Rede Ursula Helmhold: Landesblindengeld als Nachteilsausgleich erhalten

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Anrede,
ich zitiere aus dem Brief einer blinden Frau:
"Ich bin bestürzt darüber, dass mir diese Hilfe – gemeint ist das Landesblindengeld – nach 2maligen Kürzungen und mehrjähriger Einfrierung – die letzte Kürzung von 20% nahmen wir im Januar diesen Jahres in Kauf, um auch unseren Anteil an Sparmaßnahmen mitzutragen – jetzt ganz gestrichen werden soll und dass meine Landesregierung mich jetzt dadurch nötigen will, zur Sozialhilfeempfängerin zu werden."
Anrede,
genau das will die Landesregierung ab 2005 tun.
Blindheit ist eine Behinderung mit umfassenden Auswirkungen. Das Blindengeld als einkommensunabhängige Leistung wurde konzipiert, um unabhängig von sozialhilferechtlichen Fürsorgeleistungen die besonders schweren Nachteile blinder Menschen in einer optisch geprägten Welt auszugleichen.
Und diese Nachteile sind vielfältig.
Teilhabe und Selbstbestimmung blinder Menschen, eine annähernde Chancengleichheit, werden durch diese Leistung ermöglicht.
Ich nenne hier nur das Engagieren von Vorleserinnen, von Begleitung beim Einkaufen, von Blindenbüchern etc. Dies alles zieht erhebliche Sonderausgaben nach sich.
Nun entdeckt die Landesregierung ausgerechnet bei den Blinden das Sparpotenzial im Sozialhaushalt. Über 60% des Einsparvolumens sollen von ihnen erbracht werden.
Wir haben am letzten Samstag eine eindrucksvolle Demonstration der Blinden gegen diesen Kahlschlag in Hannover erlebt. Die Blinden befürchten zu Recht, dass Niedersachsen zum Vorreiter der Streichung sämtlicher Landesblindengeldgesetze werden wird – ohne dass es einen adäquaten Ersatz in einem Bundesleistungsgesetz gibt.
Bei der 20%igen Kürzung im vergangenen Jahr wurde den Blinden von der Ministerin zugesagt, dass es weitere Kürzungen nicht geben werde.
Mit der Entscheidung, das Blindengeld nun völlig zu streichen, haben Sie, Frau Ministerin, das in Sie gesetzte Vertrauen wirklich mehr als erschüttert.
Wie glaubwürdig ist eine Sozialministerin, deren Zusagen nicht einmal eine Anstandsfrist von einem Jahr überdauern?
Partnerschaftlich und verlässlich, so haben Sie einst verkündet, sollte Ihre Sozialpolitik sein – bei Verfallsdaten von nicht einmal einem Jahr können wir diese Aussagen getrost als Makulatur bezeichnen.
Und was soll man davon halten, wenn Ihr Ministerium im Juli mal eben erklärt, dass bei der Abschaffung 80 bis 90 % der Betroffenen Blindenhilfe im Rahmen der Sozialhilfe erhalten würden.
Eine Aussage, der sofort widersprochen wurde.
Wusste Ihr Ministerium nicht, dass sich mit der Einführung des SGB XII zum 1.1.2005 die Einkommens- und Vermögensgrenzen verändert haben mit der Folge, dass die Betroffenenen erst einmal ihre mühselig angesparten kleinen Vermögen auf 2.600 € abschmelzen müssen? Voraussichtlich werden es deshalb statt 80 bis 90 %, wie von Ihnen behauptet, nur 10 % der Blinden sein, die nach den neuen Regelungen anspruchsberechtigt sein werden.
Wissen Sie wirklich nicht, dass Blinde kein Geld aus der Pflegeversicherung erhalten, die übrigens wie das Kindergeld auch einkommensunabhängig gezahlt wird, sondern nur über das Blindengeld in die Lage versetzt werden, ein halbwegs selbstbestimmtes Leben zu führen?
Sie selbst haben im letzten Jahr eine Zahlung des Blindengeldes in Höhe des Betrages der Pflegestufe 2 der Pflegeversicherung für angemessen gehalten. Thüringen hat immerhin trotz ebenfalls hoher Sparzwänge beschlossen, das Landesblindengeld wenigstens auf der Höhe des durchschnittlichen Blindengeldes aller Länder zu bezahlen. Und das sind immer noch ca. 40 € mehr als in Niedersachsen.
Wissen Sie wirklich nicht, dass durch die Möglichkeit, Assistenzleistungen zu bezahlen erhebliche Mehrkosten durch Heimunterbringungen eingespart werden?
Und dass das Wohnen im Heim nichts mit einem von den Behinderten gewollten selbstständigen Leben und Wohnen zu tun hat?
Ihre Politik lässt den Nachteilsausgleich für Blinde, gedacht im Sinne von Selbstbestimmung und Teilhabe, zu einer Armenfürsorgeleistung verkommen. Wollen Sie sie wirklich von der Wiege bis zur Bahre zu Bittstellern machen?
Dies ist eine prinzipielle sozialpolitische Frage.
Was Sie machen ist das Gegenteil einer emanzipatorischen Behindertenpolitik, das ist ein Rückschritt in die sozialpolitische Steinzeit.
Anrede,
es nutzt nicht viel, mit den Betroffenen zu sprechen und dabei aber gleichzeitig zu betonen, dass am Einsparziel nicht gerüttelt wird. Es hilft auch nichts, jetzt eine Gruppe gegen die nächste auszuspielen und zu sagen, wenn nicht bei den Blinden, dann muss ich mir das Geld eben bei anderen armen und benachteiligten Menschen holen.
Das einzige, was nutzt und genützt hätte wäre eine Sozialministerin, die ihren Etat verteidigt und gesagt hätte, diese Einsparauflage von 34 Millionen Euro kann ich angesichts der sozialpolitischen Erfordernisse und politischen Zielsetzungen dieser Koalition nicht leisten.
Sonst hätte deutlich gesagt werden müssen, dass es das soziale Niedersachsen nicht mehr geben wird.
Anrede,
wenn die Ministerin und die Regierungskoalition noch einen Rest an Vertrauen retten wollen, dann reden Sie jetzt endlich mit den Betroffenen, aber nicht unter der Maßgabe des Möllring`schen Diktats, sondern unter Anerkennung der wichtigsten Forderung der Blinden, nämlich, dass diese nicht zu lebenslangen Bittstellern werden wollen, sondern auf jeden Fall den Nachteilsausgleich behalten möchten.
Ich möchte Ihnen abschließend zwei Zitate aus Briefen an Betroffene über das Vorhaben der damaligen SPD-Landesregierung, das Blindengeld zum zweiten Mal zu kürzen, vorlesen:
1.) "Im Hinblick darauf, dass nun das Landesblindengeld um weitere 60 DM auf 900 DM abgesenkt werden soll, kann ich nur feststellen, dass hier eine rücksichtslose Sparpolitik der sozialen Kälte auf Kosten unserer blinden Mitmenschen durchgeführt wird, die ich nicht akzeptieren kann und werde." Dies schrieb 1998 ihre Landtagsvizepräsidentin Vockert
2.)"Die erneute Kürzung des Landesblindengeldes ist ein empörender Vorgang. Bestürzt nehme ich die unsoziale Politik der SPD in Niedersachsen zur Kenntnis. Das Blindengeld hat sich seit 35 Jahren bewährt, weil es den Betroffenen hilft, blindenbedingte Mehraufwendungen zu finanzieren und so am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Das Verhalten der Landesregierung ist absurd." Dies schrieb, ebenfalls 1998 Ihr Fraktionsvorsitzender David McAllister.

Diesen - ihren eigenen - Wertungen ist nichts hinzuzufügen!

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