Susanne Menge: Rede zum Glücksspielstaatsvertrag

TOP 12 Entwurf eines Gesetzes zum Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag 2021)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

Bad Zwischenahn 1979: Im Gemeinderat wurde diskutiert, ob eine intensive und überall präsente Werbekampagne für ein Spielcasino eines Kurortes würdig sei und ob man überhaupt, angesichts des hohen Suchtpotenzials des Glücksspiels, dafür werben dürfe.

Ich werde den Anblick rauchender, lediglich mit Schlappen und Schlafanzughosen bekleideter Männern, die wie paralysiert vor Automaten sitzend Markstück um Markstück im Sekundentakt in die Schlitze warfen und teilweise mehrere Automaten gleichzeitig bedienten, nicht vergessen.

Die Gemeinde hielt fest: Der Staat erfülle Vorkehrungen zur Suchtprävention und Sperrung bei Sucht. Nicht unerheblich seien die Einnahmen aus der Glücksspielabgabe für soziale und kulturelle Aufgaben.

Heute, 42 Jahre später hat sich das Spiel mit Automaten und Coins in die Privaträume der Menschen verlagert. Online Spielcasinos haben längst den virtuellen Raum erobert, darunter illegale Angebote, die es nun zu kontrollieren gilt.

Kontrolle, Suchtprävention und Schutz vor Spielsucht sind also die Ziele, die der Staat mit dem Glücksspielstaatsvertrag verfolgt.

Wie will der Staat Suchtprävention und Schutz der Konsument:innen nun gewährleisten?

  1. Online-Poker und Online-Wetten werden mit diesem Vertrag liberalisiert. Exzessive Werbung (siehe Jan Böhmermann Neo-Royal November 2020) für die Glücksspielbranche unterliegt keiner Beschränkung.
    Somit verfehlt der Staat das Ziel der Suchtprävention und des Schutzes der Konsument:innen  völlig. Es gehe, so Kritiker:innen, für den Staat in erster Linie um die höheren Steuereinnahmen.
  2. Es wird eine Behörde mit Sitz in Sachsen-Anhalt geben, die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder, kurz GGL. Diese Behörde wird Lizenzen vergeben für alle, auch für diejenigen, die bisher illegale Glücksspielgeschäfte angeboten haben.
    Spieler:innenschutz, Geldwäsche-Gefahren und die Einstufung in „zuverlässig“ für eine Branche, die sich seit Jahren nicht an staatliche Anordnungen gehalten hat, ist für einige Bundesländer zwar ein Problem, dennoch haben sie alle unterschrieben
  3. Problem: Online-Konzessionen und Kontrollen im virtuellen Raum und mit den virtuellen Mitteln des Staates.

Wir kennen alle das niederschmetternde Zeugnis für Niedersachsen bezüglich der Digitalisierung in unseren Behörden und Institutionen. Geschenkt. Dann macht es eben die neue Behörde in Sachsen-Anhalt.

Leider bleibt Sachsen-Anhalt beim Thema Digitalisierung einer Untersuchung zufolge hinter den meisten Bundesländern zurück. Laut Berliner Fraunhofer-Institut belegt Sachsen-Anhalt vor Thüringen den vorletzten Platz.

Aber, werden jetzt einige anmerken, das Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen (Onlinezugangsgesetz - OZG) hat Fortschritte gemacht.

Das sieht der WDR allerdings ebenfalls ganz anders. Zweieinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes ist der digitale Ist-Zustand in Deutschlands Behörden abgebildet worden. Das Ergebnis ist ebenfalls niederschmetternd.

Fazit: Suchtprävention bei gleichzeitiger massiver Bewerbung der Konsument*innen wird nicht nur fast unmöglich sein, sondern die Staatskosten für soziale Maßnahmen Spielsüchtiger und ruinöser privater Verhältnisse in die Höhe treiben.

Kontrollen über Geolokalisation, wenn sie auf dem Niveau stattfinden wie die Vergabe von Impfterminen, werden eine Herkulesaufgabe der Kontrollbehörden sein.

Und wer hofft, dass die Sperrung Spielsüchtiger oder derer, die hohe Summen verspielt haben, wenigstens über die Länderdomains gelingt, wird ebenfalls eines Besseren belehrt: Im Internet liefern die Glücksspielbetreiber selbst Anleitungen, wie die Casino- Ländersperre zu umgehen ist.

Trotzdem ist es richtig, dass der Staat regulierend in das Online-Glückspiel eingreift und damit zumindest als Regulativ den Schutz und Prävention für Konsument:innen anbietet. Das ist seine Aufgabe, auch wenn er diese im Rahmen des Staatsvertrages in meinen Augen aufgrund der Nichtbeschränkung der Werbung und der zu erwartenden Kontrollmängel viel zu geringschätzt.

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