung oder Vernachlässigung vorliegen. Ob dies durch die Formulierungen aus ihrem Gesetzesentwurf gelingt, bleibt jedoch fraglich. Wir uns einig, dass wir die Möglichkeit des interkollegialen Austauschs zwischen Ärzt*innen in Landesrecht umsetzen wollen – sinnvoll kann aus unserer Sicht auch eine Änderung des Kammergesetzes sein. Aber: wie meine Kollegin Claudia Schüßler bereits dargestellt hat, ist die von Ihnen gewählte Formulierung einfach zu unspezifisch. Wenn wir hier Rechtssicherheit für Ärzt*innen erzielen wollen, müssen wir nachbessern.
Und nicht nur die Rechtssicherheit für Ärzt*innen spielt hier eine Rolle – fraglich ist auch, ob diese Maßnahme wirklich der große Wurf ist, als den sie ihn hier verkaufen wollen. Denn wenn meine neu behandelnde Ärztin gar nicht weiß, bei welchem Arzt ich vorher mit meinem Kind in Behandlung war – wie soll sie dann vom begründeten Verdacht auf Kindeswohlgefährdung erfahren?
Ich möchte also grundsätzlich ihren Vorstoß, liebe CDU-Fraktion, den Vorstoß zur Verbesserung des Kinderschutzes im medizinischen Bereich begrüßen – im Ziel sind wir uns ja bereits völlig einig. Aber: Vielleicht täten wir als Landtag ja aber auch gut daran, bei solchen Überlegungen die Expert*innenvorschläge der Enquetekommission zum Kinderschutz aus dem letzten Jahr zu berücksichtigen oder zumindest zu diskutieren.
Denn obwohl die Möglichkeit des interkollegialen Austauschs sich am Beispiel NRW auch im Enquetebericht wiederfindet, gehen die Vorschläge der Expert*innen doch weiter: Demnach sollten Verdachtsfälle von Kindesmisshandlung oder Vernachlässigung datenmäßig in Arztinformationssystemen oder den Portalen der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen erfasst werden, um den Folgen eines möglichen "Ärztehoppings" entgegenzuwirken. Auch hier stellt sich natürlich die Frage, wie zwischen begründeten und unbegründeten Verdachtsfällen unterschieden werden soll, welche konkreten Anhaltspunkte Anlass zu einer solchen Datenspeicherung geben können.
Auch müsste man diskutieren, ob die Folge nicht wäre, dass Ärzt*innen Kinder in Folge einer solchen Regelung seltener zu Gesicht bekämen und das empfindliche Vertrauensverhältnis zwischen Ärzt*innen und Patient*innen gestört werden könnte.
Aber: Das alles sollten wir eben diskutieren und abwägen – und vielleicht kommen wir dann gemeinsam zu dem Schluss, dass ein Gesamtkonzept wirksamer ist, als eine isolierte Einzelmaßnahme.
In diesem Sinne freue ich mich darauf, im Ausschuss die verschiedenen Vorschläge zu beraten und Möglichkeiten auszuloten, wie auch Ärzt*innen und medizinische Untersuchungen einen besseren Beitrag dazu leisten können, Kindeswohlgefährdung zu erkennen und zu begegnen.
Der Schutz von Kindern ist eine gemeinsame Aufgabe, die wir nur dann erfolgreich bewältigen können, wenn wir alle an einem Strang ziehen.
Vielen Dank.