Susanne Menge: Rede "Sexuellen Missbrauch von Kindern bekämpfen" (TOP 9-11)

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Anrede,

Reaktionen von Politikerinnen und Politikern aller Couleur sind wichtige Botschaften. Sie vermitteln unsere Haltungen und Einstellungen und offenbaren unseren klugen oder weniger klugen Umgang mit einem Problem.

Die Vorfälle in Hameln-Pyrmont, Lügde und andernorts, wo Kinder Opfer von Gewalt und Macht sind, zeigen uns das riesengroße, gesamtgesellschaftliche Problem, das wir offensichtlich mit Macht, Hierarchien, Machtausübung – vor allem durch Männer – haben.

Diese Gesellschaft hat ein Problem mit Machtstrukturen, die wir überall vorfinden. Nicht nur dort, wo sexualisierte Gewalt herrscht.

Sexualisierte Gewalt ist immer Ausdruck von Machtansprüchen und Überlegenheit gegen andere. Ihr mit Strafe zu begegnen ist eine Form der Hoffnung darauf, Täter ließen sich dadurch abschrecken.

Aber reicht es aus, das Strafmaß für den Besitz und die Beschaffung von kinderpornografischem Material zu erhöhen?

Sollen diejenigen, geehrte Damen und Herren, denen sich Betroffene anvertrauen, zur Anzeige verpflichtet werden, weil sie um die sexualisierte Gewalttat wissen?

Wenn Opfer nach Jahren der Aufarbeitung und psychotherapeutischen Behandlung die Tat zwar zur Anzeige bringen können, diese jedoch in den meisten Fällen nicht zur Verurteilung für Gewaltvorfälle aus der Kindheit führen, bedeutet dies, dass wir die Auseinandersetzung um Verjährungsfristen und ihre echten Chancen inhaltlich längst nicht ausreichend debattiert haben.

Die vorliegenden Anträge zeigen einmal mehr, dass wir geneigt sind, sofort einen Weg aus einem Problem zu weisen – meistens in Form von Entschließungsanträgen. Sie haben nur leider den Nachteil, dass sie zu oft nur einen Bruchteil dessen spiegeln, was das Gesamtbild des Problems eigentlich ausmacht.

Reicht es also, das Strafrecht zu verschärfen, wenn wir denn feststellen, dass doch das Sexualstrafrecht einer kompletten Reform bedarf?

Und berücksichtigt der Antrag eigentlich die Perspektive der Opfer?

Was bedeutet es denn tatsächlich, sich jemandem anzuvertrauen damit, dass der Vater zu Hause an der Klitoris herumspiele? Und was bedeutet es für die Vertrauensperson zu wissen, dass man sich strafbar macht, wenn man dieses Wissen nicht zur Anzeige bringt?

Gegen die Anzeigenpflicht hat sich das Justizministerium im AfRuV ausgesprochen und es sogar für wahrscheinlich gehalten, dass dadurch weniger Straftaten aufgeklärt würden, weil Menschen sich noch weniger öffneten – zumal auch Täter dies als Druckmittel gegen Kinder benutzen würden und kindliche Ängste schürten.

Ihre Begründung, warum Sie aus SPD und CDU dennoch am Antrag festhalten und ihn nicht, wie von FDP und Grünen beantragt, in die Enquete zur Beratung überweisen wollen, ist folgende:

- Sie wollen mit diesem Antrag den Schwerpunkt auf die Arbeit der Justizbehörden legen;

- Die Enquete gegen sexualisierte Gewalt sei breiter aufgestellt und befasse sich eher nicht mit juristischen Fragen;

- der Antrag sei lang und breit diskutiert worden, es habe keine Widersprüche gegeben, sodass man das jetzt abstimmen wolle;

- die Enquete sei durch den Antrag gar nicht eingeschränkt in ihrer Arbeit, denn sie könne ja zu einem anderen Ergebnis gelangen.

Zu diesen Argumenten ist zu sagen, dass die Arbeit in der Enquete nicht ausreichend wäre, würde sie nicht Täter und die Rolle der Opfer auch im Kontext der Rechtsprechung und Strafverfolgung sehen.

Die Breite der Themen in der Enquete greifen auch Sie im Antrag auf und stellen den Zusammenhang her:

Die Vernetzung zwischen Strafverfolgungsbehörden, dem Landespräventionsrat, den Jugendämtern, Schulen, Kinderärzten, Kinderschutzzentren, Mädchenhäusern sei zu optimieren,

sie möchten Beratung und die Förderung von Projekten stärken und die Digitalisierung betrachten auch Sie als Herausforderung.

Dass der Antrag von SPD und CDU lang und breit diskutiert worden ist kann widerlegt werden: Sie befassen sich erstmals im Juni damit, es folgt die Sommerpause und bis auf die Stellungnahme des Justizministeriums hat keine Anhörung oder Unterrichtung zu Ihren Forderungen nach Anzeigenpflicht und Verjährung stattgefunden.

Was heißt das für die Politik?

Erst einmal nicht so viel, denn es wiederholt sich eben, was wir alle so gut können:

Nicht einen Schritt zurückzugehen unter dem Eindruck des begründeten Zweifels und neu zu diskutieren.

Meine Damen und Herren, wenn man nach aufmerksamem Zuhören der Meinung ist, dass man seine Überzeugung noch einmal hinterfragen sollte, dann sollten wir alle uns viel stärker darin üben, die Courage dafür zu besitzen und es zu tun.

Es wäre couragiert, die Enquete befreit von vorher festgelegten Forderungen ihre Arbeit aufnehmen zu lassen, Zusammenhänge zur Justiz herzustellen und strafrechtsrelevante Forderungen mit Fachleuten zu diskutieren.

Der Antrag der SPD und CDU entreißt zentrale justizrelevanten Aussagen dem Gesamtzusammenhang zur sexualisierten Gewalt. Er will Forderungen durchsetzen, die das Gegenteil dessen bewirken, was Sie eigentlich wollen, nämlich den Opfern Schutz zu bieten.

Eine Überzeugung ist kein Indiz für ihre Richtigkeit, eine Festlegung kein Indiz für den richtigen Weg.

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