Rede Ursula Helmhold: Niedersachsen zum Musterland für bürgerschaftliches Engagement entwickeln
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Anrede,
spätestens seit Veröffentlichung der Pläne des Verteidigungsministeriums, die Bundeswehr bis 2010 auf 250.000 Mann zu reduzieren, ist klar, dass die allgemeine Wehrpflicht ein Auslaufmodell ist - und damit auch der unmittelbar mit ihr verknüpfte Zivildienst. Schon heute werden nur noch 20% eines Jahrgangs tatsächlich eingezogen – von Wehrgerechtigkeit kann also nicht mehr die Rede sein.
Die Veränderungen im Wehrdienst werden unmittelbare Auswirkungen auf den sozialen Bereich haben, weil der Zivildienst in den vergangenen Jahren insbesondere im Gesundheits- und Pflegebereich zu einer wichtigen Säule geworden ist. Wir müssen uns deshalb schnell darüber verständigen, wie diese Aufgaben zukünftig erledigt werden sollen.
Der von der Kommission "Impulse für die Zivilgesellschaft-Perspektiven für Freiwilligendienste und den Zivildienst" vorgelegte Bericht macht deutlich: Der Strukturwandel im Zivildienstbereich ist möglich. Bereits heute hat sich in einigen Bereichen die Konversion des Zivildienstes in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse vollzogen, so zum Beispiel bei den Rettungsdiensten. Und viele Träger sind weiter als die niedersächsische Sozialministerin, die schlicht die Beibehaltung des Zivildienstes fordert und sich nicht den anstehenden Herausforderungen stellt. Sie planen mit einem Mix aus Freiwilligendiensten und sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten. Und was spricht dagegen, in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit Arbeit durch regulär Beschäftigte verrichten zu lassen? Gesellschaftlich ist die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze für gering oder gar nicht qualifizierte Arbeitskräfte von großer Bedeutung und dafür sind die Arbeitsplätze, die derzeit von Zivildienstleistenden besetzt sind, besonders geeignet.
Kontraproduktiv in diesem Zusammenhang ist die Forderung nach einem Zwangsdienst für junge Menschen, wie er von Politikern von CDU und SPD flugs gefordert wurde. Zumindest der ehemalige niedersächsische Innenminister sollte wissen, dass dem nicht nur unsere Verfassung, sondern auch das Völkerrecht entgegensteht. Daneben ist diese Forderung insbesondere für Frauen, die im Regelfall quasi lebenslang den Sozialdienst von Kindererziehung und Pflege alter Menschen leisten, eine unglaubliche Zumutung.
Die Freunde des Zwangsdienstes müssen mir darüber hinaus mal erklären, wie sie die geschätzten Kosten von bis zu 10 Milliarden Euro pro Jahr zu finanzieren gedenken.
Zwang verhindert Freiwilligkeit: Je mehr ein Staat versucht, seine BürgerInnen zu etwas zu zwingen, desto weniger sieht sich der Einzelne in der Pflicht, sich zu engagieren. Man kann doch gesellschaftliches Engagement nicht obrigkeitsstaatlich verordnen!
Und das geht schon gar nicht vor dem Hintergrund, dass gerade junge Menschen sich engagieren möchten und dies nicht können:
2003 gab es für die 175 Plätze im Freiwilligen Ökologischen Jahr 600 Bewerbungen, jeder Platz im Freiwilligen Kulturellen Jahr hätte 8 mal besetzt werden können und das diakonische Werk Hannover hatte für 190 Plätze im Freiwilligen Sozialen Jahr 300 Bewerbungen. Das ist doch ein Unding, wenn junge Menschen zurückgewiesen werden und man ihnen sagt, wir brauchen und wollen Dich nicht.
Darum müssen diese Plätze dringend ausgebaut werden und um neue Tätigkeitsfelder ergänzt werden. Parallel dazu müssen die freiwilligen Jahre künftig verstärkt beworben werden. Es darf kein junger Mensch mehr aus der Schule entlassen werden, ohne auf die Möglichkeit eines freiwilligen Jahres aufmerksam gemacht worden zu sein. Ein Bonussystem könnte die Motivation noch zusätzlich erhöhen.
Den Schulen kommt in diesem Zusammenhang überhaupt eine Schlüsselrolle zu. Hier kann bürgerschaftliches Engagement erfahren und erlernt werden. Vorhandene Programme, etwa Mentorinnenprogrammen für Schülerinnen und Schüler müssen ausgebaut und erweitert werden.
Warum soll man in der Schule nicht Musik-, Sport-, oder Verkehrserziehungsmentor werden können, warum nicht den Jugendgruppenleiterschein erwerben können?
Es müssen jetzt die Weichen gestellt werden für die Zeit nach dem Zivildienst. Es ist Aufgabe der Landesregierung, jetzt die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, unter dem freiwilliges Engagement sich entfalten kann. Niedersachsen liegt mit einer Engagiertenquote von 31% am Ende der bundesdeutschen Flächenländer. In der Regierungserklärung widmete die Landesregierung dem Thema gerade mal 7 Zeilen. Das reicht nicht. Als Vorbild kann hier Baden-Württemberg dienen, dass seit Jahren bürgerschaftliches Engagement konsequent fördert und wo 40% der Bevölkerung sich engagieren.
In unserem Antrag machen wir auch eine Reihe von Vorschlägen für die Förderung des Generationenübergreifenden sozialen Engagements. Hier wird auf Landesebene schon einiges getan, es ist aber erforderlich, die Aktivitäten zu bündeln und innerhalb der Landesregierung nur noch einen Ansprechpartner für Engagementfragen zu haben.
Die Träger müssen von bürokratischen Hemmnissen entlastet werden. Wir wünschen uns die Einführung eines Landesausweises nach dem Vorbild Nordrhein-Westfalens, in dem die Qualifikationen, die im Engagement erworben wurden, bescheinigt werden, um sie auch im Berufsleben nutzbar zu machen.
Da die Landesregierung gefordert ist, eine besondere Vorreiterrolle einzunehmen, schlagen wir vor, den Landesbediensteten, die im Zuge der Verwaltungsreform freigestellt werden und denen über die Jobbörse nicht sofort eine neue Tätigkeit vermittelt werden kann, das Angebot zu machen, ihre Arbeitskapazität im Rahmen einer Zeitspende des Landes in bereichen des bürgerschaftlichen Engagements zur Verfügung zu stellen.
Anrede,
es wird zukünftig darauf ankommen, eine neue Balance in der Aufgabenverteilung zwischen Staat und Gesellschaft zu finden. Allerdings darf es nicht darum gehen, den Bürgerinnen und Bürgern schlicht die Aufgaben aufzubürden, von denen der Staat meint, dass er sie zukünftig nicht mehr erfüllen kann. Engagierte Bürgerinnen sind nicht der billige Jakob des Sozialstaates, meine Damen und Herren.
Und deshalb ist es dringend erforderlich, die Mittel, die durch das Auslaufen des Zivildienstes frei werden, für den Umbau im sozialen Bereich im System zu lassen.
Lassen Sie uns Niedersachsen gemeinsam zum Musterland für bürgerschaftliches Engagement entwickeln