Rede Ursula Helmhold: Landesblindengeld neu strukturieren ? Nachteilsausgleich erhalten ? Leistungsrecht für sehbehinderte Menschen weiterentwickeln
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Anrede,
wir haben bereits im letzten Plenum über dieses Thema diskutiert und versucht, Ihnen deutlich zu machen, wie verheerend sich die Pläne der Sozialministerin, das Landesblindengeld vollständig zu streichen, bei den Betroffenen auswirken werden.
Ich habe Ihnen damals gesagt, dass das Landesblindengeld als Nachteilsausgleich den Betroffenen keinen Luxus, sondern lediglich eine halbwegs gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erlaubt. Es ist konzipiert als Ausgleich der blindheitsbedingten Nachteile in einer überwiegend optisch geprägten Umwelt.
Nach der 20%igen Kürzung in vergangenem Jahr hatten die Blinden in Niedersachsen darauf vertraut, ihren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung geleistet zu haben.
Nach der Ankündigung der neuen Kürzungspläne hatte die Ministerin den Blinden dann zugesagt, dass über das Thema Einkommensunabhängigkeit noch einmal geredet werden könne.
Leider wurde auch diese Zusage offenbar nicht eingehalten. Stattdessen wurden Modelle wie Härtefonds oder eine Blindenstiftung aus dem Ärmel gezaubert, Beruhigungspillen für die Öffentlichkeit und vielleicht auch für die Regierungsfraktionen. Mildtätigkeit nach Gutsherrinnen oder Gutsherrenart ist aber das Gegenteil einer emanzipatorischen Behindertenpolitik, meine Damen und Herren. Ihre Pläne machen die blinden Menschen in Niedersachsen reihenweise zu SozialhilfeempfängerInnen. Ihr Stiftungsmodell passt zu einem Bild des Behinderten als Empfänger von Gaben der Armenfürsorge.
Das aber lehnen die Betroffenen zu Recht vehement ab. Sie wollen nicht zu lebenslänglichen Bittstellern werden.
Ich zitiere Ihnen mal aus dem Brief einer blinden Frau, gerichtet an Frau Mundlos, der mich sehr betroffen gemacht hat:
"Es gibt etliche Anzeichen dafür, dass wir es hier mit einem Symptom für einen schleichenden Wandel im Menschenbild einer Gesellschaft zu tun haben. Einer Gesellschaft, in der mehr und mehr auf Effektivität, Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft geschaut wird. Dies geht zu Lasten derjenigen, die nicht oder nur in eingeschränktem Maße mithalten können. Pflegebedürftige und schwer behinderte Menschen erscheinen in einem gefährlich verengten und veränderten Menschenbild, das anscheinend nur noch die Perspektive wirtschaftlicher Verwertbarkeit kennt. Da erscheinen wir blinden Menschen lediglich als Faktor finanzieller Last."
Was haben wir von einer christdemokratischen Regierungsfraktion und einer Sozialministerin zu halten, deren Politik Menschen zu solchen Äußerungen treibt? Die wenig Gesprächsbereitschaft zeigt und in Gesprächen noch weniger Bewegungsfähigkeit?
Anrede,
vor dem Hintergrund der Reglosigkeit der Ministerin und der Regierungsfraktionen haben wir uns entschlossen, Ihnen mit einem Vorschlag entgegenzukommen, den wir als Kompromiss zwischen den bislang bestehenden Positionen verstehen.
Wir wollen ja nicht die Augen vor den haushaltspolitischen Notwendigkeiten verschließen und bieten Ihnen deshalb an, die Hälfte des von der Ministerin vorgesehenen Einsparvolumens beim Landesblindengeld zu realisieren. Allerdings, und das ist der substanzielle Unterschied zu Ihrem Kahlschlag-Vorschlag, wollen wir die den Betroffenen so wichtige Einkommens- und Vermögensunabhängigkeit der Leistung erhalten.
Die Betroffenen, meine Damen und Herren, sind bereit, diesen Weg mitzugehen. Ich bitte Sie dringend, diese Tatsache nachdrücklich auf sich wirken zu lassen: Noch einmal sind die blinden Menschen in Niedersachsen bereit, einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung zu leisten.
Dann aber kommen Sie Ihnen doch bitte wenigstens darin entgegen, dass Sie die Funktion des Nachteilsausgleichs unangetastet lassen.
Wir schlagen Ihnen vor das Blindengeld nach 2 Kriterien neu zu strukturieren. Diese Kriterien orientieren sich an der Frage, wer von den Betroffenen den Nachteilsausgleich am dringendsten braucht. Er ist sicherlich um so wichtiger, je jünger die Betroffenen sind und je mehr sie am gesellschaftlichen und am Erwerbsleben teilhaben.
Deshalb soll das Blindengeld zukünftig bei Bezieherinnen von Leistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz mit einem höheren Betrag angerechnet werden. Außerdem soll das Blindengeld für ältere Menschen reduziert werden.
Ich möchte ausdrücklich betonen, dass dieser Vorschlag aus der Not heraus entstanden ist, damit das sozialpolitisch Schlimmste, nämlich die völlige Abschaffung, verhindert wird. Die Betroffenen kommen Ihnen damit außerordentlich weit entgegen und sind abermals bereit, ein großes Opfer zur Konsolidierung des Landeshaushaltes zu erbringen.
Deshalb sollte das Ministerium jetzt schleunigst Berechnungen anstellen, die nach diesen Kriterien ein Sparvolumen von etwa 10 Millionen Euro realisieren und diese mit dem Blindenverband abstimmen. Dies böte die Chance, zu einer partnerschaftlichen Sozialpolitik zurückzukehren und einen Konsens auf niedrigster Stufe herzustellen.
Gleichzeitig sollte im Zusammenhang mit dieser Diskussion daran gearbeitet werden, das Blindengeld in die Bestimmungen des SGB IX und damit auch in das persönliche Budget zu überführen. Außerdem sollten wir uns alle perspektivisch dafür einsetzen, dass die Leistungen für behinderte Menschen in einem Bundesleistungsgesetz zusammengeführt werden. Es ist nämlich nicht nachzuvollziehen, warum blinde Menschen in den einzelnen Bundesländern völlig unterschiedliche Leistungen erhalten, die dann den Begehrlichkeiten der jeweiligen Finanzminister ausgesetzt sind, wie es in Niedersachsen exemplarisch zu beobachten ist.
Das Land betätigt sich ja bundesweit als Vorreiter in diesem Zusammenhang. Schon jetzt liegt Niederachsen bei der Höhe des Blindengeldes an 12. Stelle im Bundesvergleich und will sich nach den vorliegenden Plänen ganz davon verabschieden.
Thüringen zum Beispiel hat trotz ebenfalls hoher Sparzwänge beschlossen, das Blindengeld wenigstens auf der Höhe des durchschnittlichen Blindengelds aller Länder zu bezahlen. Und das sind immerhin noch 40 Euro mehr als derzeit in Niedersachsen.
Frau Ministerin von der Leyen,
ich appelliere eindringlich an Sie jetzt in einen konstruktiven Dialog mit den Betroffenen einzutreten. Lassen Sie nicht zu, dass blinde Menschen 60% des Einsparvolumens im Sozialhaushalt leisten müssen. Lassen Sie nicht zu, dass im Sozialhaushalt eine Gruppe von Betroffenen gegen die andere ausgespielt wird. Werden Sie nicht zur Vorreiterin für andere Bundesländer, das Blindengeld ebenfalls komplett zu streichen!
Sagen Sie klar und deutlich, dass in einem Haushalt mit 42 Millionen Euro freiwilliger Leistungen nicht 34 Millionen eingespart werden können, wenn vom sozialen Niedersachsen noch etwas übrig bleiben soll.
In dieser Frage, meine Damen und Herren, Frau Ministerin, hätten Sie unsere uneingeschränkte Unterstützung.