Rede Ursula Helmhold: Paketverkauf der Landeskrankenhäuser stoppen ? Psychiatrische Versorgung regional und gemeindenah organisieren

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Anrede,
der Kabinettsbeschluss zum Verkauf der Landeskrankenhäuser hat für erhebliche Unruhe gesorgt und erfüllt alle Betroffenen mit großer Sorge.
Diesem Beschluss lagen keinerlei fachlich-inhaltliche Erwägungen zugrunde, es ging allein darum, Haushaltslöcher zu stopfen. Der Finanzminister hat die Psychiatrie als Geldquelle entdeckt und die Sozialministerin scheint die Psychiatrie in Niedersachsen kampflos preisgeben zu wollen.
Lassen Sie mich mal bei den ökonomischen Fakten beginnen:
Es ist keinesfalls so, dass die Niedersächsischen Landeskrankenhäuser defizitär arbeiten würden. Der Bilanzgewinn lag allein im Jahre 2004 bei 5,22 Millionen Euro. Der Maßregelvollzug nimmt, was Wirtschaftlichkeit, therapeutische Effizienz und Sicherheit angeht, eine bundesweite Spitzenposition ein.
Sie können sich bei Ihrer Verkaufsaktion auch nicht auf das Gutachten des Landesrechnungshofs stützen: Der schlägt Ihnen keinesfalls einen Verkauf vor, sondern lediglich eine Änderung der Rechtsform in Anstalten öffentlichen Rechts. Allerdings schreibt er der Sozialministerin etwas anderes ins Stammbuch: "Das MS hat als Träger der NLKH seine Aufgaben im Bereich der Steuerung, Lenkung und Strategieentwicklung nur unzureichend wahrgenommen. Kooperationen und Zusammenarbeit zwischen den NLKH finden nur in wenigen Bereichen statt; mögliche Synergieeffekte bleiben dadurch ungenutzt. Das MS hat nicht dafür gesorgt, dass die NLKH angemessen betriebswirtschaftlich gesteuert werden. Es hat weder die Jahresberichte in der gebotenen Weise ausgewertet, noch interne und externe Betriebsvergleiche durchgeführt oder ein überörtliches Controlling mit entsprechenden Kennzahlensystemen eingerichtet."
Anrede,
das Ministerium hat in der Vergangenheit geschlafen und die niedersächsische Psychiatrie soll mit dem übereilten Verkauf jetzt dafür bezahlen!
Fachlich inhaltliche Gründe für einen Verkauf haben wir von Ihnen bislang noch nicht gehört.
Sie stützen Ihre ganze Argumentation auf zwei Annahmen. Die eine heißt: Die Landeskrankenhäuser werden zukünftig nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können.
Ich sage Ihnen: Wenn man sie ließe und das Ministerium die entsprechende Unterstützung leisten würde, ginge das sehr wohl.
Die zweite Annahme:
Das Land braucht 200 neue Betten im Maßregelvollzug. Das stimmt so nicht ganz, denn bei 980 Plätzen werden derzeit 1158 Patienten im Maßregelvollzug tatsächlich betreut. Die Einrichtungen waren bislang sehr wohl in der Lage, die Betreuung und Unterbringung aller Patienten zu gewährleisten.
Lassen Sie mich einige Problembereiche Ihres Vorhabens einmal etwas genauer beleuchten:
Erstens: Sie wollen den Maßregelvollzug privatisieren. Hier haben wir erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, denn der Maßregelvollzug greift in die Rechte der Betroffenen ein. Wegen der noch nicht evaluierten Erfahrungen in Schleswig-Holstein und Thüringen rät auch der Landesrechnungshof von einem solchen Vorhaben ab. Wie Sie wissen ist in Schleswig-Holstein in Zusammenhang mit der Privatisierung des Maßregelvollzugs eine Klage anhängig, die sicherlich wegen der grundlegenden Bedeutung vor das Bundesverfassungsgericht kommen wird. Und da wollen Sie mal eben privatisieren mit dem lapidaren Hinweis des Staatssekretärs, das ließe sich alles vertraglich regeln. Da wäre ich aber ganz vorsichtig, meine Damen und Herren.
Die Landesregierung hat in der jüngsten Vergangenheit sowohl beim Polizeigesetz als auch beim Mediengesetz deftige Watschen von Verfassungsgerichten eingesteckt. Die dritte Wange zum Hinhalten fehlt und überhaupt sollten Sie es darauf nicht ankommen lassen.
Aber auch aus anderen Gründen verbietet sich eine Privatisierung des Maßregelvollzugs. Das Land bliebe mit den Pflegesätzen in der Pflicht. Da ein privater Betreiber naturgemäß wenig Interesse daran haben kann, therapieintensive Behandlung und Rehabilitation statt Verwahrung zu betreiben, würden Belegungszahlen und Aufenthaltsdauern steigen. Das Land muss zahlen. Eine Zunahme der Verweildauer von nur einem Monat würde das Land mit 6,6 Millionen Euro belasten. Was Sie da vorhaben ist äußerst kurzsichtig.
Eins wissen wir auch schon aus den Erfahrungen aus Thüringen: die Pflegesätze im Maßregelvollzug sind dort auf 240 Euro angestiegen. In Niedersachsen würde der Landeshaushalt jährlich mit ca. 20 Millionen Euro belastet. Hinzuzurechnen ist die Amortisation der Investitionskosten für zusätzliche Betten in den Pflegesätzen. Und da sprechen Sie von Einsparungen!
Es ist ferner zu befürchten, dass sich die Sicherheitslage durch Kostensenkungen beim Personal und Erhöhung rein technischer Sicherheitsmaßnahmen verschlechtern wird. Sicherheit im Maßregelvollzug entsteht nicht durch Mauern und Schlösser, sondern durch intensive Beziehungsarbeit.
Und auch hier gilt: Das Land hat es in der Hand, Kosteneinsparungen zu erzielen, wenn es denn dafür sorgen würde, dass endlich die forensischen Institutsambulanzen in der erforderlichen Zahl eingerichtet würden und die Prognosekommission ihre Arbeit aufnehmen könnte. Dies würde es ermöglichen, den stationären Bereich zu entlasten und macht Ihre Hypothese der 200 benötigten Betten noch zweifelhafter.
Ich fasse zusammen: Eine Privatisierung des Maßregelvollzugs verbietet sich aus den unterschiedlichsten Gründen.
Anrede,
ich komme nun zum zweiten Punkt unseres Entschließungsantrags:
Falls es dennoch zu einem Verkauf käme, darf dieser nicht als Paketverkauf stattfinden. Dagegen sprechen nicht nur kartellrechtliche Gründe, sondern - was viel schwerer wiegt: auch fachlich- inhaltliche.
Es ist schon interessant zu verfolgen, mit wie vielen und sich verändernden Positionen Landesregierung und Koalitionsfraktionen hier durchs Land ziehen.
Der Staatssekretär, den die Ministerin, wohl aus Kompetenzteamzeitmangelgründen an ihrer statt die Betroffenen besuchen lässt, gibt die Parole aus "Nicht um jeden Preis zu jedem Preis". Aber es ist doch das erklärte Ansinnen des Finanzministers, Geld, also doch wohl so viel wie möglich, in die Kasse zu kriegen. Seine Assistenz übernimmt offenbar der Fraktionsvorsitzende der CDU, der von einem Paketverkauf nur abrücken will, wenn es kartellrechtliche Schwierigkeiten gibt. Und die FDP rudert schon leicht zurück, was den Paketverkauf und die Privatisierung des Maßregelvollzugs angeht.
Das Publikum staunt und wartet auf Transparenz in Zeiten der Verunsicherung.
Aber lassen Sie uns doch auch einmal über inhaltliche Aspekte reden. Die gemeindenahe Behandlung und Versorgung von psychisch kranken Menschen als gesundheitspolitische Zielsetzung muss in Niedersachsen in vielen Bereichen noch weiter vorangetrieben werden. Der derzeitige Zustand kann keinesfalls als Endpunkt verstanden werden. Bei einem Paketverkauf würde eine weitere Regionalisierung selbstverständlich nicht im Interesse des dann agierenden Monopolisten liegen. Die notwendige gemeindenahe Versorgung durch weitere Verkleinerungen der Landeskrankenhäuser und die Dezentralisierung des Versorgungssektors durch Gründung weiterer Abteilungspsychiatrien liegt nicht in deren wirtschaftlichem Interesse. Sie kann jedoch in öffentlicher Trägerschaft erfolgreich erfolgen, wie das Beispiel Lüneburg zeigt.
Es kann nicht angehen, dass das Land durch eine gewerbliche Privatisierung sich jeglicher Steuerungsmöglichkeiten im Bereich der Psychiatrie begibt.
Ich fasse zusammen: Ein Paketverkauf verbietet sich aus verschiedenen Gründen.
Anrede,
wir Grünen lehnen Veränderungen nicht grundsätzlich ab. Vordringlich ist die Bildung einer oder mehrerer Anstalten öffentlichen Rechts oder gemeinnütziger Gesellschaften. Ob im Mehrheitseigentum des Landes oder anderer Körperschaften oder auch Mitarbeiterbeteiligungsmodelle wäre zu prüfen.
Wir meinen auch: Das Land muss nicht notwendigerweise Träger von Landeskrankenhäusern sein.
Da wo es bewährte und zuverlässige regionale Krankenhausträger gibt, können diese durchaus als neue Träger der Psychiatrien in Frage kommen.
Aber: es dürfen keine gewerblichen Träger sein. Psychiatrie ist keine Ware, mit der nach Gewinnmaximierungsprinzipien gearbeitet werden kann.
Die bisherigen Erfahrungen mit einem privaten Betreiber in Niedersachsen zeigen doch: psychiatriepolitische Grundlagen werden nicht anerkannt, Sozialpsychiatrie findet nicht statt. Es findet keine Zusammenarbeit im sozialpsychiatrischen Verbund statt, es finden keine Hilfeplankonferenzen statt. Darüber hinaus benutzt der private Betreiber die Klinik als Durchlauferhitzer und Rekrutierungsstation für seine eigenen ausufernden Heimbereiche. Neben den Auswirkungen für die betroffenen Menschen entstehen auch hier immense Folgekosten im Rahmen der Eingliederungshilfe. Die Kommunen und das Land werden gleichermaßen belastet und die Einsparhoffnungen des Finanzministers endgültig zur Seifenblase.
Über das Problem der assoziierten Heimbereiche informiert ausführlich der 19. Bericht des Ausschusses über die Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung, der bereits im Jahre 2003 dieses Problem thematisierte.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, sollte bei diesem sensiblen Thema auch nicht unter Zeitdruck gearbeitet werden. Einzelne regionale Ausschreibungen dürfen erst erfolgen, wenn die Empfehlungen der von der Sozialministerin eingerichteten Projektgruppe ausgewertet worden sind. Ich hoffe sehr, dass entgegen dem bisherigen Vorschlag auch die Angehörigenvertreter und Psychiatrieerfahrenen in dieser Gruppe vertreten sein werden.
Unser Antrag fordert, grundsätzlich folgende Bedingungen zu beachten:
Es sollen nur nicht-gewerbliche Träger zum Zuge kommen;
Es sollen die Träger die Versorgung übernehmen, die die Versorgung gemeindenah als Abteilungspsychiatrien organisieren können;
Sie sind auf die Zusammenarbeit im sozialpsychiatrischen Verbund zu verpflichten;
Die Besuchskommissionen bleiben uneingeschränkt erhalten;
Die Institutsambulanzen sind weiter zu betreiben, neue forensische Institutsambulanzen sind zu forcieren und eine Prognosekommission ist schnellstmöglich einzurichten;
Zur Sicherung der Rechte der Beschäftigten sind Dienstvereinbarungen abzuschließen, die mindestens die Regelungen aus Schleswig-Holstein umfassen.

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