Antrag: Situation von häuslicher Gewalt Betroffener verbessern - Modellprojekt „Psychosoziale Prozessbegleitung in Gewaltschutzverfahren“ fördern und umsetzen

Fraktion der SPD

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Niedersachsen unternimmt bereits viel zum Schutz vor häuslicher Gewalt. Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte nehmen sich des Themas aktiv an. Es gibt umfangreiche Präventionsangebote. Die spezialisierten Beratungs- und Interventionsstellen bieten den Opfern eine professionelle, sensible und lebenspraktische Unterstützung und Beratung auf dem Weg aus der Gewalt.

Zur effektiven Bekämpfung häuslicher Gewalt gehört aber auch effektiver Gewaltschutz. Nur wenn der Grundsatz „Wer schlägt, muss gehen.“ mit Leben gefüllt wird, können die Opfer darauf vertrauen, dass der Staat sie tatsächlich schützen und ihnen helfen kann.

Der Weg zu einer gerichtlichen Gewaltschutzanordnung ist für die Opfer, trotz aller Anstrengungen der Justiz um einen angemessenen Umgang mit den Opfern, mit unvermeidlichen Belastungen verbunden. Schon die Entscheidung, überhaupt gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, stellt für die Betroffenen eine erhebliche Hürde dar. In vielen Fällen müssen die Opfer zudem im Laufe des Verfahrens den Täterinnen und Tätern im Gerichtssaal gegenübertreten und sich den Fragen des Gerichts und der übrigen Prozessbeteiligten stellen. Nicht selten kommen dabei intime Details zur Sprache.

Mit der psychosozialen Prozessbegleitung besteht in Niedersachsen seit mehreren Jahren ein hochqualifiziertes Angebot, um Menschen in der Belastungssituation eines Strafverfahrens zu unterstützen. Opfer von Straftaten, die als Zeuginnen und Zeugen oder Nebenklägerinnen und Nebenkläger an einem Strafverfahren beteiligt sind, werden dabei durch speziell geschultes Personal während des gesamten Verfahrens begleitet. Im Mittelpunkt steht die Unterstützung bei der psychisch-emotionalen Bewältigung des Verfahrens. Dieses wichtige Unterstützungsangebot nehmen von Jahr zu Jahr mehr Verletzte in Niedersachsen in Anspruch.

Eine psychosoziale Begleitung der Opfer häuslicher Gewalt in einem gerichtlichen Gewaltschutzverfahren erfolgt bisher anders als im Strafverfahren nur vereinzelt. Die Belastung der Opfer durch ein Gewaltschutzverfahren ist jedoch regelmäßig mit denjenigen in einem Strafverfahren vergleichbar. Eine Ausweitung der psychosozialen Prozessbegleitung auf Gewaltschutzverfahren erscheint deshalb als ein sinnvoller Schritt, um Opfern häuslicher Gewalt auch in diesem Bereich effektiver als bisher Hilfe und Unterstützung anbieten zu können.

Ob sich eine Ausweitung der psychosozialen Prozessbegleitung auf Gewaltschutzverfahren auch praktisch bewährt, kann sinnvollerweise zunächst in einem Modellprojekt geklärt werden. Dieses sollte durch eine Projektgruppe evaluiert werden, um in einem nächsten Schritt über die landesweite Implementierung der psychosozialen Prozessbegleitung in Gewaltschutzverfahren entscheiden zu können. Auf Grundlage der Erfahrungen, die durch eine Ausweitung der psychosozialen Prozessbegleitung auf Gewaltschutzverfahren gewonnen werden, kann in einem weiteren Schritt geprüft werden, ob und in welchen Fällen eine Ausweitung der psychosozialen Prozessbegleitung noch auf weitere Verfahrensarten möglich und sinnvoll ist.

Der Landtag bittet die Landesregierung aus diesem Grund,

  1. zeitnah ein Modellprojekt zur Implementierung der psychosozialen Prozessbegleitung in Gewaltschutzverfahren zu entwickeln.
  2. das Modellprojekt durch eine entsprechende Projektgruppe begleiten und evaluieren sowie etwaige prognostische Mehrbedarfe für die psychosoziale Prozessbegleitung in Gewaltschutzverfahren ermitteln zu lassen.
  3. im Fall einer positiven Bewertung des Modellprojekts die psychosoziale Prozessbegleitung in Gewaltschutzverfahren landeswert zu implementieren.
  4. in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob die psychosoziale Prozessbegleitung noch auf weitere Handlungsfelder ausgedehnt werden sollte.

Begründung

Häusliche Gewalt ist auch in Niedersachsen keine Randerscheinung, sondern für viele Betroffene, in den allermeisten Fällen Frauen und Kinder, schrecklicher Alltag. Landesweit hat die Polizei im Jahr 2022 knapp 27.000 Fälle von häuslicher Gewalt registriert. Das sind im Schnitt 74 Fälle pro Tag und 11 Prozent mehr als noch 2021. Die Dunkelziffer ist zweifellos noch weitaus höher.

Das Angebot der psychosozialen Prozessbegleitung bei Strafverfahren besteht in Niedersachsen bereits seit dem Jahr 2013. Es handelt sich um ein umfassendes Angebot der qualifizierten Begleitung und Betreuung von Verletzten vor, während und nach einem Strafverfahren.

Die psychosoziale Prozessbegleitung wird durchgeführt auf der Grundlage verbindlicher Grundsätze und Qualitätsstandards. Die von der psychosozialen Prozessbegleitung angewandten Methoden und Standards haben sich seit ihrer Einführung bewährt und zu einer Stärkung der Verletzten in Strafverfahren geführt. Der Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen (Mai 2022) kommt zu dem Ergebnis, dass sich die psychosoziale Prozessbegleitung positiv auf die Stabilität und die Zuverlässigkeit der verletzten Zeuginnen und Zeugen auswirkt.

Die Ausweitung dieses wirksamen Instrumentes auf weitere Verfahren erscheint folgerichtig. Dabei sollten zunächst vorrangig die Gewaltschutzverfahren in den Fokus genommen werden, um das Gewalterleben der Betroffenen effektiv zu beenden und diese bei der Wahrnehmung ihrer Rechte optimal zu unterstützen. Dies wird untermauert durch den „Evaluationsbericht des Landesaktionsplans III zur Bekämpfung häuslicher Gewalt Niedersachsen – Methoden, Befunde und Ergebnisse im Lichte der Istanbulkonvention“ (Kotlenga, S., Sieden, M. & Nägele, B. (2021). In diesem Bericht befürworten die befragten Praktikerinnen und Praktiker deutlich, die psychosoziale Prozessbegleitung auch in Gewaltschutzverfahren einzusetzen.

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