Susanne Menge: Rede zum Gesetzentwurf zur Änderung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (TOP 21)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,

unsere Gesellschaft ist geprägt von Pluralität und immer mehr von einem breiten zivilgesellschaftlichen politischen Engagement. Viele kluge Menschen bringen sich vernünftig in Prozesse der Willensbildung und Entscheidungsfindung ein. Sie bereichern die vielfältigen kommunalpolitischen Diskussionen. Wir alle wollen auf diese Expertise nicht verzichten und haben deshalb Formen direktdemokratischer Beteiligung in die Gesetze aufgenommen.

Der bundesweit aktive Verein Mehr Demokratie e.V. gibt regelmäßig Berichte über Stand und Entwicklung der Instrumente direkter Demokratie wie Bürgerbegehren und -entscheide sowie Volksbegehren und -entscheide heraus.

Laut seinem erst kürzlich zusammen mit dem Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung der Bergischen Universität Wuppertal und der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie an der Philipps-Universität Marburg veröffentlichten „Bericht Bürgerbegehren 2020“ gab es in Niedersachsen von 1956 bis 2019 lediglich 376 Bürgerbegehren und 114 Bürgerentscheide.

Bundesweit gab es im gleichen Zeitraum 6.737 Bürgerbegehren und 4.107 Bürgerentscheide.

In der Regel kann man niedersächsische Zahlen mit 10 multiplizieren, um den entsprechenden bundesweiten Wert zu erhalten. Davon sind die niedersächsischen Zahlen in diesem Fall leider weit entfernt.

In Bayern, dem Land mit dem höchsten Anteil, fanden 2.574 Bürgerbegehren und 1.963 Bürgerentscheide statt. Das entspricht fast dem Siebenfachen bzw. bei den Bürgerentscheiden dem 17-fachen der hiesigen Zahlen.

Dazu passt, dass 42,2 Prozent der niedersächsischen Bürgerbegehren unzulässig waren. Dieser Prozentsatz ist der bundesweit dritthöchste. Den niedrigsten Anteil an unzulässigen Bürgerbegehren hat konsequenterweise Bayern mit 17,5 Prozent.

Sechs Bundesländer (Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Thüringen und Brandenburg) verzeichnen Werte von mehr als 40 Prozent.

Die Verfasser*innen des Berichts führen den niedrigen Anteil und damit die Unzulässigkeit von Bürgerbegehren auf die zu strikten gesetzlichen Regelungen zurück.

Diese Schlussfolgerung, geehrte Damen und Herren, muss uns allen zu denken geben.

Wir legen deshalb unseren Gesetzentwurf zur Änderung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes vor, mit dem wir an den neuralgischen Punkten ansetzen.

Wir wollen die niedersächsischen Regelungen im Interesse der Förderung der direkten Demokratie, die die Menschen zum Mitdenken, Mitentscheiden und Mithandeln motiviert, an die Standards derjenigen Bundesländer mit einem höheren Anteil direktdemokratischer Verfahren auf kommunaler Ebene angleichen.

Denn wenn Entscheidungen verstanden und mitgetroffen werden, dann werden sie auch mitgetragen und das Gemeinwohl gewinnt.

Damit stellen wir uns dem Gefühl des Abgekoppeltseins und der Politikverdrossenheit entgegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

zwar wurde die gesetzliche Grundlage für Bürgerbegehren und -entscheide im NKomVG immer wieder, zuletzt 2016, jeweils in geringem Ausmaß verändert, doch waren diese Schritte jeweils zu zaghaft, um eine deutliche Wirkung entfalten zu können. Die Reformschritte in anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Thüringen und Schleswig-Holstein waren deutlich größer.

In unserem Gesetzentwurf soll zunächst beim Einwohnerantrag ein Erfordernis gestrichen werden, das beim Bürgerbegehren bereits abgeschafft wurde.

Der zusammen mit dem Einwohnerantrag vorzulegende Kostendeckungsvorschlag ist beim Einwohnerantrag ebenso verfehlt und wird von uns als unnötige Hürde angesehen.

Im Wesentlichen befasst sich unser Gesetzentwurf jedoch mit den Regelungen zum Bürgerbegehren (§ 32 NKomVG) und zum Bürgerentscheid (§ 33 NKomVG).

Hier haben wir zahlreiche Ansatzpunkte identifiziert, die wir angehen, um die Anforderungen an die Zulässigkeit solcher Verfahren zu senken, das Verfahren transparenter und für die häufig beteiligten Laien verständlicher zu gestalten.

So wollen wir den sogenannten Ratsentscheid einführen, so dass die kommunale Vertretung, also der Rat bzw. der Kreistag oder die Regionsversammlung selber einen Bürgerentscheid beschließen können.

Das ermöglicht der Vertretung, Konkurrenzvorlagen mit zur Abstimmung zu stellen, falls es zu einem Bürgerentscheid kommt. Dies bietet sich für Fälle an, in denen die Vertretung eine wichtige bzw. kontrovers gebliebene Frage verbindlich nur unter Einbezug der Bürger*innen treffen möchte.

Auch neue, bisher ausdrücklich ausgeschlossene Themenkreise wollen wir der direkten Demokratie erschließen.

Es erschließt sich uns beispielsweise nicht, warum privatrechtlich organisierte aber faktisch durch die Kommune kontrollierte Einrichtungen nicht direktdemokratischen Entscheidungen zugänglich sein sollen.

Wenn sie von der Kommune kontrolliert werden, sollen die Bürger*innen auch über sie mitentscheiden dürfen.

Schließlich wollen wir auch zusätzliche politische Ebenen wie die Ortschaften und Stadtbezirke für Bürgerbegehren und –entscheide erschließen und - ganz wichtig - Fairness, Neutralität der Verwaltung sowie den Datenschutz zugunsten der Unterzeichner*innen der Bürgerbegehren voranbringen.

Geehrte Damen und Herren,

wir sind gespannt auf die Beratung, die vermutlich schon bald durch den Gesetzentwurf der Landesregierung zum NKomVG, der sich dem Vernehmen nach noch in der Verbändeanhörung befindet, bereichert werden wird.

Er befasst sich ebenfalls mit einigen in unserem Entwurf enthaltenen Punkten, schlägt aber leider nur teilweise eine ähnliche Richtung ein Ich hoffe, dass letztlich die direkte Demokratie als wichtiger und bereichernder Teil der repräsentativen Demokratie als Gewinnerin aus diesem Gesetzgebungsverfahren hervorgehen wird.

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