Rede Ursula Helmhold: Partnerschaftliche Sozialpolitik
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Anrede,
ich zitiere mal aus der Regierungserklärung vom 4. März 2003:
"Die neue Landesregierung bietet den gemeinnützigen, kirchlichen und privaten Trägern an, unter Beachtung der finanziellen Möglichkeiten des Landes und unter Einbeziehung der Kommunen einen gemeinsamen Weg zu einem sozialen Niedersachsen verbindlich zu verabreden.
Wir bieten diesen Menschen, diesen Trägern und Organisationen an, mit ihnen Vereinbarungen zu treffen, damit sie als soziale Initiativen, gemeinnützige oder private Träger in Zukunft wieder wissen, woran sie sind."
Gleich zu Beginn der Legislaturperiode legten die Regierungsfraktionen hier einen Antrag zur "partnerschaftlichen Sozialpolitik" vor, in dem Partnerschaft und Verlässlichkeit geradezu beschworen wurden.
Wirklich feine Wort waren das und schöne Versprechungen. Wie aber sah die Realität für die Träger der sozialen Arbeit aus?
Genau 4 Monate nach der schönen Regierungserklärung kündigte die Landesregierung ohne Informationen und ohne Vorankündigungen die Vereinbarungen die Vereinbarung über die Verwendung der Konzessionsabgaben mit der freien Wohlfahrtspflege zum 31.12.2003.
In einem ersten Verhandlungsgespräch einigten sich Sozialministerium und Verbände darauf, dass die Mittel nicht angetastet werden sollten, sondern man sich lediglich über die Vertragsinhalte verständigen wollte. Dazu gab es sogar eine gemeinsame Presserklärung.
Nur einen Tag später beschloss das Kabinett eine 10%ige Kürzung der Mittel.
Anrede,
Verabredungen mit Halbwertzeiten von 24 Stunden kann man auch bei allerfreundlichster Betrachtungsweise nicht mehr als verlässlich bezeichnen.
Aber das ist, auch wenn es kaum zu glauben ist, noch steigerungsfähig.
Zum 1.1.2004 wurde ein neuer Vertrag unterschrieben.
Die Verbände verließen sich auf die Zusage, dass es jetzt keine weiteren Kürzungen nicht geben werde.
Und nun wollen Sie die Konzessionsabgabe wieder um 11% kürzen.
Ich sage Ihnen ehrlich: Ich finde diesen Umgang mit den Verbänden ungehörig.
Dasselbe Spiel haben sie mit den blinden Menschen in Niedersachsen getrieben. Im letzten Jahr Kürzung um 20% mit der Ansage, das sei es aber gewesen.
Nun sagen sie wieder "April April" und schaffen das Landesblindengeld völlig ab. Ich bin wirklich gespannt, ob Ihren Einlassungen, man könne über einen Kompromiss nachdenken, wirklich Taten folgen. Ich hoffe, dass die 140 000 Unterschriften, die inzwischen gesammelt worden sind, diesen
Nachdenkprozess befördern werden
Wie glaubwürdig ist eine Sozialpolitik, die blinde Menschen reihenweise auf die Straße treibt, weil sie zu Recht Angst haben, dass ihr Recht auf Teilhabe von dieser Landesregierung kaltherzig abgeschafft wird.
Wie glaubwürdig sind die Äußerungen einer Regierung, die alle Wohlfahrtsverbände dazu zwingt, Brandbriefe zu schreiben, weil sie die bewährte Sozialpartnerschaft extrem gefährdet sehen?
Wie ernst dürfen wir den Stellenwert der Sozialpolitik der Regierung vor diesem Hintergrund nehmen?
In einer Erklärung aus Anlass des einjährigen Regierungswechsels erklärten Ministerpräsident Wulff und sein Vertreter Minister Hirche:
"Die Politik in Niedersachsen hat sich in diesem Jahr nach Stil und Inhalt grundlegend verändert."
Ja, treffender hätten wir es auch nicht ausdrücken können. Einen solchen Umgang hat es hier bisher wirklich noch nicht gegeben.
Bezeichnend übrigens auch, dass sich der umfangreiche Text seitenweise mit Themen wie Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik, Verkehrpolitik, Innere Sicherheit und Verwaltungsmodernisierung beschäftigt. Der Sozialpolitik widmeten die Herren nicht eine Zeile.
So viel zum Stellenwert des sozialen Niedersachsens.
Und wie geht diese Landesregierung mit den in den sozialen Einrichtungen arbeitenden Menschen um?
Gelder werden nur schleppend oder verspätet bewilligt. Bescheide werden erst am Ende der Bewilligungsfrist bewilligt und zudem mit dem Bescheid versehen, eine weitere Bewilligung könne in Hinblick auf die Haushaltslage nicht zugesichert werden. Damit ist soziale Arbeit nicht mehr planbar und es hat überdies eine verheerende Auswirkung auf die motivierten Mitarbeiterinnen. In dieser fortdauernden Situation des Ungewissen springen diese dann teilweise ab und sind nicht wieder zu ersetzen.
Daneben werden Kürzungen sehr kurzfristig angekündigt und bringen Einrichtungen in arbeitsrechtlich sehr schwierige Situationen.
Anrede,
in allen möglichen Verlautbarungen beschwören Sie das Ehrenamt und seinen hohen Stellenwert. Gleichzeitig bringen Sie Einrichtungen an den Rand der Existenz und sorgen dafür, dass Fachkräfte wegbrechen. Ohne ein hauptamtliches Rückrad ist aber eine Gewinnung und Schulung von Ehrenamtlichen nicht möglich, denn die bewegen sich doch nicht im luftleeren Raum. Auch durch die Streichung von Kleinstförderungen beschädigen Sie ehrenamtliches Engagement ganz erheblich. Wenn man dazu noch bedenkt, dass an den Landesmitteln sehr oft Mittel anderer hängen, die dann ebenfalls wegfallen, richten Sie mit Ihrer Politik in der sozialen Landschaft einen gewaltigen Schaden an.
Anrede, Damals habe ich zu Ihrem Antrag "Partnerschaftliche Sozialpolitik" gesagt: Der Antrag ist doch eigentlich überflüssig, denn alles, was in dem Antrag steht, ist selbstverständlich, und ich gehe davon aus, dass das so gemacht wird. Heute sage ich: Leider macht das Verhalten dieser Landesregierung diesen Antrag erforderlich; denn Sie müssen sich schon an Ihren eigenen dort formulierten Ansprüchen messen lassen.